Ein RundgangWie die Kölner die Zeit kurz vor Beginn der Ausgangssperre nutzen
Köln – Es ist erstaunlich mild an diesem Samstagabend. Schön mild, verboten mild. Es bleiben noch zwei Stunden.
19.00 Uhr Auf den Wiesen im Inneren Grüngürtel tummeln sich die Menschen. Die Stimmung ist ausgelassen, irgendjemand spielt Musik, und ein paar Jungs pritschen einen Volleyball hin- und her. Ein paar Jogger beobachten das Spektakel mit einer Mischung aus Neugier und Misstrauen. Die Grünfläche erinnert an eine überfüllte Liegewiese im Freibad – nach Pandemie sieht das nicht gerade aus.
Seit einer Woche gehört die nächtliche Ausgangssperre nun zum Alltag der Kölnerinnen und Kölner. Je schöner das Wetter wird, desto schmerzhafter die abendliche Beschränkung. Die Zeit bis 21 Uhr ist plötzlich ungeheuer wertvoll. Nicht jeder hat Terrasse oder Balkon, genauer gesagt: die meisten nicht. Also: Nix wie raus noch mal. Wie nutzen die Leute die letzte Freiluft-Stunde des Tages?
Karen Höhnisch hat sich zusammen mit ihrer Mitbewohnerin Marlena und ihrer Freundin Frederike auf einer Decke unweit des Colonius ausgebreitet. Das Trio hat ein paar Snacks dabei, außerdem liegt ein Kartenspiel in der Mitte. „Wir sind nach draußen gekommen, weil wir nach dem langen Tag vor dem Bildschirm noch ein bisschen Sonne mitnehmen wollten“, erklärt die 27-jährige Prozessmanagerin. „Hier fühlt es sich so normal an – als könnte man einfach unter Leuten sein.“
Sie deutet auf das Schauspiel um sich herum: Ein paar Meter entfernt jongliert ein Mann, weiter hinten spielen zwei Jugendliche Spikeball. „Es gibt so viele unterschiedliche Aktivitäten zu sehen,“, ergänzt Marlena: „Das ist total interessant.“ Das wird sich kurze Zeit später ändern.
Trotz der bundesweiten Regelung, die eine Ausgangssperre erst ab 22 Uhr vorsieht, bleibt es in Köln bei der Sperrstunde von 21 Uhr bis fünf Uhr. So hat es der Krisenstab der Stadt am Freitag entschieden. Anders als bei der eher soften „Bundessperre“ ist auch der nächtliche Spaziergang oder Joggen im Mondschein untersagt.
19.45 Uhr Stefan Detmar und sein Kumpel Johannes haben ebenfalls die Uhr im Auge. „Wir wollen noch einkaufen gehen“, erklären die beiden. „Durch die Sperrstunde sind so schöne Abende stark begrenzt“, fügt Stefan hinzu. „Gerade jetzt, wo es wärmer wird, ist das schon schade.“ Mit der Meinung ist er an dem Abend nicht alleine. Viele sagen, dass es schwerfalle, so früh nach Hause zu gehen. „Im Zweifel überlegt man eben, ob man wirklich schon um neun geht oder doch die Nacht bei einem Kumpel verbringt“, ergänzt der 26-Jährige. Aber ob das so der Sinn der Sache sei? Wohl eher nicht.
20.00 Uhr Nicht nur in den Parks, auch in der Südstadt nutzen die Menschen die Zeit vor der Heimkehrpflicht. Obwohl die Sonne inzwischen hinter den Dächern verschwunden ist, stehen die Menschen in Grüppchen zusammen. Lachen, trinken, Frischluft genießen. Florian Lütjen und Tim Spark haben sich auf einer Mauer an der Merowingerstraße niedergelassen und sich beim Café gegenüber Getränke geholt. Die Studenten wollen noch „Südstadt-Feeling“ aufschnappen. Später werden sie sich in der Nähe etwas zu essen holen. „Support your Veedel“ (Unterstütz’ Dein Veedel), fügt Spark grinsend hinzu.
20.25 Uhr Bei den Kranhäusern ist es schon deutlich leerer, die Poller Wiesen liegen im Schatten. „Wir sind auf dem Nachhauseweg“, erklären Verena und Helmut Weingarten. Das Paar dreht eine letzte Runde mit ihrem Hund Buddy. Normalerweise würden sie noch mal um kurz vor Mitternacht mit ihm rausgehen. Erlaubt wäre das. Im Zuge der Ausgangssperre versuchen sie aber, es bereits um neun Uhr zu erledigen. „So richtig klappt es noch nicht“, resümiert Verena Weingarten lachend. Einem Hund könne man schließlich schwer erklären, was Corona-Schutzmaßnahmen bedeuten.
20.40 Uhr Auch im Rest der Stadt macht sich Aufbruchsstimmung breit. „Uns ist kalt, deswegen würden wir jetzt sowieso gehen“, erklärt ein junger Mann lachend. Auch Lehrerin Christine Reker und ihre beiden Kollegen bereiten sich auf den Abschied vor. Wie viele andere finden die drei, dass es zu früh ist. Sie würde es vorziehen, wenn sich Köln an der Bundeslösung orientieren würde. „Die eine Stunde macht schon einen Unterschied“, so die 45-Jährige. „Dann müsste man wenigstens nicht im Hellen nach Hause gehen.“
21.00 Uhr Der Himmel hat einen pinkfarbenen Ton angenommen, in den Häusern gehen die Lichter an. „Sperrstunde, ihr müsst nach Hause“, ruft einer eher scherzhaft. Ein junger Mann mit einem Bierkasten unter dem Arm radelt die Straße entlang, vor einem Imbiss stehen noch vereinzelt Menschen. Ganz leer ist es um Punkt neun noch nicht. Aber nach Normalität fühlt es sich jetzt definitiv auch nicht mehr an.