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Hospiz in LindenthalKölnerin engagiert sich ehrenamtlich als Sterbebegleitung

Lesezeit 6 Minuten

„Sterben ist ein Prozess, der Tod ist nur der letzte Schritt“: Gertrud Willenborg hat sich für den Hospizdienst schulen lassen.

Köln – Das Haus Rita gehört zum Komplex des Malteser Krankenhauses St. Hildegardis in Lindenthal. Während gegenüber im Haupthaus Leben gerettet werden, kümmert sich der Hospizdienst um das Sterben. Aber so schrecklich, wie man gemeinhin annimmt, ist das gar nicht, sagt Gertrud Willenborg.

Mein Ehrenamt bekleide ich in einem fröhlichen Sportverein. Sie hingegen betreuen Sterbende. Wie kommt man dazu?

Mein Mann ist 2000 mit 45 Jahren gestorben, ich habe seine Sterbephase begleitet und sehr bewusst erlebt. Das war eine intensive Zeit, die mich zugleich stark mit dem Leben verbunden hat.

Damals habe ich mir gesagt, wenn die Kinder aus dem Haus sind und ich Zeit habe, möchte ich in der Sterbebegleitung tätig sein.

Was meinen Sie mit „intensiv“?

Dass alles andere wegfällt, mit dem man sich sonst so im Alltag beschäftigt: Wohin fahre ich in Urlaub? Schaffe ich mir eine neue Couch an? Was macht die Weltpolitik? Paradoxerweise hat mich die Sterbephase meines Mannes an die Zeit nach der Geburt der Kinder erinnert. Das eine ist traurig, das andere ist Glück – aber die Intensität ist die gleiche, wie unter einer Glocke, außerhalb der Realität.

Die Geburt ist der erste Tag deines Sterbens?

Stimmt. Aber in unserer schnelllebigen Zeit wird der Tod verdrängt. Vielleicht wegen dem allgemeinen Stress, vielleicht aus Angst. Aber wenn man von plötzlichen Todesfällen absieht, ist der Tod an sich ist nichts Grausames. Sterben ist ein Prozess, und der Tod ist nur der letzte kleine Schritt. Er gehört zum Leben dazu, und oft ist er eine Erlösung von Krankheiten oder Alter.

Zur Person

Gertrud Willenborg wurde 1952 in Dinklage bei Vechta geboren. Nach der Mittleren Reife lernte sie Arzthelferin. 1978 kam sie nach Köln, absolvierte eine Ausbildung zur Erzieherin und bekam zwei Söhne. Ihr Mann starb 2000 mit erst 45 Jahren an einer Krebserkrankung.

Seit 2012 engagiert sie sich ehrenamtlich als Sterbebegleiterin für den Malteser Hospizdienst Sinnan in Lindenthal. Zurzeit betreut sie eine 87-jährige Frau. Gertrud Willenborg wohnt in Nippes.

www.malteser-koeln.de, (0221)4306406

Sie haben hier bei den Maltesern eine siebenmonatige Ausbildung zur Sterbebegleiterin absolviert. Was lernt man dort?

Unter anderem auch ein Stück Selbsterfahrung: Was bedeutet der Tod für mich? In Rollenspielen werden schwierige Situation nachgestellt, etwa: Wie verhalte ich mich, wenn ich nicht kommunizieren kann, was nehme ich nonverbal wahr. Sehr wichtig fand ich auch, dass über die persönlichen Grenzen geredet wurde.

Wo würden Sie eine Grenze setzen?

Ein völlig chaotischer, dreckiger Haushalt mit eventuell Haustieren, Alkohol- oder Nikotinmissbrauch, das würde mich schon schwer an meine Grenzen bringen. Wenn es nicht mehr geht, die Chemie menschlich doch nicht stimmt oder die Begleitung sich als sehr schwierig erweist, kann man immer die Koordinatorin ansprechen, und es wird gemeinsam nach einer Lösung gesucht.

Wen betreuen Sie zurzeit?

Eine alleinlebende Frau von 87 Jahren. Sie ist ernsthaft krank und möchte keine Therapie mehr. Weil sie zudem gangunsicher ist, wünschte sie sich eine Begleitung. Für mich ist es in diesem Fall vergleichsweise leicht, weil ich es mit einer sehr selbstbewussten Frau zu tun habe. Sie hat ihr nicht leichtes Leben mit enormer Kraft gemeistert. Ich bewundere ihre positive Lebenseinstellung, ihre Demut und Genügsamkeit. Und sie hat Humor – wir lachen auch viel.

Sie tun dieser Frau Gutes. Tut Ihnen das auch gut?

Zunächst mal tut ein Ehrenamt grundsätzlich gut, das bestätigen auch Wissenschaftler. Manche Ehrenämter mögen kritisch zu sehen sein, weil sie den Staat zu stark von seinen Pflichten entlasten. Für mich gilt, dass ich aus jeder Sterbebegleitung etwas für mich mitgenommen habe.

Gehen Sie beschwingt aus diesen Treffen, oder brauchen Sie dann erstmal einen Schnaps?

Ersteres. Die Gespräche mit der alten Dame sind rege und bereichern mein Leben, weil sie offen ist und geistig beinahe alterslos wirkt. Wir treffen uns einmal die Woche, zumeist nicht länger als drei Stunden, manchmal auch kürzer.

Begleiten Sie ausschließlich ältere Menschen?

Ja, es gibt in Köln aber auch ein separates Kinderhospiz mit Ehrenamtlern. Neben der individuellen Begleitung betreue ich einmal im Monat einen Trauertreff, ein offenes Angebot für Trauernde. Das reicht dann aber auch, ich habe noch vielfältige andere Interessen und einen 400-Euro-Job.

Gibt es glückliche Momente während Ihrer Arbeit?

Sehr häufig. Einmal habe ich eine recht junge Frau begleitet, die Reggae-Fan und -DJane war. Die traf im Hospiz einen jungen Pfleger mit derselben Leidenschaft für diese Musik, die beiden kannten sich sogar aus dem Plattenladen. Solche Zusammentreffen finde ich immer wieder faszinierend, wobei ich nicht an Zufälle glaube.

Sondern an einen lenkenden Gott?

Da komme ich immer mehr hin. Ich bin in einer sehr katholischen Gegend aufgewachsen und habe während der Pubertät wie so viele dagegen rebelliert. Aber dann kommen die Kinder und man denkt über Taufe, Weihnachten und Ostern nach. Kürzlich las ich das Buch „Blick in die Ewigkeit“ von Eben Alexander über seine Nahtoderfahrung. Und dann denkt man sich: Vielleicht geht es ja doch weiter nach dem Tod. Ein sehr tröstlicher Gedanke, der zumindest nicht schadet.

Die Bösen schmoren in der Hölle, den Guten fliegen gebratene Hähnchen in den Mund?

Nennen wir es: die Erfahrung der allumfassenden Liebe, so wie es Alexander in seinem Bestseller schildert.

Reden Sterbende anders über den Tod als wir zwei?

Ja. Mit meinem Mann war es sehr schwierig, eigentlich konnten wir gar nicht darüber sprechen. Auch die an sich sehr offene Dame, die ich begleite, will lieber eine positive Einstellung und noch nicht auf den Tod angesprochen werden. Man muss bei diesem Thema sehr vorsichtig sein, auch den richtigen Zeitpunkt treffen. Jeder reagiert anders, wenn es ernst wird.

So mancher behauptet, er habe sich mit dem Tod arrangiert und sehe ihm gefasst entgegen.

Aber drüber reden und davon betroffen sein sind zwei ganz verschiedene Paar Schuhe. Das ist jedenfalls meine Erfahrung.

Können Sie abschätzen, ob Ihre Arbeit Ihnen selbst einmal helfen wird?

Ich denke, dass einem Menschen die Beschäftigung mit dem Sterben durchaus hilft, indem es ihm zum Beispiel die Angst davor ein wenig nimmt. Ich erlebe den Tod nicht als „grimmigen Schnitter“. Außerdem wirkt im Angesicht des Todes das Leben kostbarer.

Der Tod als Mirakel wurde immer gern personifiziert. Hatte einer Ihrer Betreuten mal Visionen vom Sensenmann?

Habe ich bisher noch nicht gehört. Ich sehe auch Gott nicht als gütigen Vollbart vor mir. Der Tod ist schlicht ein Ende und vielleicht der Übergang in eine andere Bewusstseinsform.

Die Augen sind die Fenster der Seele, sagt man. Was lesen Sie in den Augen von Sterbenden?

Sie stehen nicht mehr in Kontakt mit der Welt. Der Sterbende befindet sich in einer Art Zwischenreich: Er ist nicht ganz hier, aber auch noch nicht ganz weg. Wie es dort aussieht, kann ich natürlich nicht sagen, da müsste man wieder auf Nahtoderfahrungen wie die von Alexander zurückgreifen.

Gehen Sie auf die Beerdigungen Ihrer Betreuten?

Sehr gerne sogar, weil das für mich ein runder Abschluss ist. Als ich noch gearbeitet habe, war es aber nicht immer möglich. Einen Tag Urlaub habe ich mir dafür nie genommen. In den monatlichen Gruppentreffen haben wir darüber hinaus ein Ritual für den persönlichen Abschied. Wir berichten über die Begleitung, spielen ein Lied und beschriften einen Stein.

Lesen oder schauen Sie noch Krimis, wo Sie im richtigen Leben so oft mit dem Tod konfrontiert werden?

(lacht) Ich liebe Krimis. Und da darf auch ordentlich gestorben werden.