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Talente machen Schule im BrennpunktErich-Gutenberg-Berufskolleg ausgezeichnet

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Auch die Nutzung von Virtual Reality gehört zum Alltag des EGB.

  1. „Wir haben hier noch kein Blatt Papier gesehen“ - eigentlich ein Satz, den man nicht in der Schule erwartet zu hören.
  2. Doch genau so läuft es am Erich-Gutenberg-Berufskolleg in Buchheim. Die Schule ist digital ausgerichtet und glänzt mit einer ernormen Angebotsvielfalt.
  3. Dafür wurde das EGB bereits vielfach ausgezeichnet. Wir haben uns mal unter die Schüler und Schülerinnen gemischt.

Köln – Konzentriert sitzen die angehenden E-Commerce-Kaufleute in der Klasse vor ihren mitgebrachten eigenen Laptops, feilen an Konzepten zu Kundenkommunikation und Online-Shops. „Wir haben hier noch kein Blatt Papier gesehen, erledigen alles digital“, sagt Marco (23). „Wir sind zweimal die Woche hier im Berufskolleg und sonst im Betrieb“, ergänzt Azubi Giana (23) mit Blick auf die Angebotsvielfalt am Erich-Gutenberg-Berufskolleg , „da bekommen wir von den anderen gar nicht so viel mit.“

Dabei sind die Wege gar nicht weit von der E-Commerce-Klasse bis zur Ausbildungsvorbereitung und Förderprojekten, wo Schüler gerade den Aufbau eines Geschäftsbriefes üben. Im Erdgeschoss treffen sich währenddessen die E-Scouts. „Wir beraten Schüler und auch Lehrer“, erklärt Maria (19). Sie steuert ihr Fachabi an und engagiert sich in der AG. Das Team bringt allen die Technik näher, den Umgang mit Software, Virtual Reality oder neuen e-Sports-Programmen, in die sich Sportlehrer einweisen lassen. Die Simulation eines Autorennens auf High-Tech-Geräten zum Beispiel „bringt ganz schön ins Schwitzen“.

Chance und Herausforderung zugleich

Alltag am EGB: Mitten in Buchheim macht das Berufskolleg mit einem pädagogischen Spagat landesweit Schule. Es ist ein Schmelztiegel für Integration und Inklusion, mit 2200 jungen Menschen aus über 60 Nationen, 100 Lehrern. Die Vielfalt ist Chance und Herausforderung zugleich. „Das ist schon ein Spagat, in 90 Minuten-Takten den Wechsel hinzubekommen vom Fach E-Commerce für Azubis bis zur Vorbereitungsklasse, wo Lernschwierigkeiten oder Defizite beim Sozialverhalten andere Herangehensweisen erfordern“, sagt Dr. Rolf Wohlgemuth, Leiter des EGB. Aus ganz Deutschland besuchen Schulen das Kolleg in der Modemannstraße 25, um sich anzusehen, wie Schule 4.0 aussehen kann – in ihrer ganzen Spannbreite. Auf der einen Seite gilt es mit seinen Ausbildungsgängen als Leuchtturm besonders in Sachen Digitalisierung. Auf der anderen Seite sind die Herausforderungen im sozial benachteiligten Viertel besonders groß, mit einem hohen Anteil an Arbeitslosigkeit, Hartz-IV-Empfängern, Armut.

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Konzentriertes Arbeiten bei den Schülern des Erich-Gutenberg-Berufskollegs.

„Die Integration ist umso wichtiger. Uns ist es ein sehr großes Anliegen, gute Rahmenbedingungen auch für diejenigen zu schaffen, die noch keinen Schulabschluss oder eine Ausbildung haben und beim Lernen besondere Unterstützung brauchen“, sagt der Diplom-Sozialpädagoge mit Blick auf die „Unversorgten“. Sonderpädagogin Sonja Karrenberg ergänzt: „Mit viel Liebe im Herzen ist es uns ein Anliegen, Jugendlichen, die oft eine schlechte Schulhistorie hinter sich haben, Dinge fürs Leben auf den Weg zu geben.“

Pünktlichkeit, Stifte und Hefte

Die Konzepte überzeugen auch das NRW-Schulministerium. Es wählte das EGB als eine der neuen Talentschulen 2020 aus (s.Infotext), um weitere Förderprogramme und Bildungs-perspektiven zu entwickeln. Das wird schon lange am Kölner Kolleg praktiziert. „Bis vor drei Jahren schwänzten sehr viele von rund 100 Unversorgten den Unterricht“, so Wohlgemuth. „Dann haben wir das Konzept für sie deutlich umgestellt.“ Es werden seitdem klar strukturierte Tageslernziele angeboten. Die Schüler können sich für ein Projekt entscheiden, erhalten das Unterrichtsmaterial und abends direkt eine Notenrückmeldung. Pünktlich da sein, Stifte und Hefte mitbringen, gehört zu wichtigen Lektionen. Im Einsatz sind insgesamt auch vier Sonderpädagogen und eine Sozialarbeiterin.

Kolleg mit Profil

Am Erich-Gutenberg-Berufskolleg (EGB) können alle allgemeinbildenden Schulabschlüsse erworben werden, vom Hauptschulabschluss (Klasse 9) bis zur Allgemeinen Hochschulreife. Das Kolleg zählt rund 2200 Schülerinnen und Schüler aus 64 Nationen und etwa 100 Lehrkräfte. Berufliche Schwerpunkte liegen im Büro-Management, Steuerwesen, in den Informationstechnologien und im E-Commerce . Im Rahmen der Weiterbildung kann der Abschluss staatlich geprüfter Betriebswirt/-in erworben werden.

Viele Auszeichnungen und Titel hat die Schule „für Courage und gegen Rassismus“ schon erhalten, „Gesunde Schule“ und „Smart School“, den Lehrpreis für innovativen Unterricht geholt und beim Wettbewerb Digitale Schule 2019 geglänzt. Das NRW-Schulministerium wählte für 2020 25 Talentschulen aus, darunter das Gutenberg-Kolleg als einzige Kölner Schule. Der Schulversuch startete 2019 mit 35 Schulen, davon vier aus Köln.

Talentschulen sollen erproben, „wie die Entkoppelung von sozialer Herkunft und Bildungserfolg an Schulstandorten mit besonderen Herausforderungen gelingen kann“, sagt das Ministerium. Außerdem steht das EGB in der Finalrunde des Wettbewerbs um den hoch dotierten Schwarz-Schulpreis fürs beste Medienkonzept. (MW)

„Die Aufgabe ist für manche wie pädagogisches Steineklopfen. Aber wir haben gezielt Leute gesucht, die neben der Vermittlung der fachlichen Kompetenzen auch viel Beziehungsarbeit leisten wollen“, erläutert der Schulleiter. Mit dem Support für Talentschulen werden Angebote verstärkt, zum Beispiel die intensivere Begleitung auf der Suche nach sinnvollen Praktika – aber nicht in einer Shishabar oder im Kiosk, wie manche Schüler sich das vorstellten. Gegenseitige Wertschätzung und Respekt gehören zu den Leitlinien ebenso wie klares Intervenieren bei Unfug, unkooperativem Verhalten, Gewalt. Mit vier zusätzlichen Lehrerstellen, 2500 Euro fürs Fortbildungsbudget und Beratung, um weitere Konzepte für noch unversorgte Schüler in den fünf internationalen Förderklassen für Flüchtlinge und sechs Klassen zur Ausbildungsvorbereitung zu erproben.

Papierlose digitale Klassenzimmer

Neben den sozialen Herausforderungen müssen sich besonders Berufskollegs dem technologischen Wandel stellen. Das EGB hat sich auf den Weg zur Schule von Morgen mit dem Schwerpunkt Digitalisierung gemacht. Dazu zählen Projekte rund um Themen wie Robotik und Künstliche Intelligenz, Datensicherheit. Am Kolleg wird mit Hochgeschwindigkeit von einem Gigabit gelernt. Es gibt flächendeckend WLan, PCs und Beamer. Im Bildungsgang E-Commerce nutzen alle Online-Lernplattformen in papierlosen digitalen Klassenzimmern. Über das Programm Office 365 werden etwa Materialien bereitgestellt, über Lerninhalte gechattet, Klassenbücher geführt.

Ein Angebot für besonders begabte Schüler sind die beliebten Robotik-AGs. „Mister Pepper“ wurde zum Beispiel in der Porzer Kinderklinik eingesetzt. Er animiert kleine Patienten zu Fitnessübungen oder unterhält sie mit Star-Wars-Erzählungen. Auch als Vokabeltrainer für Kollegschüler sind Roboter im Einsatz. Ein weiterer Baustein sind Konzepte für eine gute Gesunde Schule, die helfen, Burnout-Syndrome oder Mobbing früher zu erkennen. Verstärkte Sportphasen fördern auch den Spaß am Lernen und das Miteinander, versichern Pädagogen. Virtual Reality-Brillen kommen zum Beispiel im Unterricht von Bürokaufleuten bei Entwürfen zur Arbeitsplatzgestaltung zum Einsatz, um virtuelle Büros zu begehen. „Das ist viel anschaulicher als auf Millimeterpapier“, loben Azubis. Smart, digital, voller Talente. Nun nimmt das EGB-Team das nächste Ziel ins Visier: Die Bewerbung um den Deutschen Schulpreis 2021.