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Frischer Wind im Kölner RatViola Recktenwald will „den Menschen mehr zuhören“

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Medizinerin und überzeugte Sozialdemokratin: Viola Recktenwald.

Köln – „Für mich war immer klar: Wenn ich in die Politik gehe, dann zur SPD.“ Viola Recktenwald (25), Medizinstudentin und jüngstes Mitglied der neu gewählten SPD-Fraktion im Stadtrat, lässt an ihren Überzeugungen keinen Zweifel. Die Sozialdemokratie sei „die Partei, die mit ihrer ganzen Geschichte am meisten für den Antifaschismus steht“. Als mit der Flüchtlingswelle 2015 die AfD immer mehr an Einfluss gewann, „habe ich mich entschlossen, aktiv Politik mitzugestalten, und bin in die SPD eingetreten“, erzählt sie.

Der Weg zu den Genossen war durch ihre Familie vorgeprägt. Recktenwald stammt aus dem Saarland. Ihr Vater arbeitet in einem Stahlwerk und war als Gewerkschafter aktiv, ihre Mutter, eine Versicherungsangestellte, ist SPD-Mitglied. Die vielen Krisen der Stahlbranche haben ihre Familie geprägt, Existenzsorgen gehörten zum Alltag. „Mein Vater hat sich vom Stahlwerker zum Ingenieur hochgearbeitet. Trotzdem es gab immer wieder Unsicherheit über seine berufliche Zukunft.“ Ein Schicksal, wie es auch zigtausende Familien im Ruhrgebiet kennen – nicht erst seit dem dramatischen Niedergang von ThyssenKrupp. Ihr Vater sei „heilfroh“ gewesen, als sie sich für ein Medizinstudium entschlossen habe, sagt Recktenwald. Die Aussicht auf ein sicheres Einkommen sei für sie dabei aber nicht das Entscheidende gewesen. „Ich interessiere mich für Naturwissenschaften und möchte gerne mit Menschen arbeiten“, begründet sie ihre Wahl.

SPD-Themen Aufstieg durch Bildung und Chancengerechtigkeit

Soeben hat Recktenwald ihr praktisches Jahr abgeschlossen, sie hat in der Kinder- und Jugendpsychiatrie in der städtischen Klinik Holweide und in der Inneren Medizin im Evangelischen Krankenhaus Kalk gearbeitet. Welche der beiden Fachrichtungen sie künftig als Ärztin weiterverfolgen wird, hat sie noch nicht entschieden. „Wahrscheinlich die Innere, das ist eine gute Basis.“ Als Arbeiterkind hat sie in der ersten Generation studiert, verkörpert mit ihrem eigenen Lebenslauf die klassischen SPD-Themen Aufstieg durch Bildung und Chancengerechtigkeit. Existenznöte sind ein Thema, das sie umtreibt. „Junge Leute erleben heute doch oft, dass sie trotz guter Ausbildung oder Studienabschlüssen keine Stellen finden, nur befristete Jobs oder Praktika. Diese Unsicherheit ist Gift für die Gesellschaft.“

SPD-Fraktion

19 Sitze im Stadtrat hat die SPD, vor der Wahl waren es 27. Der Frauenanteil in der Fraktion ist von zuletzt 29,6 Prozent auf jetzt 42,1 Prozent gestiegen. Der Fraktionsvorstand besteht aus zwei Männern und zwei Frauen, zu Stellvertretern von Fraktionschef Christian Joisten (48) wurden Viola Recktenwald (25), Lisa Steinmann (54) und Oliver Seeck (46) gewählt. (fu)

Recktenwald hat ihr Abitur am Deutsch-Französischen Gymnasium in Saarbrücken gemacht, kam 2013 zum Studium nach Köln und zog nach Kalk. Zwei Jahre später, mit 20, trat sie in die SPD ein und begann, sich bei den Kalker Jusos zu engagieren. „Das hat mir unheimlich viel Spaß gemacht. Man konnte sofort aktiv mitmischen in den Diskussionen, bei Aktionen und im Wahlkampf.“ Durch die politische Arbeit habe sie ihr Viertel ganz neu kennen gelernt. „Ich finde es spannend, mit den Leuten vor Ort zu reden und von ihren Vorschlägen oder Problemen zu erfahren.“ Nach und nach sei mehr daraus geworden, schließlich habe sie sich entschlossen, im Wahlbezirk 36 Kalk 1 (Höhenberg, Vingst, Gremberg/Humboldt) für den Stadtrat zu kandidieren. In der SPD-Hochburg holten die Genossen 2014 noch satte 40 Prozent – Recktenwald siegte mit 31,8 Prozent klar vor Grünen (18,6 Prozent) und CDU (16,2 Prozent) und holte das fünftbeste SPD-Ergebnis in Köln. Die Fraktion wählte sie zur stellvertretenden Vorsitzenden.

Den Erfolg führt sie auf einen engagierten Wahlkampf zurück. „Die Zeiten, in denen die SPD sprichwörtlich einen Besenstiel aufstellen konnte und der wäre gewählt worden, sind lange vorbei.“ Heute könne die SPD „nur mit harter Arbeit“ Wähler gewinnen, ist Recktenwald überzeugt. „Wir müssen den Menschen mehr zuhören und Ideen entwickeln, um die Situation zu verbessern.“ Soziale Gerechtigkeit sei „die Kernkompetenz der SPD“ – die müsse sie auch bei wichtigen Themen wie Klimaschutz und Verkehr einbringen. „Auch für Menschen mit geringem Einkommen muss Wohnen und Mobilität in Köln bezahlbar bleiben.“ Dafür werde sich die SPD einsetzen. In der Ratsarbeit will die angehende Ärztin den Schwerpunkt auf Gesundheit und Stadtentwicklung legen.

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Dass sich Partei und Fraktion in den vergangenen Jahren oft völlig zerstritten präsentiert haben, will Recktenwald nicht kommentieren, sagt nur so viel: „In einer modernen Partei diskutiert man über strittige Themen, egal ob Inhalte oder Personal. Dann trifft man gemeinsam eine Entscheidung, und dieses Ergebnis sollte von allen akzeptiert werden.“ Es dürfe nicht sein, „dass einige wenige sagen, so wird’s gemacht, und die Basis soll das dann abnicken“. Verkrustete Strukturen aufzubrechen, für mehr Transparenz und Offenheit zu sorgen, jungen Menschen mehr Verantwortung zu übertragen – diesen Anspruch der Jusos würden Partei und Ratsfraktion inzwischen ganz gut umsetzen, findet sie. „Die Partei hat verstanden, dass man junge Leute in der Politik braucht. Ich wünsche mir, dass dies auch im Alltag der SPD stärker ankommt und die Ortsvereine aktiv auf die Mitarbeit junger Menschen setzen. “