Der Forsa-Experte Peter Matuschek erklärt im Rundschau-Interview, warum die Europawahl ein Wendepunkt für Kölns Politik gewesen sein könnte.
Forsa-Experte zur Europawahl in Köln„Für die Grünen ist das dramatisch“
Was kann man aus dem Kölner Europawahl in Köln für die Stadt ableiten? Gehen die Grünen in den Sinkflug?
Was wir nun bei der Europawahl gesehen haben, ist der vorläufige Endpunkt einer Entwicklung, die wir schon länger beobachten: Sah es Anfang 2022 – als die Grünen bundesweit zeitweise über 20 Prozent lagen – so aus, als ob sie mit ihrem eher pragmatischen Führungsduo Habeck und Baerbock auch für breitere Bevölkerungsschichten wählbar werden könnten, sind sie jetzt definitiv wieder auf ihr ursprüngliches Milieu und ihre Kernklientel, also vor allem Hochgebildete und Akademiker in den großen Städten, zurückgefallen. Wenn sie nun in den Großstädten auch noch weiter verlieren sollten, ist das für die Grünen eine dramatische Entwicklung.
Haben es die Grünen mit Themen wie Klimagerechtigkeit in den Zeiten multipler auch ökonomischer Krisen schwer?
Das zeichnet sich ja auch in Großstädten wie Köln ab. Absolut. Und man muss vielleicht dazu sagen, dass dies im Grunde nie Themen waren, die eine Mehrheit im Land wirklich umgetrieben haben. Das wurde auch bei der Europawahl 2019 immer ein bisschen überzeichnet. Die Grünen profitierten damals eher davon, dass sich die CDU in einer Krise befand, ihr Rückhalt in der politischen Mitte abnahm und ein Teil der von der Union enttäuschten Wähler sich den Grünen zuwandte. Das Thema Umweltschutz wurde erst nach der Europawahl 2019 von mehr Menschen als wichtiges Thema wahrgenommen, als durch den Erfolg der Grünen alle darüber redeten. Die Grünen hatten 2019 bei der Europawahl ihr bestes Ergebnis bei einer bundesweiten Wahl. Das haben sie danach nie mehr erreichen können.
Also sind es die Themenfelder Wirtschaft, Inflation, Arbeitslosigkeit und Sicherheit, auf denen Wahlen gewonnen werden?
Das größte Problem ist für die meisten Bürger im Moment die wirtschaftliche Lage im Land. Dahinter folgen andere Themen wie die Zuwanderung und auch der Unmut über die Bundesregierung selbst. Das Thema Klima und Klimawandel folgt dann erst mit großem Abstand und gehört nicht annähernd zu den wichtigsten Problemen für die Leute. Klimadebatten haben immer dann eine gewisse Konjunktur, wenn sich Umweltkatastrophen wie jüngst das Hochwasser in Bayern und Baden-Württemberg ereignen. Danach tritt das Thema im Bewusstsein schnell wieder in den Hintergrund.
Zudem haben die Grünen mit dem Heizungsgesetz ein Reizthema gesetzt.
Das ist zu einem ernsten Problem für die Grünen geworden, den es gibt mittlerweile in der Gesellschaft einen verfestigten Kern von Bürgerinnen und Bürgern, die spätestens nach dem Theater um das Heizungsgesetz alles grundlegend ablehnen, was von den Grünen an Vorschlägen kommt.
Das Ergebnis der Kölner SPD ist mit 15,2 Prozent ein Desaster. Warum sind die Sozialdemokraten in ihrer einstigen Hochburg so stark eingebrochen?
Ob in Großstädten, im Ruhrgebiet oder auf Landesebene: Die SPD hat ihre Verankerung in der Bevölkerung verloren. Wir haben beim letzten NRW-Check gefragt, welche Spitzenpolitiker der NRW-SPD bekannt sind: Da kommt nicht mehr viel. Der Niedergang der SPD in NRW wurde durch die Regierungszeit von Hannelore Kraft als NRW-Ministerpräsidentin noch etwas überdeckt, aber im Grunde dauert er schon lange an. Die Europawahl ist da nur ein weiterer Tiefpunkt.
Das lässt sich vermutlich nur noch schwer umkehren?
Es gibt durchaus ein großes Wählerpotenzial von Menschen, die der SPD nicht generell abgeneigt sind, aber die Partei in ihrer jetzigen Verfassung schlicht nicht wählen können. Allein unter den Nichtwählern ließen sich viele grundsätzlich noch ansprechen. Doch vielen fehlen die überzeugenden Persönlichkeiten in der SPD. Auch fehlt das Vertrauen, dass die SPD in der Lage ist, die Probleme im Land zu lösen. Zu oft greifen Sozialdemokraten auch Themen auf, die die Bürgerinnen und Bürger gar nicht umtreiben, kümmern sich aber nicht um die Probleme, die die Menschen wirklich bewegen.
Ein weiteres Phänomen in Köln: Volt holte 7,1 Prozent der Stimmen. Die Partei ist im Ratsbündnis vertreten und war offenbar bei Jungwählern sehr beliebt.
Dass bei jüngeren Wählern die einstmaligen Volksparteien schlechter Zugang finden, ist ein Phänomen, das wir auch schon bei der Bundestagswahl beobachtet haben. Die Jungwähler sind einerseits noch nicht so festgelegt, andererseits sind einige der kleinen Parteien offenbar besser in die Lage, junge Menschen anzusprechen als die etablierten Parteien.
Auch das Bündnis Sahra Wagenknecht hat ja überraschend gut abgeschnitten.
Eine Folge der Parteigründung des BSW wird sein, dass die Linke in der Bedeutungslosigkeit verschwinden wird. Trotz punktueller Erfolge auch im Westen ist das BSW bislang allerdings klar eine „Ost-Partei“. In den neuen Bundesländern hat sie gestern bei der Europawahl dreimal so viele Stimmen gewonnen wie im Westen des Landes. Ob das langfristig reicht, um im nächsten Jahr auch in den Bundestag zu kommen, bleibt abzuwarten.