Er sei das meistgebuchte Werbegesicht Deutschlands, so Christian Stock. Aber auf der Straße, da ist er der "Krakenmann". Mit seinem Team sorgt er dafür, dass 40 Tonen Müll weniger in den Ozeanen landen.
Christian Stock stiftet zum Müllsammeln an„Nicht resignieren, machen!“
Freier Fall auf Kartons, aus zehn Metern Höhe, Autounfall, Treppensturz. „Kann ich alles, wenn das Drehbuch es will“, sagt Schauspieler Christian Stock. Doch das ist nichts gegen sein wirkliches Leben. Da hängt er an einem Sicherungsseil im Rhein, zieht in drei Stunden 39 bleischwere E-Scooter aus der Strömung, alarmiert die Feuerwehr nach dem Fund einer Simulationsbombe der Bundeswehr, und wenn er ruft, erscheinen 800 Menschen am Rheinufer.
Der 40-Jährige will sich nicht damit abfinden, dass der Rhein eine Tonne Plastikmüll in die Nordsee spült – jeden Tag. Vor sechs Jahren rief er die K.R.A.K.E ins Leben, „nach einigen Gläsern Kölsch“, in einer Kneipe. Heute fühlen sich der Kölner-Rhein-Aufräum-Kommando-Einheit, die Plastik, Glas und Schrott am Rhein und in den Landschaftsschutzgebieten der Stadt sammelt, 8000 Menschen per facebook verbunden. Von denen erscheinen regelmäßig viele hunderte zu den monatlichen Clean-up-Aktionen.
Angefangen hat alles wie in der Szene eines Independent-Films. Ein Mann sucht sich einen guten Platz am Ufer, er will grillen. Sein Blick streift über Plastikfetzen, Flaschen, zersplissene Schnüre. Die stören. Er klaubt alles in eine Umkreis von drei Metern auf, dann werden es fünf. Das war die Initialzündung. „Und als beim Tauchen in Thailand eine Snickers-Verpackung mit deutscher Schrift neben mir im Wasser trieb.“
Christian Stock will nicht belehren, er will überzeugen. Wenn er sich in Rage redet, klingt das sachlich. Er hält Vorträgen an Schulen, kommt mit den Jugendlichen ins Gespräch. Und hat mit dem „Müllseum“ der K.R.A.K.E. in Humboldt/Gremberg einen eindrucksvollen Bildungsort geschaffen. „Plastik verschwindet nie mehr“, sagt er. Ein nahezu unversehrtes Fläschchen Lux-Spülmittel von 1959, eine Niveadose von 1954 hat er wie viele der Fundstücke mit historischen Werbeanzeigen hinterlegt. Ein Foto zeigt ein Ohrenstäbchen im durchsichtigen Körper eines kleinen Fisches, auf dem daneben ist der von einem Netz eingeschnürte Körper eines Seehundes zu sehen, im Schnabel einer Rheinmöwe klafft ein zerborstener Angelhaken.
Wie steckt man das weg? „Man stumpft ab“, sagt Stock. „Und macht weiter. Nicht resignieren, machen, das hilft dagegen.“ Und auch der Zuspruch der Menschen bestärkt ihn. Die brächten bei den Sammelaktionen etwa Kaffee ans Ufer, wenn sie nicht mitsammeln könnten. Das Berufskolleg Deutz etwa hat ihn 30 Mal als Vortragenden gebucht, für Ford hat er gerade am Fühlinger See eine große Sammelaktion ausgerichtet. „Ich bin Deutschlands meistgebuchtes Werbegesicht“, sagt er. „Aber wenn mich jemand auf er Straße erkennt, dann immer als ‚der Krakenmann‘.“
Müllfalle ist einmalig in Deutschlandd
Das freut ihn. Und dass immer mehr Menschen Teil der K.R.A.K.E. werden. 2021 haben sie 40 Tonnen Müll gesammelt. „40 Tonnen, die jetzt nicht im Meer landen“, sagt er. Machen, ins Gespräch kommen, überzeugen – so gelingt es ihm fast immer, die Ruhe zu bewahren. Nur manchmal packt ihn die Wut. „111 Luftballons rut-wiess mit langen Schnüren hat das Dreigestirn am Rhein steigen lassen. Ich saß vorm Fernseher und konnte es nicht fassen. Schildkröten und Vögel krepieren an dem Scheiß. Auch an Naturkautschuk.“ Ein Foto des Dreigestirns bei dieser Aktion hat es als Ausstellungsstück ins Müllseum geschafft.
Egal. Stock denk einfach größer. Und initiiert ein deutschlandweit einmaliges Pilotprojekt – die Müllfalle. „Die gibt es bisher nur in London und Rotterdam“, sagt er. „Ein schwimmendes Fangsystem, das auf einer Breite von vier Metern Müll aus dem Rhein fischt.“ Für die Kosten von 160 000 Euro hat er Sponsoren gefunden, zwei Studentinnen der Uni Bonn werten die Funde wissenschaftlich aus.
30 Stunden in der Woche ist er für die Krake aktiv, dazu kommt sein eigentlicher Beruf, um die Familie zu ernähren. Das ist auch für einen 42-Jährigen viel. „Ich muss aufpassen“, sagt er. „Aber wenn meine Kinder mich später fragen: ‚Was hast Du gemacht, um das alles hier zu verhindern?‘, dann kann ich sagen, ‚Ich habe es wenigstens versucht‘.“ Sein Töchterchen ist gerade neun Monate alt geworden, und da will jetzt schnell wieder hin. Und zu seiner Freundin. Die hat er kennengelernt beim Müllsammeln am Ufer des Rheins.