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„Unheimlich, dass er noch frei herumläuft“Fall Seckin Caglar: Bruder spricht über den Verlust und appelliert an Mitwisser

Lesezeit 4 Minuten
Seckin Caglars Bruder berichtet über den Verlust seiner Schwester.

Der Bruder von Seckin Caglar ist sich sicher, dass es Mitwisser gibt.

1991 wurde Seckin Caglar in Köln-Poll ermordet. Ihr Bruder spricht über das plötzliche Ende seiner Kindheit. Er ist sich sicher, dass Jemand etwas gesehen haben muss.

Es ist ein tapferer Auftritt. Gut 32 Jahre nach dem Mord an seiner 16-jährigen Schwester tritt der Bruder am Freitag vor die Presse und öffnete seine Seele. „Das war der Tag, an dem meine Kindheit kaputt gemacht worden ist“, schilderte der Bruder des Opfers, Basri Caglar, der zur Tatzeit acht Jahre alt war. Er bat mögliche Zeugen, die bisher vielleicht aus Angst geschwiegen haben, sich bei der Polizei zu melden. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass damals keiner was gesehen oder gehört hat.“

Der Tag an dem die Kindheit kaputt ging war der 16. Oktober 1991. Auf dem Heimweg von der Ausbildungsstelle von der Haltestelle „Salmstraße“ bis zur Haltestelle „Poll-Autobahn“ wird die 16-Jährige Opfer eines Gewaltverbrechens. Am nächsten Morgen wurde ihre Leiche hinter einem Gebüsch gefunden. Rund 32 Jahre nach dem Mord an einer 16-Jährigen in Köln will die Polizei mit verschiedenen Maßnahmen den Druck auf den Täter erhöhen. „Wir wollen ihm klarmachen, dass wir ihm auf den Fersen sind“, sagte Ermittlungsleiter Markus Weber.

Die Polizei ist zuversichtlich, den Mörder zu fassen.

Bilder der 16-Jährigen hat der Polizei an verschiedenen Orten in Poll aufgehangen.

Zu der DNA-Reihenuntersuchung, die am 18. März beginnt, sind 355 Männer geladen, die 1991 einen Bezug zum Ortsteil Poll hatten. Neben Einwohnern seien etwa auch Kleingartenbesitzer und Bauarbeiter zur Abgabe einer Speichelprobe aufgefordert worden. Die Teilnahme sei freiwillig und richte sich an Zeugen, betonte Weber. Wer nicht mitmacht, müsse jedoch damit rechnen, von den Ermittlern genauer unter die Lupe genommen zu werden.

Mordermittler des „Cold Case“-Team: „Aufgeben ist keine Option “

Das „Cold Case“-Team der Kölner Polizei um Mordermittler Weber hegt große Hoffnungen, den Mörder und Vergewaltiger von Seckin Caglar nach so vielen Jahren doch noch fassen zu können. „Dass ihr Mörder seit mehr als 31 Jahren nicht ermittelt wurde, ist bis heute eine große Belastung für die Familie. Ein Anspruch also an uns, weiter zu machen und neuen Spuren nachzugehen. Aufgeben ist keine Option “, so Weber. Zuletzt gelang der „Cold Case“-Einheit mit der Aufklärung des Mordes an Petra Nohl vor 35 Jahren ein spektakulärer Erfolg .

Es geht zunächst um 355 Männer, die zum Tatzeitpunkt zwischen 14 und 75 Jahre alt waren und einen Bezug zum Stadtteil Poll hatten. Sie werden über ein persönlich adressiertes Einladungsschreiben aufgefordert, in der Janusz-Korczak-Schule eine Speichelprobe abzugeben. „Mit Hilfe neuer wissenschaftlicher Methoden wird die DNA heute so gut analysiert, dass neben dem Spurenverursacher auch mit ihm verwandte Personen erkannt werden können,“ erklärt Weber - auch über drei Jahrzehnte später.Rund um den Tatort in Poll hat die Polizei auf einer Stadtkarte einen Kreis gezogen, fast so, wie es die Behörden nach einem Bombenfund tun, um eine Evakuierungszone festzulegen. Die Ermittler sind überzeugt, dass der Mörder aus dem damaligen Wohnumfeld der 16-Jährigen kommt.

Familie von Seckin Caglar will einen Schlussstrich ziehen

Der Bruder schilderte, wie der Verlust der Schwester sein bisherigen Leben und das Leben der Eltern prägt. Vor dem Tod der Schwester hätte er bei Problemen zu ihr kommen können, doch dies sei nach dem Verlust nicht mehr möglich gewesen – und in der Familie sei dies auch nicht gegangen. Die Eltern seien über Jahre „fix und fertig“ gewesen; erst fünf bis sechs Jahre später hätten sich die Eltern wieder etwas gefangen. Die Schulzeit sei oft schwierig gewesen, weil er immer unter dem Verlust der Schwester gelitten habe, sagte er vor Journalisten. Später fand er einen Freund, der wie ein Bruder für ihn gewesen sei. Basri Caglar ist nun selber Vater geworden und er passt nun intensiv auf die Kinder auf. „Ich bin vorsichtig geworden“.

Der Gedanke an die ermordete Schwester gehe ihm einfach nicht aus dem dem Kopf. Er bat möglicher Mitwisser in Poll ihr Schweigen zu brechen und auch der Täter sollte sich melden. „Es ist unheimlich, dass er noch frei herumläuft“, betont der Bruder. „Er ist wie ein Phantom. Der Mord ist geschehen und danach ist der Mörder verschwunden“. Mit Blick auf eine mögliche Festnahme sagt Basri Caglar, dass dann auch die gesamte Familie endlich einen Schlussstrich in dem tragischen Fall ziehen könnte. Dazu gehöre vor allem seine Mutter, der Vater ist schon verstorben. Es ist sein Ziel, in die Türkei zu reisen und dann seinen Kindern das Grab seiner Schwester zu zeigen. Basra dankte der Polizei, dass der Fall nicht zu den Akten gelegt wurde und erwähnt nebenbei, dass er früher eigentlich Polizist werden wollte.