Heinz-Wilhelm Esser, genannnt „Doc“, ist Arzt, Fernseh- und Hörfunkmoderator, Autor und Musiker. Mit ihm sprach Bernd Imgrund über Schwimmen, Punkrock und misslungene Tattoos
„Doc Esser“ im Interview„Es bringt nichts, 110 Jahre alt zu werden und nicht gelebt zu haben“
Der Haus-Hamster der Essers heißt Speedy und ist im Gegensatz zu seinen Artgenossen auch tagsüber schwer aktiv. Ein wenig ähnelt er in dieser Hinsicht seinem umtriebigen Herrchen.
Sie sind Jahrgang 1974. Wie kommt man da an den Vornamen Heinz-Wilhelm?
Ich war der Erstgeborene zweier großer Sippen und die Opas meinten: Der Junge muss nach mir benannt werden. Jetzt können Sie sich denken, wie die beiden hießen: Heinrich und Wilhelm.
Kommt man damit gut durchs Schulleben?
Nein, der Anfang war Horror. Egal, in welche Gruppe du neu reinkommst und dich vorstellst, du erntest Gelächter. Aber wer mich kennt, sagt Heiwi.
Sie sind vereinsmäßig geschwommen. Wo lagen Ihre Stärken?
Da ich immer den Startschuss verpennt habe, war ich zwangsläufig Langstreckler: 1500 Meter Freistil und 200 Meter Rücken.
Wie fühlt man sich, wenn man vor der Schule zum Schwimmtraining geht?
Wie der Hero! Bis heute ziehe ich morgens meine Bahnen und strukturiere dabei meinen Tag. Ich bin ja eh ein Berufsoptimist, aber nach dem Schwimmen ist meine Laune umso besser.
Inwiefern bringt Schwimmen Struktur?
Sport ist für mich ein Reset des Hirns. Aller Zellmüll, aller „Datenmüll“ in meinem Kopf wird in die richtigen Fächer geschoben. Dadurch wird mir klar: Problem A ist eigentlich gar keins, sondern eine Herausforderung. Und Problem B muss ich zwar angehen, aber das ist zu schaffen.
Was war Ihr größter Erfolg als Schwimmer?
Ich war Westfalenmeister und durfte zur Deutschen Meisterschaft fahren. Und bei den Herren schwamm ich in der Zweiten Bundesliga − als Allrounder: Ich konnte nichts richtig gut, aber alles einigermaßen.
Viele Kinder heutzutage können nicht schwimmen.
Wirklich gruselig. Zum einen ist das gefährlich, jedes Jahr gibt es Badetote. Zum anderen: Wir sehen zunehmend Adipositas schon bei Kindern, verbunden mit den entsprechenden Erkrankungen. Zuckerkrank waren früher Oma und Opa, heute auch junge Männer von Mitte 30. Durch Sport, durch Bewegung reduzierst du solche Risiken enorm.
Unterwassergeburten: eher Trauma oder Glück?
Da will ich niemandem reinreden. Ich war selbst ein Trauma: eine Saugzangengeburt. (lacht) Meine Mutter wirft mir das bis heute vor.
Sie sind auch Musiker und haben mit dem Akkordeon begonnen.
Weil ein älterer Nachbarsjunge eines hatte. Danach kam die Kirchenorgel.
Gitarre lernten Sie dann im Rahmen einer Selbsttherapie?
Bei einem Fensterunfall mit 16 habe ich mir die Sehnen und Nerven der rechten Hand durchtrennt. Die Ärzte glaubten, die Hand bleibt steif, aber das wollte ich nicht einsehen. Also habe ich mir Gitarrenspielen beigebracht, um die Finger zu reaktivieren. Ich war damals ein großer Fan von Deutschpunk.
Ich habe die Anfänge der Sex Pistols, von The Clash und The Damned miterlebt.
Zur Person
Heinz-Wilhelm „Doc“ Esser wurde 1974 in Mönchengladbach geboren. Er studierte Medizin in Köln und ist Facharzt für Innere Medizin, Pneumologie und Kardiologie. Als Oberarzt leitet er die Sektion Pneumologie am Sana-Klinikum in Remscheid. Nachdem er in jungen Jahren als Schwimmer bis in die Zweite Bundesliga vorgestoßen war, wechselte seine Leidenschaft auf die Musik über. Er spielte in verschiedenen Punk- und Metal-Bands, mit Substyle war er viele Jahre lang erfolgreich und Vorgruppe von In Extremo. Seit 2016 moderiert er für den WDR die Informationssendung „Doc Esser – Der Gesundheits-Check“ sowie weitere Sendungen. Er betreibt mehrere Podcasts, unter anderem „Diagnose: Zukunft“ zusammen mit Tobias Leipold. Außerdem schreibt er für verschiedene Zeitungen und eigene Bücher. Zuletzt erschien „Das Prinzip der Mutigen“. Der vierfache Vater wohnt in Junkersdorf.
Darum beneide ich Sie. Ich bin beim Postpunk der frühen 1990er eingestiegen. Eine Platte von Extrabreit habe ich sogar produziert, das sind alte Kumpels von mir.
Tote Hosen oder Die Ärzte?
Die Hosen. Die Ärzte sind witziger, aber als Rheinländer habe ich Campino & Co gehört.
Sie haben mal Slash von Guns N´ Roses als Ihr Idol bezeichnet.
Lange her, hing mit seiner Gitarrenarbeit zusammen. Live fand ich ihn allerdings eher Grütze. Idole habe ich nicht mehr. Aber Rotz und Wasser geheult habe ich bei − halten Sie sich fest: Phil Collins.
Haarmäßig sind Sie näher an Collins als an Slash.
Früher war das anders! Ich hatte Dreadlocks bis zum Hintern. Dazu trug ich einen Nasenring, hatte selbstgestochene Ohrringe und eine Lederjacke, auf der hinten „Schieß doch, Bulle“ stand. Ach du lieber Gott! Meine Mutter hat sich durchgehend geschämt. (lacht)
Ihr Markenzeichen heute ist das Schlägerkäppi.
Das hat nichts mit meinem Haarverlust unten drunter zu tun. Habe ich immer getragen, auch über der Matte.
Steffen Baumgart kopiert Sie, seit er beim FC ist.
Stimmt, aber ihm steht die Kappe nicht so gut wie mir.
Sie kommen aus Mönchengladbach. Speche ich hier womöglich mit einem Fohlen-Fan?
Ich kann Sie beruhigen: Ich bin zwar der Sohn des größten Gladbach-Fans, interessiere mich selbst aber gar nicht für Fußball.
Sie wohnen einen Steinwurf vom Stadion entfernt. Hören Sie, wenn der FC ein Tor schießt?
Na klar, aber in letzter Zeit blieb es oft ziemlich leise. (lacht)
Sie hatten mit Ihrer Band Substyle mal die Chance, als Vorband von Rammstein auf Welttournee zu gehen. Was lief schief?
Oh Mann, schlimme Frage! Wir haben's einfach nicht ernst genug genommen mit der Musik. Für Rammstein sollten wir einen Probe-Gig im Berliner Sage Club spielen. Aber wir hatten uns so vollgelötet vorher, dass wir die Instrumente falsch herum hielten. Die Sache wurde nach einer Viertelstunde abgebrochen.
Schmerzt das noch heute?
Das war megapeinlich, zumal Rammstein mit der versammelten Mannschaft da war. Und ich sehe noch heute die Enttäuschung in den Augen von Doro Peters, die uns die Chance gegeben hatte. Ihr Blick war für mich eine Lehre fürs Leben.
Metal ist Currywurst, Arzt ist Sojasprossen.
Finde ich überhaupt nicht! Ich habe einen der besten Berufe der Welt. Im Leben geht es nicht um Quantität, sondern um Qualität. Gesund gestorben ist trotzdem tot, es bringt nichts, 110 Jahre alt zu werden und nicht gelebt zu haben. Der Unterschied zwischen Medizin und Rockmusik ist marginal. (lacht)
Arzt, Band, Podcasts, Fernsehsendungen, vier Kinder und so weiter: Warum?
Das hat sich so ergeben, ich bin relativ planlos.
Wieviel Schlaf brauchen Sie?
Früher kam ich mit vier Stunden aus, aber die Zeiten sind vorbei. Ich halte gar nichts von der viel zitierten Work-Life-Balance. Work ist bei mir schon Life. Ich stehe morgens auf und tue, was ich gern mache. Und wenn ich's nicht gern mache, lasse ich es sein.
Was würde der Doc dem Heiwi raten?
Ganz im Ernst: Ich bin mit meinem derzeitigen Leben vollkommen zufrieden. Ich habe auch Schicksalsschläge hinter mir − Todesfälle, gescheiterte Beziehungen, an denen ich zu knabbern hatte. Aber meine seelische Zufriedenheit kehrt sehr schnell zurück. In meinem neuen Buch „Das Prinzip der Mutigen“ geht es genau darum.
Benn, Celine, Rainald Goetz: Viele Ärzte wollen − und können − mehr als herumdoktern.
Ja, man findet sie auch unter richtig guten Komponisten und Musikern. Die Violine spielende Ärztin ist ja fast schon ein Klassiker. Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass die Kunst uns hilft zu entschleunigen. Der Arztberuf kann verdammt hart sein.
Was ist der größte Fehler unseres Gesundheitssystems?
Oh, das besteht momentan nur aus Fehlern! Am schlimmsten aus meiner Sicht: dass die Gesundheitskompetenz der Menschen so wenig geschult wird. Fragen Sie mal einen heutigen 18-Jährigen, wofür ein Wadenwickel gut ist. Ich erinnere mich an jenen jungen Mann, der wegen eines entzündeten Fingers den Notarzt rief, obwohl er gegenüber einer Klinik wohnte. Da bin ich einmal kurz ausgerastet.
Sie haben sich einst in Bangkok ein inzwischen korrigiertes Tattoo stechen lassen. Was stand da ursprünglich?
Ich hatte die dämliche Idee, mir in Thailand einen deutschen Text stechen zu lassen. Morgens um Vier war das, und da sollte ein Spruch stehen, den Triathleten wie ich gern benutzen: „Schmerz geht, Stolz bleibt“. Aber als meine damalige Freundin dazukam, las sie: „Schmerz geht, Slotze bleibel“. (lacht)