Geschichte eines QuartiersAntoniterkirche sammelt Geld für Ausstellung
Köln – Reste der ältesten Bibliothek diesseits der Alpen, Gefäße, Scherben, Schmuck, Fliesen, ein Kamm und Bierflaschen – aus einer Zeitspanne von 2000 Jahren stammen die Stücke, die beim Bau des Antoniterquartiers ausgegraben wurden. Neuerdings sind sie am Seitenangang der Antoniterkirche in einer Vitrine zu sehen. Pfarrer Markus Herzberg von der evangelischen Gemeinde Köln will 200 000 Euro sammeln, um die Geschichte des Quartiers museumsgerecht zur Schau stellen zu können.
Der Kölner Chefarchäologe Dirk Schmitz und der oberste Bodendenkmalpfleger der Stadt, Marcus Trier, veranschaulichten gestern in der Antoniterkirche anhand der Fundstücke, wie sich das Grundstück seit der Zeit von Kaiser Augustus wandelte. Zuerst wurde dort nach Ton gegraben, der gleich vor Ort in neun Öfen zu feiner Keramik verarbeitet wurde. Weil missratene Stücke verscharrt wurden, gibt es unfertige Becher aus der Zeit Christi. Sogar einen Humpen von 30 Zentimetern Durchmesser.
„Durch 3500 Berichte aus 100 Jahren Denkmalpflege erleben wir bei Bauarbeiten selten Überraschungen, aber hier gab es welche“, sagte Trier. So steht jetzt fest, dass gleich neben dem Forum , also im zentralen Stadtgebiet, lange Zeit niemand gewohnt haben kann. „Wo mit Feuer gearbeitet wurde, gab es keine Siedlung“, so Schmitz.
Die nächste Überraschung boten die Mauern, die Kanalbauer vor vielen Jahren für „mittelalterlich“ hielten. Wer hätte eine zwei Meter dicke Mauer mit einem 3,5 Meter dicken Unterbau aus zerschlagenem Basalt als römisch erkannt? Doch es handelte sich um Reste einer vielleicht 20 Meter hohen Bibliothek, die ab dem zweiten Jahrhundert stark genutzt war. Dachziegel tragen Stempel der 21. Legion, die im Jahr 9 ins Rheinland kam. „Der Teufel steckt im Detail, auch wenn das Grundstück der Kirche gehört“, sagte Trier.
Unter der Bibliothek sind Hohlräume mit 20 Stücken von nicht mehr benötigten Säulen vom Ende des ersten Jahrhunderts verfüllt gewesen. Teilweise passen die Stücke vier Meter hoch aufeinander. Aus dem zweiten Jahrhundert fanden die Ausgräber mit scharfem Auge ein Schmuckstück: Eine Gemme, in deren blauen Achat die Form eines Knurrhahn genannten Fischs hineingeschnitten ist. „Dieses etwa fingernagelgroße Stück im Dreck zu sehen, obwohl es nicht magnetisch ist, ist eine Sensation für sich“, findet Trier. Die Grabung bescherte der Antoniterkirche, obgleich sie evangelisch ist, ein Weihwasserbecken. Es stammt von der Vorgängerkirche aus dem Jahr 1260, die dem Orden der „Sackbrüder“ gehörte. Den lösten die Antoniter erst Jahrzehnte später ab.
Das Antoniterquartier
An der Stelle des alten Gemeindehauses entsteht auf dem etwa 3300 Quadratmeter großen Grundstück zwischen Schildergasse und Cäcilienstraße für 28 Millionen Euro ein Neubau. Er wird 18 Wohnungen, Büros für externe Mieter – und wieder ein Gemeindezentrum samt einer öffentlich zugänglichen Gastronomie beinhalten.
Außerdem wurde eine Tiefgarage gebaut, die allerdings nicht öffentlich genutzt werden soll, ebenso ein Archivbereich im Keller, der nun Teile der Ausgrabung mit aufnehmen soll, um ein Stück des römischen Bibliotheksgebäudes erhalten zu können. Der größte Teil der römischen Bausubstanz wurde jedoch abgerissen.
Nach der achtmonatigen Ausgrabungs- und Forschungsphase ist im Frühjahr 2018 der Grundstein gelegt worden. Inzwischen schreitet der Innenausbau kräftig voran. Die Kirchengemeinde will Anfang kommenden Jahres einziehen. (mfr)
Ausstellung Archäologische Funde, Schildergasse 57, zu den Öffnungszeiten der Antoniterkirche, montags bis freitags 11–19 Uhr, samstags 11–17 Uhr, sonntags 11–17.30 Uhr.