AboAbonnieren

Mehr als Alkohol und PartyWagenbau-Workshop bringt jungen Menschen Karneval näher – Appell an Stadt

Lesezeit 4 Minuten
Stolz auf ihre Karnevalsfiguren: Schülerinnen und Schüler des Berufskollegs Ehrenfeld mit der projektleitenden Lehrerin Rebecca Lönhardt (mit Blumenstrauß) und Schulleiter Johannes Segerath (7.v.r.). Um zu gratulieren, kamen Simone Kropmanns (mit Kappe), Präsidentin der Kölnischen KG, und „KultCrossing“-Chefin Christa Schulte (rechts daneben).

Stolz auf ihre Karnevalsfiguren: Schülerinnen und Schüler des Berufskollegs Ehrenfeld mit der projektleitenden Lehrerin Rebecca Lönhardt (mit Blumenstrauß) und Schulleiter Johannes Segerath (7.v.r.). Um zu gratulieren, kamen Simone Kropmanns (mit Kappe), Präsidentin der Kölnischen KG und die „KultCrossing“-Chefin Christa Schulte (rechts daneben).

Das Berufskolleg Ehrenfeld hat dank „KultCrossing“ Figuren für den Schull- und Veedelszöch gebastelt. Auf was die Schule mit ihrer Kunst aufmerksam machen will.

Ein riesiger Schnuller schwebt über Alirezas Kopf. Der Schüler hat die Stange, auf der die Figur aus Pappmaché und Draht steckt, fest im Griff – und lächelt stolz. Vor rund einem Jahr kam der 18-jährige Iraner nach Köln. Bisher hatte er gehört, dass es beim Kölner Karneval nur um Alkohol geht. Nichts für mich, dachte er deshalb. Jedenfalls bis er an dem Workshop „Karnevalswagenbau“ an seinem Berufskolleg in Ehrenfeld teilnahm.

40 Schülerinnen und Schüler planten und bastelten in diesem Rahmen fünf Figuren, mit denen sich einige von ihnen am Karnevalssonntag beim Schull- und Veedelszöch präsentieren. Fünf Monate lang dauerte der Prozess, bei dem sie der professionelle Kölner Wagenbauer Werner Blum unterstützte.

Die Figuren – unter anderem ein Schnuller, Cocktailglas und Wurstspieß – symbolisieren Ausbildungsgänge, die am Berufskolleg angeboten werden. Damit will die Gruppe darauf aufmerksam machen, wie wichtig das Berufskolleg besonders in Zeiten des Fachkräftemangels ist. Organisiert wird der Workshop von dem gemeinnützigen Unternehmen „KultCrossing“, dessen Ziel es ist, Jugendliche in Berührung mit Kultur zu bringen. Hauptsponsor ist der Verein Großer Senat.

Besuch der Wagenbauhalle Maarweg und Karten für Karnevalssitzung

„Mit diesem Projekt erreichen wir gleich mehrere Ziele auf einmal! Jugendliche verschiedenster Herkunft haben Teil an schönster Kölscher Tradition und erleben Karneval eben nicht als Party-Event, sie bilden ein Team, mit dem sie kreativ und handwerklich arbeiten, und sie setzen sich mit einem wichtigen gesellschaftlichen Thema wie dem Fachkräftemangel auseinander“, erklärte „KultCrossing“-Chefin Christa Schulte.

Bei einem gemeinamen Besuch der Wagenbauhalle am Maarweg können die Schülerinnen und Schüler zum Abschluss Einblicke in die Arbeit von Profi-Künstlern bekommen. Dort entstehen jedes Jahr die Wagen für den Rosenmontagszug. Auch mit dem Sitzungskarneval sollen die Teilnehmenden in Berührung kommen. Die Kölnische KG spendet deshalb Tickets für ihre große „Familijesitzung“.

Dass Alireza den überdimensionalen Schnuller für das Gruppenfoto präsentiert, ist kein Zufall. Sein Traum ist es, als Erzieher in einer Kita zu arbeiten. Aktuell besucht er die internationale Förderklasse des Berufskollegs, um Deutsch zu lernen.

Alireza aus dem Iran (l.) und Rahmat aus Afghanistan haben durch das Karnevalsprojekt zum ersten Mal Kontakt zum Fastelovend.

Alireza aus dem Iran (l.) und Rahmat aus Afghanistan haben durch das Karnevalsprojekt zum ersten Mal Kontakt zum Fastelovend.

Auch sein Mitschüler Rahmat (18) hat an den Figuren gebastelt. Er kommt aus Afghanistan und lebt seit rund einem Jahr in Köln. „Ich würde gern eine Bäckereiausbildung machen“, erklärt er seine Pläne. „Sie sind die Fachkräfte von morgen“, sagt seine Lehrerin Rebecca Lönhardt, die das Bastelprojekt geleitet hat. „Wir sind gerade auf der Suche nach Praktikumsplätzen. Darauf freuen sich die beiden sehr, weil sie angefixt sind, schnell eine Ausbildung zu finden und auf den Arbeitsmarkt zu kommen.“

Erstmal steht aber der erste Karnevalszug für die beiden an, bei dem sie nach der Bastelaktion unbedingt mitlaufen wollen. In der Regel seien die Leute aus der internationalen Klasse an Weiberfastnacht oder dem Elften Elften erstmal vom Karneval schockiert, erzählt Lönhardt lachend. „Deswegen war das Projekt eine coole Integrationsarbeit. So konnten sie sich rantasten.“

Lernen durften sie bei dem Projekt auch von Expertinnen wie Anna. „Ich komme aus einer Karnevalsfamilie“, sagt sie schmunzelnd. Rund eine Woche hätte das reine Basteln gedauert, sagt sie mit Blick auf die schätzungsweise 15 Kilogramm schweren Figuren. Ihre Mitschülerin Stella, die aus dem Umland kommt und vorher noch nichts mit Karneval am Hut hatte, findet: „Es war sehr interessant zu sehen, wie die Figuren gebaut werden.“ Hinzubekommen, dass sie stabil sind und trotzdem realistisch aussehen, sei nämlich gar nicht so einfach.

„Ich habe das Gefühl, dass die Schüler total stolz auf ihre Produkte sind“, sagt Schulleiter Johannes Segerath. Dass sie durch das Projekt auf sich aufmerksam machen können, freue ihn sehr. Insbesondere zu einer Zeit, in der viele Schulen Kürzungen aufgrund der Finanzkrise der Stadt befürchten. Um praktische Fähigkeiten zu vermitteln – wie sie in den meisten Ausbildungsgängen nötig sind – brauche es dringend genügend Raum und die richtige Ausstattung. „Die Angst macht sich langsam auch bei den Schülern breit.“

Das Berufskolleg sei nicht nur wichtig, weil es Fachkräfte hervorbringt. Für viele junge Menschen stelle es eine unverzichtbare Anlaufstelle dar. „Wir haben immer mehr junge Leute, die ohne Abschluss die Schule verlassen und später kein Bein auf den Boden bekommen, wenn es um einen Platz in der Arbeitswelt geht. Da haben gerade wir Berufskollegs die Aufgabe, eine Brücke zu bauen.“