Das Schulmassaker im Kölner Stadtteil Volkhoven jährt sich zum 60. Mal – es war der erste Schulamoklauf in der Bundesrepublik. Der Täter, Walter Seifert, tötete acht Kinder und zwei Lehrerinnen.
Amoklauf an Kölner SchuleVor 60 Jahren erschütterte das Attentat in Volkhoven die Stadt
Der 11. Juni 1964 ist ein warmer Frühsommertag in Köln. Auf dem Schulhof der katholischen Volksschule im Stadtteil Volkhoven turnt Lehrerin Anna Langohr mit ihrer Klasse, als ein Mann im blauen Arbeitsanzug um 9.10 Uhr das Gelände betritt. Auf dem Rücken trägt er eine Gartenspritze. Die Kinder halten ihn für einen Handwerker. Als er sich der Turngruppe bis auf drei Meter genähert hat, richtet er die Düse der Spritze auf die Kinder. Doch er versprüht kein Wasser. Er trifft die Kinder mit einer sechs Meter langen Stichflamme.
Weltkriegsveteran Walter Seifert wohnt ganz in der Nähe der Schule. Mit seinem Flammenwerfer und einer Lanze tötet der 42-Jährige acht Kinder, von denen einige erst nach Wochen sterben, und zwei Lehrerinnen. 20 Kinder überleben mit zum Teil schwersten Verbrennungen. Seifert schluckt noch am selben Tag ein Pflanzenschutzmittel und stirbt. Seine Tat gilt als erster Schul-Amoklauf in der Geschichte der Bundesrepublik, Jahre vor Erfurt 2002 und Winnenden 2009.
Köln: Flammenwerfer ist nun ein Ausstellungsobjekt
Die zu einem Flammenwerfer umgebaute Gartenspritze steht heute im Kölnischen Stadtmuseum, direkt daneben die Schuhe von Lehrerin Ursula Kuhr. Während Turnlehrerin Anna Langohr schwer verletzt überlebte, starb die 24-jährige Kuhr in einem der Klassenräume - der Täter stach mit seiner Lanze mehrfach auf sie ein. Zuvor hatte er die Fensterscheiben mehrerer Baracken eingeworfen und seinen Flammenwerfer in die Räume gerichtet.
„Die Kinder liefen laut schreiend durch die Gegend“, erinnert sich Barbara Peter später in ihrem Buch „Das Herz der Stadt stand still“ an die Tat von Volkhoven. Die damals Achtjährige gehörte zur Turngruppe und erlitt ebenfalls Verbrennungen. Sie schreibt, dass sich viele Kinder im Toilettentrakt in Sicherheit bringen wollten — weil es dort Wasser gab. „Viele Kinder waren dort, auch Henriette. Sie war schlimm verbrannt.“ Barbara Peter rannte damals nach Hause. Ihr Vater brachte sie ins Krankenhaus. „Der VW-Bus war von der Sonne aufgeheizt. Ich konnte nicht auf dem Sitz sitzen, sondern rollte mich auf dem Fußboden zusammen“, erinnert sie sich.
Kinder mit dramatischen Verbrennungen
Die Verletzten wurden auf vier Kölner Krankenhäuser verteilt. Ärzte und Pfleger räumten eilig Betten frei. Es gelang, selbst solche Kinder zu retten, deren Haut zu 80 Prozent verbrannt war — auch dank vieler Gewebespenden von Soldaten.
Die acht verstorbenen Kinder wurden auf dem Friedhof im Stadtteil Weiler, neben Volkhoven gelegen, beerdigt. Sie erhielten eine gemeinsame Ruhe- und Gedenkstätte. Das Requiem vor mehr als 2000 Menschen am 20. Juni 1964 hielt der Kölner Erzbischof, Kardinal Josef Frings. Auch die Urne mit der Asche des Attentäters Walter Seifert wurde in Weiler bestattet. Nach Protesten der Angehörigen habe man die Urne an einen geheimen Ort umgebettet, hieß es aus Polizeikreisen.
Die Motive Seiferts liegen bis heute im Dunklen. Ärzte hatten bei ihm einen „schizophrenen Defektzustand bzw. paranoide Entwicklung“ diagnostiziert. Nach dem Krieg hatte er beruflich nie wieder richtig Fuß gefasst. Jahrelang stritt er mit Behörden um eine angemessene Rente. 1961 starb außerdem seine Ehefrau nach einer Frühgeburt, auch das Kind überlebte nicht. Wollte er sich an der Gesellschaft rächen?
Psychologische Hilfe für die Eltern der getöteten und schwer verletzten Kinder gab es damals so gut wie keine, im Gegenteil: Die Schwester eines der Opfer berichtete, ein Psychologe habe geraten, „sich selbst von den Ereignissen zu lösen und nicht mehr davon zu sprechen“. Erst 40 Jahre nach dem Amoklauf erweiterte die Stadt Köln ihren schulpsychologischen Dienst um einen notfallpsychologischen Krisendienst, zu dem auch Gespräche mit Eltern gehörten, wie ein Sprecher der Stadt bestätigt.
Die Schule ging nach dem Attentat nicht wieder in Betrieb. Mit Ausnahme des Hauptgebäudes, eines Backsteinbaus von 1905, wurden die Übergangs-Baracken abgerissen. Im benachbarten Stadtteil Heimersdorf wurde eine neue Schule gebaut. Sie trägt heute den Namen von einer der getöteten Lehrerinnen: Ursula Kuhr. (kna)