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Brutal ehrlichDoku-Serie zeigt den Aufstieg des Circus Roncalli

Lesezeit 4 Minuten

Zirkus-Gründer Bernhard Paul mit Tochter Lili

Die Doku-Serie „Roncalli - Macht der Manege“ erzählt die Geschichte von Bernhard Paul und seinen fast geplatzten Traum vom eigenen Zirkus.

„Nur wer brennt, kann entzünden.“ Diesen Satz hat Roncalli-Gründer Bernhard Paul in seinem Leben schon in etlichen Interviews gesagt. Und auch seine Geschichte hat er häufig erzählt. Er ist der Junge aus Österreich, der schon immer vom Zirkus fasziniert war. Der 1975 seinen Traum wahr machte und gemeinsam mit André Heller den Circus Roncalli gründete. Der eigentlich ein Clown sein wollte und sich seinen Zirkus drumherum baute.

Die Doku-Serie „Roncalli - Macht der Manege“ erzählt die Geschichte des Visionärs Bernhard Paul ein wenig anders. Es geht um flammende Leidenschaft für den Zirkus, am Rande auch um Sägemehl und Seifenblasen. Vor allem geht es aber um die Machtkämpfe in der alteingesessenen Zirkus-Welt. Barum, Althoff, Krone und Sarrasani sind Konkurrenten, die Bernhard Paul zuerst nicht ernst nehmen und später öffentlich in Verruf bringen. Was ihnen nicht gefiel? Der poetische Ansatz von Roncalli. „Zirkus muss Zirkus bleiben, da kann man nicht experimentieren“, sagte Franz Rosak, damaliger Präsident des Direktorenverbands 1976 im österreichischen Fernsehen.

Kein Roncalli-Werbefilm

Das Kamerateam begleitete die Familie Paul auch zum Gastspiel in New York 2023.

„Es ist eine ‚David-gegen-Goliath‘-Story“, sagt Simon Tanschek. „Eine motivierende Geschichte, die mit Zirkus erst mal gar nichts zu tun hat. Mit der Botschaft: Du kannst es schaffen.“ Der Kölner Filmemacher hat die Leidenschaft für den Zirkus mit Bernhard Paul gemein, auf dem Dachboden seiner Eltern hat er wie Paul alte Plakate und Zirkusmodelle gesammelt. „Damit hatte ich seine Sympathie“, sagt Tanschek im Gespräch mit der Rundschau. „Sein Vertrauen konnte ich jedoch nur gewinnen, weil ich immer mit offenen Karten gespielt habe.“ Keine gewöhnliche Zirkus-Doku und schon gar kein Roncalli-Werbefilm, sondern eine universelle Geschichte, authentisch, mitreißend und emotional sollte es werden. „Wir wussten, dass wir auch Grenzen überschreiten müssen, um tiefe Emotionen wieder wach zu kitzeln“, so Tanschek.

Das ist den Regisseuren Simon Tanschek und Lukas Hoffmann sowie Drehbuchautor Christoph Mathieu gelungen. In drei Serien-Teilen wird die Geschichte von Roncalli weitestgehend chronologisch erzählt, beginnend mit der Zirkus-Gründung von Bernhard Paul und André Heller, und der Trennung der beiden im Streit bereits ein Jahr später. Heller nahm den Großteil der Artisten mit, Paul blieb mit Schulden zurück. „Das war die härteste Zeit meines Lebens. Es gab Sequenzen, wo ich nicht mehr leben wollte“, sagt Bernhard Paul in einer Intervieweinstellung. So brutal ehrlich hat man den Österreicher selten zurückblicken sehen.

In Interviews kommen Weggefährten und die Familie von Bernhard Paul zu Wort.

Doch Bernhard Paul gibt nicht auf, brennt weiter. Im Schneetreiben versteckt er seine Zirkuswagen und schmuggelt sie schließlich nach Deutschland. In der ehemaligen Schokoladenfabrik „Stollwerck“ in der Kölner Südstadt wohnt er in einem Wohnwagen, das Gelände ist damals von jungen Leuten besetzt. Paul findet Mitstreiter und tritt schließlich auf dem damaligen Josef-Haubrich-Hof auf. Hier beginnt 1980 die legendäre „Reise zum Regenbogen“. Dramatisch wird es wieder, als die Katastrophe in Tschernobyl und das Gastspiel in Moskau, auf das Roncalli als erster westlicher Zirkus der Welt eingeladen wurde, zusammenkommen. Emotional ist Bernhard Pauls tiefe Enttäuschung über den Clown Fumagalli.

Interview im Käfig: der ehemalige Raubtierdompteur René Strickler

Teils noch nicht gezeigtes Archivmaterial vermischen die Macher der Doku-Serie mit einigen wenigen nachgestellten „Mood-Bildern“, etwa Paul als schüchternes rothaariges Kind mit Brille oder bei ersten Treffen mit seiner späteren Ehefrau Eliana. Ihre Rolle übernimmt dabei die jüngste Tochter Lili, die große Ähnlichkeit mit ihrer Mutter hat. Dazu kommen etliche Interviews mit Zeitzeugen, die das Regie-Duo Hoffmann und Tanschek zum Großteil in den Zirkuswagen von Roncalli geführt haben, um die Protagonisten bereits „in das emotionale Setting von damals zu versetzen“, so Showrunner Tanschek.

Neben der Familie Paul kommen alte Weggefährten zu Wort, etwa der ehemalige Raubtierdompteur René Strickler, Kapellmeister Georg Pommer, der frühere Geschäftsführer Peter Koschkar oder die Kölner Kostümbildnerin Maria Lucas. Interviews haben die Macher auch mit Rebecca Siemoneit-Barum und ihrer Mutter Rosalind geführt - ein wertvoller Einblick in eine andere Zirkusfamilie, die wie Rivalen miteinander umgegangen sind.

Ein Kinderdarsteller spielt den jungen Bernhard Paul.

90-minütige Filmfassung kommt im TV

Drei Folgen hat die Doku-Serie, die neben dem Gastspiel in New York 2023 die Familie Paul auch in ihrem Winterquartier in Köln und auf Mallorca aufgesucht hat. Zu sehen ist sie in der ARD-Mediathek. Eine 90-minütige Filmfassung wird am Samstag, 4. Januar, um 18.20 Uhr im ARD-Fernsehen ausgestrahlt. „Wer kann, sollte sich alle drei Folgen in der Mediathek ansehen“, sagt Christoph Mathieu. Im eingekürzten Film fehlt etwa die spektakuläre Kostümentführung durch Maria Lucas kurz vor der Premiere 1980. Produziert haben die Serie die UFA Documentary und Marc Lepetit mit dem NDR, WDR und SWR unter der Federführung von Marc Brasse (NDR).