Görge Heimann reist rund um die Welt, um an internationalen Treppenläufen teilzunehmen.
Gespräch mit Kölner „Treppenkönig“„Der Kölnturm hat ein sehr anspruchsvolles Treppenhaus“
Görge Heimann trinkt Kaffee während unserem Treffen. Das tut er auch vor dem Wettkampf. „Legales Doping“, sagt der überzeugte Veganer.
Wie hoch springen Sie aus dem Stand?
Keine Ahnung, nicht höher als jeder andere Straßenläufer.
Wären Sie ein guter Drei-springer?
Nein, dafür fehlt mir die Grundschnelligkeit. Im Übrigen muss man beim Treppenlauf nicht springen. Ich nehme jeweils zwei Stufen auf einmal und versuche dabei möglichst flach zu laufen und die Flugphase so kurz wie möglich zu halten. Der höchste Kölner Treppenlauf findet im Kölnturm im Mediapark statt. Der Kölnturm hat ein sehr anspruchsvolles Treppenhaus. Normalerweise haben Treppenhäuser jeweils acht Stufen, auf die ein kleiner Absatz folgt – auf dem man sich leicht erholen kann. Im Kölnturm hingegen steigt man 18 Stufen am Stück, die zudem recht hoch sind. Und fensterlos ist das Treppenhaus auch noch.
Alle Stufen sind anders?
Die meisten Treppenhäuser sind rechtsgedreht. Es gibt aber auch linksgedrehte wie im Uni-Center und wechselnd gedrehte.
Was haben Sie lieber?
Rechtsrum, aber man muss eben beides trainieren. Auch die Armtechnik ist wichtig, man zieht sich ja am Geländer mit hoch.
Sind die Stufenhöhen genormt?
In Deutschland mag man das denken, ist aber nicht so. Manchmal sind Stufen ungewohnt flach und tief, die sind dann schwer zu laufen. Die 2046 Stufen im „101“ in Taipeh, ehemals das höchste Gebäude der Welt, sind ohnehin hoch und werden zum Ende hin nochmal höher.
Obwohl die Menschen dort eher kleiner sind als der Durchschnitt?
Ja gut, als Bauherr geht man davon aus, dass man diese Treppen nur runtergeht – in einem Notfall. Ansonsten kann man ja die Aufzüge benutzen. Der zweite Kölner Treppenlauf in Chorweiler geht nur über 373 Stufen.
Die hüpfen Sie auf einem Bein, oder?
Letztes Jahr war es superknapp. Das ist ein Sprintrennen, einmal falsch gegriffen, und du hast verloren. Ich habe dort mit gut 90 Sekunden gewonnen, aber die ersten Drei lagen innerhalb von sieben Zehnteln. Mein Glück, denn die Zeitungen schrieben vorher von mir als dem „Treppenkönig von Köln“. (lacht)
Ist der Treppenkönig von Köln im zehnten Stock eines Mietshauses aufgewachsen?
Nein, in einem Einfamilienhaus. Als Student habe ich dann im Uni-Center gewohnt. Da war ich in viereinhalb Jahren nie im Treppenhaus.
Was war dann Ihre Initialzündung?
Ich war Läufer und Triathlet und las 2011 zufällig von einem Spoho-Treppenlauf. Ich hatte spontan Spaß daran und bin Zweiter geworden. Also dachte ich mir, das ist was für mich!
Sie haben so eine schöne, abwechslungsreiche Sportart wie Triathlon für das Treppenlaufen aufgegeben?
Ich höre Ihr Unverständnis, das teilen Sie mit meiner Frau. Triathlon findet in der Natur statt, klar. Aber beim Treppenlaufen erlebst du den Gipfeleffekt. Oben fühlst du dich wie ein Bergsteiger, der den Gipfel erklommen hat – mit eigener Kraft, gegen deine Masse. Und dann kannst du runterschauen.
Gibt es Treppab-Läufe?
Vor allem in den USA gibt es Kombinationen aus hoch und runter. In Radebeul gibt es einen 24-Stunden-Treppenauf- und -ablauf. Das geht schon ordentlich an die Substanz, mir ist das zu lang. Der Kölner Ultra-Marathonläufer Helmut Urbach hat mir mal seinen Ernährungstipp verraten: vor den 200 Kilometern ein Kotelett, danach ein Kölsch. Sehr schön. (lacht) Bei der Ernährung kann man nichts richtig, aber alles falsch machen. Ich trinke vor dem Wettkampf Kaffee – legales Doping. Und ansonsten ernähre ich mich vegan. Aber eher wegen der Tiere und der Umwelt als für den Sport. Sie sind Sonderschullehrer und unterrichten auch Sport.
Verheimlichen Sie den Schülern Ihr schräges Hobby?
Nein, die bekommen das mit, auch durch Zeitungsberichte. Einige wollten es ausprobieren, da lasse ich mich natürlich nicht lange bitten.
Versuchen Schüler und Lehrerkollegen, Sie auf der Schultreppe zu überholen?
Kommt vor, ja. Ich gehe auch immer drauf ein, ich habe ja einen Ruf zu verlieren. Wenn einer von hinten raus Gas gibt, verliere ich auch schon mal.
Warum sollte Treppenlaufen in den Sportunterricht einfließen?
Ich gebe meinen Schülern mit, dass auch Ausdauersport für sie wichtig ist. Treppenlaufen ist ein sehr gutes Ganzkörpertraining, eine gesunde Ergänzung zum Alltag. Jeder kann das in seinem Umfeld irgendwo machen und braucht dafür nicht einmal teure Fitnessgeräte. Felix, genannt „Quälix“ Magath war ein früher Verfechter des Treppenlaufs. (lacht) Genau, und den Medizinball hat er auch eingesetzt. Treppenlaufen ist auch für Profisportler hilfreich, ebenso wie Rückwärtslaufen. Lucki Hofmaier von „Bares für Rares“ ist in jungen Jahren im Kopfstand über die Alpen gelaufen. Es gibt in der Schweiz sogar einen Treppen-Handstand-Runterläufer, der das ebenfalls wettkampfmäßig betreibt.
Wären Sie als Treppenexperte auch ein guter Möbelpacker oder Getränkelieferant?
Mit zwei Kästen Bier unterm Arm wäre der Treppenlauf doch etwas anderes. Sie sind schon im Empire State Building gelaufen.
Was ist dort speziell?
Das ist die Mutter aller Treppenläufe, der erste fand dort 1978 statt. Man kommt schwer an eine Starterlaubnis, alle wollen dabei sein, obwohl das Startgeld sehr hoch ist.
Aber Sie, als Weltranglistenzweiter, werden inzwischen eingeladen?
Ja, das ist natürlich schön. Das Rennen in New York beginnt zudem als Massenstart. Die männliche und weibliche Elite, insgesamt etwa 40 Leute, starten jeweils gleichzeitig. An der ersten Tür, nach gut zehn Metern, beginnt das Gedrängel, und die Ellenbogen werden ausgefahren.
Gibt es in der Hinsicht Fair-Play-Regeln?
Wenn man sich kennt, räumt der Schwächere die Innenseite im Treppenhaus. Aber es gibt Kollegen, die nie etwas frei machen und in engen Treppenhäusern gern mal den Arm stehen lassen. Da muss man robust sein. Es soll eine eingeschworene Towerrunning-Familie geben. Ja, in der Spitze mögen wir uns alle. Wai Ching etwa, der Weltranglistenerste aus Malaysia, ist ein Freund von mir. Ich kenne seine ganze Familie, und wenn er in Köln antritt, wohnt er natürlich auch bei mir. Normalerweise gewinnen bei Ausdauersportarten die Afrikaner.
Haben die nicht genug Hochhäuser zum Trainieren?
Wahrscheinlich. Aber Treppenlauf ist kein reiner Ausdauer-, sondern ein Kraft-Ausdauer-Sport, außerdem ist eine ausgefeilte Technik erforderlich. Wir haben bei großen Wettkämpfen Wild Cards an international erfolgreiche Marathonläufer verteilt. Die sind gut gestartet, aber irgendwann im Treppenhaus gestorben. Man muss das schon können. Sie sagen, das Geheimnis des Treppenlaufs sind die gleichmäßigen Etagenzeiten.
Lassen Sie nach oben hin nicht nach?
Wenn ich gut laufe, nein. Ich überlege mir vorher, wie schnell ich die Etagen laufen will, und ein Piepser sagt mir, ob ich in der Zeit bin. Der bremst mich am Anfang und motiviert mich ab der Mitte. Skilangläufer haben ihre Trainer zum Anfeuern, Sie Ihren Piepser? Genau, mich motiviert es sehr, genau meinen Rhythmus zu halten. So kann man gute Zeiten erzielen.
Warum ist der Eiffelturm-Lauf am schönsten?
Man läuft im Freien, der Lauf findet nachts bei Beleuchtung statt. Bei meiner ersten Teilnahme wurde das Rennen zudem live von Eurosport übertragen. Im Dunkeln wird einem nicht so schwindelig beim Runtergucken, nehme ich an. Schwindelig wird mir nicht. Aber bei meinem ersten Start habe ich einmal runtergeschaut auf Paris und mich direkt langgemacht. Das sind Metallstufen, da muss man aufpassen.
Sie werden auch dieses Jahr wieder als Treppenläufer um die Welt reisen. Wann wird Treppenlaufen olympisch?
Davor liegen noch ein paar Baustellen, die Towerrunning World Association (TWA) arbeitet daran. Nächstes Jahr sind die Olympischen Spiele in Paris. Wäre toll, wenn der Eiffelturmlauf außer Konkurrenz, als Schnupperangebot, unter dem Olympiaschirm stattfinden könnte.
Görge Heimann wurde 1968 in Wuppertal geboren und wuchs in Sprockhövel auf. Nach dem Abitur kam er zum Studieren nach Köln. Nach seinem Abschluss als Sonderschulpädagoge wurde er Lehrer an einer Sonderschule in Düsseldorf. 2011 nahm er spontan an einem Treppenlauf der Kölner Spoho teil und wurde überraschend Zweiter. Seit 2013 betreibt er den ausgefallenen Sport leistungsmäßig und ist dabei sehr erfolgreich.
Der amtierende deutsche Meister gewann mehrfach den Hochhauslauf in Chorweiler und im Kölnturm, inzwischen reist er für seinen Sport um die Welt. 2022 wurde er Vierter beim legendären Lauf auf das Empire State Building. Die 1576 Stufen bis zum 86. Stockwerk bewältigte er in 11:40 Minuten. Zurzeit rangiert er auf Platz 2 der Treppenlauf-Weltrangliste. Görge Heimann wohnt in Longerich. www.towerrunning- germany.de