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Unterwegs mit einem SeelsorgerWie Insassen im Kölner Gefängnis den Advent erleben

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Diese Kerze gehört zu denen, die Gefängnisseelsorger Carsten Schraml an die Insassen verteilt. Es ist das einzige offene Feuer, das ihnen gestattet ist.

Diese Kerze gehört zu denen, die Gefängnisseelsorger Carsten Schraml an die Insassen verteilt. Es ist das einzige offene Feuer, das ihnen gestattet ist.

Pfarrer Carsten Schraml ist Gefängnisseelsorger in der JVA Ossendorf. Wir haben ihn bei einem Rundgang durch das Gefängnis begleitet und die Stimmung eingefangen.

Als wären die Mauern nicht dick und die Stäbe nicht hart genug, senkt sich in diesen Tagen eine schwere Glocke aus Wolken und Nebel über die Justizvollzugsanstalt in Ossendorf. Carsten Schraml schaut durch die vergitterten Fenster auf einen kleinen Ausschnitt des trüben Herbsthimmels: „Dass kaum noch ein Sonnenstrahl durchdringt, das ist schwer auszuhalten“, sagt der Gefängnisseelsorger. Schon an „normalen“ Tagen nicht. Und schon gar nicht in diesen. Advent im Knast. „Tag für Tag wird jetzt die Bleiplatte schwerer, die auf diesem Haus hier liegt“, atmet Schraml tief aus, als drückte sie ihn schon auf seine Brust.

Wer mit den Kirchenbauten aus der Nachkriegszeit hadert – hier haben die harten Betonwände, die kühle Atmosphäre etwas Gutes. Fast könnte man sich wie in einem Gotteshaus „da draußen“ fühlen, in der Kirche der JVA Ossendorf. Fast die nie enden wollende Gänge vergessen, die zum Kirchraum führen, nur unterbrochen von unzähligen Gittertüren. Vor dem Altar steht ein Adventskranz. Die Tannenbäume sind geliefert. Der Seelsorger lenkt den Blick nach oben auf die Empore: „Wir haben eine richtige Orgel.“ In den neu gebauten Gefängnissen gebe es ja meist nur noch einen multifunktionalen Raum mit Stühlen.

Gottesdienste haben regen Zulauf in diesen Tagen

In Ossendorf stehen stattdessen Holzbänke. Viele. „Oh ja, die Gottesdienste sind ziemlich gut besucht“, sagt der Pfarrer. „Und zu Weihnachten noch mal so gut.“ Da braucht es Logistik. Jeden Samstag werden drei Gottesdienste angeboten, und sonntags zwei. Nach Konfessionen aufgeteilt. „Glaube: Hier lebt er, hier trägt er“, sagt er. Die Bibel: Im Knast kriegt sie ein ganz anderes Gewicht. Worte aus den Psalmen, die sonntags da draußen schöne Prosa sind, „hier hören sie sich ganz anders an“, sagt Schraml. „Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen“ (Psalm 18). „Du stellst meine Füße auf weiten Raum“ (Psalm 31). Worte, die über die Haft hinweg Halt und Hoffnung geben. Hoffnung, die im Advent zur Sehnsucht wird.

Zeit und Raum verschwimmen zu einem Grau

Schraml greift sich die drei schweren Schlüssel am Bund. Er will dahin, wo die Sehnsucht mit Händen zu greifen ist, wo sie ins Auge springt. Was er zeigen will, kündigt sich auf dem Weg schon an. „Hallo Herr Schraml! Wie geht es Ihnen? Gut? Das freut mich! Haben Sie es schon gesehen?“, rufen ihm Frauen zu, die unterwegs sind. Zur Wäscherei, zur Töpferei, zur Schneiderei, zurück zur Zelle. Waren es fünf, waren es zehn Gittertüren, die er passieren musste? Dauerte es drei oder sieben Minuten? „In diesen Gängen verschwimmen Zeit und Raum in einem endlosen Grau“, sagt der Seelsorger. Doch nun ist er da. Die letzte Tür. Dahinter das Hafthaus der Frauen. An der Treppe, den Decken, an den Gittern hängen sie.

Christbaumkugeln, Tannengirlanden, Lametta-Schlangen. Dicht an dicht. Wären da nicht die schweren Zellentüren, fast wäre es kitschig. „Weihnachten hat hier zwei Seiten“, sagt er. Die Freude in dem Ruf: „Haben Sie es schon gesehen?“, ist die eine. Auf der anderen ist ein tiefer Schmerz. Der Seelsorger kann ihn nicht nehmen. Er kann nur zuhören. Hier und da bei Formalien helfen. Es ist ja auch nicht so, dass es zu Weihnachten ein anderer Schmerz wäre, als zu anderen Zeiten. Die endlosen Tage, die an Mauern zerbrochenen Beziehungen, das Warten auf die Berufung. Nur zu Weihnachten geht das alles tiefer, umklammert die Seele fester. „Wir stecken in diese Zeit viel Energie rein“, sagt Schraml. Er könnte auch sagen: Muskelkraft.

Er und seine Kollegen machen sich auf den Weg. Wieder mal durch die langen Gänge. Von Zelle zu Zelle. Mit einem Karton voller Kerzen in der Hand. Eine ganz einfache, rote Kerze, gerade mal fünf Zentimeter hoch. Und doch wie ein Pflock in der Gefängnisordnung. „Offenes Licht ist in den Zellen nicht erlaubt. Nur eine Zigarette darf angezündet werden“, erklärt der Geistliche. Die Ausnahme: Diese kleine rote Kerze. Natürlich nicht bei allen – es gibt eine Reihe von Insassen, die erreicht der Pfarrer nicht –, aber doch bei vielen: „Da geht ein Leuchten übers Gesicht, wenn ich die überreiche“, berichtet Schraml.

Das Leuchten auf dem Gesicht eines Menschen, der womöglich einem Anderen das Leben verfinstert hat? „Ich spreche die Tat nicht von mir aus an“, sagt der Gefängnisseelsorger. „Ich versuche, das auszublenden. Ich bemühe mich jedenfalls darum.“ Den Menschen ein Mitmensch sein, beschreibt er sein Arbeitscredo. Weihnachten erst recht. „Aber immer geht das nicht“, räumt er ein. Manchmal begleitet er einen Häftling auf Wunsch zum Gericht, hört die Anklage, das Urteil. Kriegt er es nicht mehr aus dem Kopf, „dann bitte ich einen Kollegen, zu übernehmen“, sagt Schraml.

Im Januar kommt der „selige Alltag“ zurück

Für die letzte Tür des Tages hat auch Schraml keinen Schlüssel. Wenn er Feierabend macht, rauswill aus der JVA Ossendorf, muss er klopfen, ist auch er auf einen Wärter angewiesen. Als er ins Freie tritt, ist es noch derselbe Himmel wie zu Beginn. Schwere, tief hängende Wolken, aus denen Nieselregen fällt. „Aber ist es jetzt nicht eine andere Luft? Atmet man nicht unweigerlich auf?“, fragt er. Er mag seine Aufgabe: „Meine Tätigkeit erfüllt mich, sie ist für beide Seiten befriedigend.“ Und natürlich mag er auch Weihnachten, ansonsten hätte er wohl seinen Beruf verfehlt. Und dennoch freut er sich auf den Januar. „Dann kommt der selige Alltag zurück“, sagt er. Dann wiegt die Bleiplatte nicht mehr so schwer.