Mit „Camusi“ startet in Köln und Umgebung demnächst ein bislang einzigartiges Musikprojekt für pflegebedürftige Menschen.
Kölner PilotprojektMusiker spielen Wohnzimmerkonzerte für Pflegebedürftige
Die sanfte Melodie des „Ave Maria“ in der Fassung von Bach/Gounod scheint durch den Raum zu schweben. Geiger Jesús Merino zieht damit ein knappes Dutzend Zuhörerinnen und Zuhörer für einige Minuten in den Bann der Musik. Jeder im kleinen Publikum versucht sich vorzustellen, wie es wohl wäre, mit dem Musiker ganz alleine in einem Raum zu sein. Die meisten Zuhörenden sind Pflegefachkräfte, denen eine besondere Form des Hauskonzerts in Neuehrenfeld vorgestellt wird. Ein Konzert nur für einen Menschen.
Das ist nämlich der Grundgedanke des Konzepts von „Camusi“, das demnächst als Pilotprojekt in Köln, Solingen und Lindlar startet. Für das Angebot eines exklusiven Konzerts in den eigenen vier Wänden, bei dem auch noch Zeit für ein wenig Unterhaltung mit gegenseitigem Austausch über die Musik oder das Konzerterlebnis selbst bleiben soll, hat die Urheberin der Idee ganz bestimmte Menschen im Blick. „Wir möchten zu den Menschen gehen, die zu Hause betreut werden und keine Möglichkeit mehr haben, nach draußen geschweige denn zu einem Konzert zu gehen“, erklärt Mirjam Toews. Es geht um pflegebedürftige Personen, die durch Krankheit, Alter oder körperlichen Verschleiß von kultureller Teilhabe weitgehend ausgeschlossen sind.
Konzerte für Pflegebedürftige sind in der Schweiz bereits angelaufen
In der Schweiz hat die in Ludwigshafen geborene Violinistin und Musikmanagerin mit „Musik-Spitex“ dieses Konzept seit 2020 bereits umgesetzt. In Deutschland ist es bislang noch einzigartig. Mit dem Verein Gesundheitsregion Köln und dem Unternehmen Krankenpflegedienste Köln hat sie Partner, um die zunächst 30 Mini-Konzerte im November und Dezember in Deutschland erstmals stattfinden zu lassen. Zehn davon sind in Köln geplant und bereits vergeben. Wenn sie erfolgreich sind, soll das Konzept in Deutschland etabliert werden.
Dabei kommt ein professioneller Musiker oder eine Musikerin zu einem etwa 20-minütigen Vortrag in die Wohnung oder auch das Zimmer innerhalb einer Betreuungseinrichtung. Was gespielt wird, kann vorher vereinbart werden. Vorzugsweise ist es Klassik. Meist kommen Geige oder Cello zum Einsatz, auch Akkordeon oder Harfe. Gegebenenfalls wird auch Begleitmusik per Bluetooth-Box dazu abgespielt, sodass der Vortrag ein Halbplayback ist. Dass bei der Gelegenheit noch weitere Angehörige oder Nachbarn hinzukommen oder rund um die Darbietung ein geselliges Programm geboten wird, ist aber nicht erwünscht.
Musikalisches Gedächtnis von Kranken ist lange ansprechbar
„Es geht um das individuelle Erlebnis. Es entstehen beinahe intime Momente zwischen den Vortragenden und den Menschen, für die gespielt wird“, sagt Mirjam Toews, die auch selbst bei den Hauskonzerten zum Instrument greift. Sie studierte Viola in Karlsruhe, Paris, Bern und Oslo. Durch Musik und soziale Projekte Veränderung herbeizuführen, sei ihr seit ihrem Studienaufenthalt in Norwegen wichtig geworden. Damals besuchte sie Altenzentren, um älteren Menschen durch Musik Hoffnung zu machen. In der Schweiz arbeite sie inzwischen auch mit Musiktherapeuten zusammen, wenn es darum geht, Konzerte für Komapatienten oder Demenzkranke zu geben. Es sei belegt, dass das musikalische Gedächtnis der Menschen sehr lange ansprechbar ist.
Barbara Prinz, Geschäftsführerin der Krankenpflegedienste Köln, will die Konzerttermine zusammen mit ihren Fachkräften organisieren. „Es wird bestimmt auch für unsere Pflegekräfte ein Erlebnis sein. Eine Gelegenheit, die Menschen, die sie betreuen, von einer ganz anderen Seite kennenzulernen“, ist sie sich sicher.
Der Name „Camusi“ für das Projekt kann als Abkürzung für „care and music“ interpretiert werden, also Pflege und Musik. Die Pilotphase wird wissenschaftlich begleitet. Zur Finanzierung wurde eine Crowdfunding-Aktion gestartet.