Zwei Kölner mit geistiger Beeinträchtigung arbeiten inklusiv als Teammitglieder bei Alnatura und im Seniorenstift. Wir haben sie vor Ort besucht.
Inklusion in Kölner Unternehmen„Hier mache ich einfach alles gerne“
Nichts tun ist nicht sein Ding. Paul Adamiuk arbeitet gern. Und er ist gern unter Menschen. Dass er jetzt im Alnatura-Markt an der Venloer Straße einen Arbeitsplatz hat, verdankt er seiner Ausdauer und Energie. Wie einem Großteil der jungen Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung wurde auch ihm nach dem Besuch der Förderschule mit dem Schwerpunkt geistige Entwicklung eine Beschäftigung in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung angeboten. Dort hat er jahrelang Waren verpackt. „Immer die gleichen paar Handgriffe, das war sehr langweilig für mich“, erinnert er sich. „Ich wollte da unbedingt weg.“
Über seinen Ansprechpartner im Betreuten Wohnen nimmt er Kontakt zum sozialen Träger IN VIA Köln auf. Und findet bei dem als „Anderer Leistungsanbieter“ (siehe Infokasten) zertifizierten Träger heraus, welches Arbeitsfeld zu ihm passt. „Essen ausfahren oder Küche, das war es nicht“, erinnert sich der 36-Jährige. Der Einzelhandel schon – seit jetzt gut vier Jahren. Dort ist er mit der Zeit mit Hilfe eines Jobcoaches in seine Aufgaben hineingewachsen. „Anfangs brauchte ich noch Fotos, um das Leergut richtig zu sortieren“, erinnert er sich. „Heute nicht mehr.“ Heute füllt er den Obst- und Gemüsestand wieder auf, zeichnet beinahe abgelaufene Waren selbstständig mit einem 25-Prozent-Etikett aus und fragt seine Kolleginnen, wenn er mal eine Kundenfrage nicht beantworten kann. Adamiuk ist mit 30 Wochenstunden festes Teammitglied.
„Ich setze auf ihn“, sagt Marktleiter Moritz Hoge, der sich auch persönlich gerne in die Begleitung des 36-Jährigen einbringt und ihm ermöglicht, Verantwortung zu übernehmen – unter anderem für den Restmüll. „Den Schlüssel vom Müllraum habe ich jetzt an meinem Schlüsselbund, dafür musste ich auch unterschreiben“, sagt Adamiuk zufrieden. „Und hier mache ich einfach alles gerne.“ Unterstützt wird er auch von Judith Vitek, Bereichsleiterin Inklusion und Arbeitsmarkt bei IN VIA Köln. Adamiuks Jobcoach besucht ihn mindestens alle zwei Wochenbund bespricht mit ihm und Hoge, was gut läuft und wo es noch hakt. Gerade arbeitet Adamiuk daran, dass er seine Tätigkeiten im vorgesehenen Zeitfenster auch vollständig erledigt und sich nicht ablenken lässt. „Perfekt bin ich nicht“, sagt er und muss dabei über sich selber lachen. „Aber die Checklisten helfen mir.“
Das findet auch Marco Vella, der in der Senioreneinrichtung „Hausgemeinschaft St. Augustinus“ arbeitet, und alles abhakt, was er erledigt hat – so hat er alle seine Aufgaben im Blick. Anderes macht er aus dem Gefühl heraus. Etwa einem Bewohner vorausschauend die Balkontür aufzuhalten, wenn er im Rollstuhl darauf zufährt. „Dann freut er sich immer sehr!“, sagt Vella.
Und auch die Damenrunde in der Seniorenwohngruppe schätzt den Service des 29-Jährigen sichtlich. Er macht zur Kaffeezeit mit Blechkuchen die Runde, beugt sich zu ihnen hinunter und fragt nach Wünschen. Eine Dame möchte nur ein halbes Stück, eine andere bittet ihn, „ein schönes Stückchen“ auszusuchen. Das hat sich der 29-Jährige schon gedacht, denn er kennt seine acht Bewohner und Bewohnerinnen gut. „Ich weiß, wer zum Abendessen in Kölsch trinkt und wer lieber ein Glas Wein möchte. Und für wen ich die Brote vorbereiten soll“, sagt er. Dieser persönliche Kontakt, die Zuwendung zu den hilfebedürftigen Senioren und auch, Geduld zu haben wenn sie mal etwas länger brauchen, das macht ihm große Freude. Es ist Teil seiner Arbeit im Hauswirtschaftsbereich, zu der die Vor- und Nachbereitung der Mahlzeiten, Servieren, Verteilen der Wäsche, Müll wegbringen und Gartenarbeit gehört.
„Dass es so gut läuft, verdanken wir auch Claudia Gnörlich, Bereichsleitung Hausservice, die bereit war, Herrn Vella im Spätdienst einzusetzen“, sagt Sozialpädagogin Kim Mai Tran von IN VIA. „Frühdienst, das hat nicht so gut geklappt“, ergänzt Vella. Bei einem Thema, das ihn bei seiner Arbeit gerade sehr beschäftigt, hat er sich gerade eigenständig um Unterstützung bemüht. „Drei Menschen sind in einem Monat auf unserer Station gestorben“, blickt der 29-Jährige zurück. Deshalb hat er sich in der arbeitsbegleitenden Gruppe von IN VIA einen Besuch beim Bestatter gewünscht. „Tod geht uns doch alle an“, sagt er.
Beide arbeiten rund 30 Stunden und möchten aufstocken
Ebenso wie Paul Adamiuk hat Marco Vella im Laufe von rund vier Jahren gelernt, vieles in seinem Arbeitsbereich selbstständig zu tun und ganz unterschiedliche Aufgaben zu bewältigen. Zunächst intensiv und später in größeren Abständen begleitet von ihren Jobcoaches und bei Bedarf unterstützt von den Leitungen und ihren Teams arbeiten beide jetzt 30 Stunden die Woche. Adamiuk möchte Vollzeit arbeiten und trotzdem sein Ehrenamt bei der Tafel, wo er jede Wochen sechs Stunden beim Abholen der Waren hilft, behalten. „Das mache ich schon seit 13 Jahren“, sagt er.
Beide Männer würden gerne in ihrem Bereich die Ausbildung zum Fachpraktiker machen, einen Berufsabschluss mit verminderte Theorieteil (siehe Text unten). „Ob das geht, finden unsere Teilnehmenden im Laufe der Zeit heraus“, sagt Judith Vitek. Mit Blick auf eine dauerhafte Beschäftigung sei es wichtig, sowohl Über- als auch Unterforderung zu vermeiden. Ein anderes Ziel haben beide schon jetzt erreicht. Eine abwechslungsreiche Arbeit zusammen mit Menschen mit und ohne Beeinträchtigung. Eine Arbeit bei der sie sich weiter entwickeln und die ihnen Freude macht.
Köln: Inklusion beschreitet neue Wege
„Werkstätten für Behinderte“ müssen allen beeinträchtigten Menschen, die keine Arbeit finden können, Plätze zur Verfügung stellen. Sie sind nicht inklusiv. Wir stellen drei Wege vor, auf denen beeinträchtigte Kölner und Kölnerinnen in den allgemeinen Arbeitsmarkt inkludiert werden.
Inklusive Arbeit im Feld „Anderer Leistungsanbieter“: Seit 2019 ist das Beschäftigungsfeld „Anderer Leistungsanbieter“ (ALA) gesetzlich verankert, der Sozialverband IN Via Köln begleitet derzeit zwölf Menschen mit geistiger Beeinträchtigung bei ihrer Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Die Teilnehmenden absolvieren keine Ausbildung, aber sie entwickeln sich durch die praktischen Aufgaben und Herausforderungen persönlich und leistungsmäßig weiter. Anfangs werden sie dabei intensiv, später alle zwei Wochen von IN Via-Jobcoaches begleitet, die auch Ansprechpersonen für die Arbeitgebenden sind. Einmal pro Woche treffen sich alle ALA-Beschäftigten, dann stehen auch Themen wie „Umgang mit Stress“ auf dem Programm. „Wir möchten unseren Beschäftigten die Möglichkeit geben, mit unserer Unterstützung ohne Zeitdruck herauszufinden, ob sie sich in einem Arbeitsfeld dauerhaft wohlfühlen und ob sie den Anforderungen gewachsen sind“, sagt Vitek. Es sei deshalb auch möglich, sich für die Rückkehr in die Werkstatt zu entscheiden oder eine Ausbildung, etwa als Fachpraktiker Service in Sozialen Einrichtungen anzuschließen.
Ausbildung mit reduziertem Theorieteil - der Fachpraktiker: Der „Fachpraktiker“ ist eine zwei bis dreijährige Ausbildung mit reduziertem Theorieteil. Für welche Berufe Fachpraktiker-Ausbildungen angeboten werden, entscheiden die Kammern; in jedem Bezirk gibt es nur eine begrenzte Zahl von Berufen. Der reduzierte Theorieteil ist auf Menschen mit Lernbeeinträchtigung ausgelegt, bei körperlicher Beeinträchtigung können auch die praktischen Anforderungen vermindert werden. Betriebe, die den „Fachpraktiker“ anbieten, benötigen eine Fachkraft, die eine 320-stündige Zusatzqualifikation absolviert hat oder müssen mit einem Berufsbildungsträger kooperieren. Fachpraktiker verdienen in der Regel 1200 bis 1500 Euro.
Bundesweite Pionierarbeit - das Projekt „Ausbildung Mittendrin“: In seinem Modellprojekt „Ausbildung mittendrin“ begleitet der Verein „mittendrin“ junge Menschen mit geistiger Beeinträchtigung auf ihrem Weg durch Duale Ausbildungen direkt in Unternehmen des Arbeitsmarktes. Aktuell gibt es im Projekt Auszubildende in den Berufen Fachpraktiker Küche, Fachkraft Gastronomie und Fachpraktiker Verkauf. Weitere Berufe sind möglich. Das Ziel: Den Teilnehmenden, auch wenn sie den Ausbildungsabschluss nicht schaffen, berufliche Bildung direkt am Arbeitsmarkt zu ermöglichen und damit ihre Chance auf sozialversicherungspflichtige Arbeit zu verbessern. Die Teilnehmenden würden zusätzlich unterstützt und seien sehr motiviert, „weil sie merken, wie viel sie lernen“, sagt die Projektleiterin Eva-Maria Thoms. „Und weil sie das auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tun können.“ Die schlechten Noten im Theorieteil fange man ab und vermittle den Teilnehmenden, dass sie „nicht für Noten lernen, sondern für sich selbst“. „Wir beobachten bei den Azubis erhebliche Lernzuwächse“, berichtet Thoms. Eine Teilnehmerin hat sogar den Ausbildungsabschluss geschafft, in anderen Fällen erwägen die Betriebe, die jungen Leute nach der Ausbildung zu übernehmen — unabhängig davon, ob der Abschluss geschafft wurde oder nicht.
Rewe sucht weitere Azubis mit Förderschwerpunkt Geistige Behinderung zum „Fachpraktiker Verkauf“; Infos dazu gibt es im Internet.