Ex-Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) zu der Gefahr durch Rechtsextremismus und wie sie gebannt werden sollte.
Gerhart Baum im Interview„Die Nazis sind wieder da“

Gerhart Baum sieht die Demokratie in Gefahr.
Copyright: dpa
Wie schätzen Sie die Situation in Deutschland ein?
Die Situation ist so gefährlich wie nie zuvor seit Gründung der Bundesrepublik. Der Rechtsextremismus ist immer weiter gewachsen - Die Nazis sind wieder da, die wir nach dem Krieg letztlich erfolgreich bekämpft hatten. In nahezu allen Parlamenten sitzen sie heute. Die Politiker und die Mehrheit der Bevölkerung haben das zu lange verharmlost.
Wie gefährlich ist die AfD?
Sie greift unsere freiheitlich demokratische Grundordnung an und will den Europäischen Einigungsprozess zerstören. Ihre Politik beruht auf einer schlimmen deutschen Tradition: auf einer rassistisch begründeten Ausgrenzung aller derjenigen, die sie nicht zum Volk zählen, auf der Arroganz des Herrenvolkes. Die AfD ist der parlamentarische Arm der Rechten. Diese haben inzwischen auch Teile der politischen Mitte erreicht und sind in die Gesellschaft hineingewuchert.
Wie schätzen Sie die Möglichkeit eines Verbots ein?
Die muss man immer im Auge behalten. Aber es gibt dabei rechtliche und politische Probleme. Ein Verfahren würde Jahre dauern, ersetzt aber auf keinen Fall die politische Auseinandersetzung.
Was können die Demonstrationen bewirken?
Ich war am Sonntag als alter Mann nur in Gedanken dabei auf der Deutzer Werft und ich habe mich gefreut, dass Köln so klar und deutlich reagiert hat. Der Prozess muss fortgesetzt werden, überall in der Stadt, wo sich Menschen treffen. Und die Gesellschaft sollte sich denen zuwenden, die Hassziele der Rechten sind: den Schwachen, den Menschen anderen Glaubens, anderer Herkunft, den Geflüchteten, den jüdischen Mitbürgern. Die Menschen sind großen Unsicherheiten ausgesetzt und Angst verbreitet sich. Das Land ist einer Krise, aber auch die ganze Welt. Trump steht vor der Tür, Putin führt Kriege -auch gegen uns. Die Klimakatastrophe nähert sich, neue Technologie, wie KI, haben noch nicht absehbare Folgen. Ein morgendlicher Blick in die Zeitungen macht Angst.
Was kann und muss die Politik leisten?
Abstoßend ist es, wenn die Parteien sich jetzt gegenseitig mit Schuldzuweisungen überziehen. Alle sind verantwortllich. Rassismus, und Fremdenfeindlichkeit müssen gemeinsam bekämpft werden. Das sind Brandbeschleuniger. Natürlich muss besser regiert werden, vor allem aber anders. Die bequeme Normalität, die Nachkriegszeit, die sind vorbei. Mit den Menschen müssen wir darüber diskutieren, wie man die Zukunft neu denken muss.
Wie macht man das?
Indem man zunächst sehr wahrhaftig ist und den Menschen nichts vormacht. Vertrauensbildung ist der Schlüssel. Menschen müssen sich in ihren Ängsten wahrgenommen fühlen und sie müssen sehen, dass Zukunftsperspektiven entwickelt werden. Ich erwarte, dass die politisch Verantwortlichen mit den Wählern anders umgehen, das heißt sie in ihrer Mündigkeit ernst nehmen. Tagespolitik ist nicht allein entscheidend. Es ist jetzt keine Zeit für parteipolitische Kleinkriege. Es steht zu viel auf dem Spiel. Unsere Demokratie steht auf dem Spiel. Aber wir sind überhaupt nicht verloren, wie der Sonntag gezeigt hat,