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Brüsseler PlatzNach sieben Jahren soll das Urteil im Lärm-Streit nun endlich kommen

Lesezeit 6 Minuten
Nachtschwärmer stehen und sitzen am Brüsseler Platz

Nach wie vor beliebt bei Nachtschwärmern: der Brüsseler Platz

Immer noch Lärm, Müll und Wildpinkler: Am Brüsseler Platz hat sich wenig verändert. Nach sieben Jahren soll es nun endlich ein Urteil im Lärm-Streit zwischen Anwohnern und Stadt geben.

Ein permanentes Brummen, einzelne Schreie, Flaschenklirren – der Brüsseler Platz klingt in diesen Nächten wie immer, wenn tagsüber die Sonne scheint. Dutzende, manchmal Hunderte Feierlustige bevölkern allabendlich das Areal rund um die Kirche. Um halb zwölf kehrt die AWB einmal durch, dann kommen die Feiernden zurück. Bis in die frühen Morgenstunden dringt der Lärm in die Seitenstraßen. Der Morgen danach zeigt die Spuren der Nacht, der Platz und die Beete sind oft voll mit Müll und leeren Flaschen. Manch einer würde sagen: Alles wie immer am Brüsseler Platz. Nur die Empörung, die den Lärm-Streit so gar vor Gericht brachte (siehe Infotext), scheint nicht mehr so groß zu sein.

„Diejenigen, die hier lange gekämpft haben, sind müde geworden“, sagt Karin Bolenius. Die Anwohnerin kümmert sich seit 20 Jahren mit der Initiative Querbeet ehrenamtlich um die Pflanzen und Beete des Platzes. Sie erinnert sich, wie es im Laufe der Jahre immer mehr Menschen auf dem Brüsseler Platz wurden. Zu Hochzeiten waren es bis zu 2000 in einer Nacht. „Es sind weniger geworden, als in den Jahren vor Corona“, schätzt Bolenius. „Aber die Stimmung ist eine andere. Das Verhalten ist aggressiver geworden. Die Ungehemmtheit hat zugenommen.“ Sie berichtet von ganzen Müllsäcken in den Beeten, Männern, die ihre Notdurft auf dem Kinderspielplatz verrichten.

Der Dreck nimmt überhand. Die Müllabfuhr räumt hier jeden Morgen 15 Säcke ab. Das ist doch nicht normal.
Gabi Kohlberg, Anwohnerin

Auch Gabi Kohlberg wohnt seit 36 Jahren im Belgischen Viertel, früher an der Aachener Straße, nun an der Brabanter Straße. „Der Dreck nimmt überhand. Die Müllabfuhr räumt hier jeden Morgen 15 Säcke ab. Das ist doch nicht normal“, sagt sie. „Dabei gibt es Müllbehälter, aber alles landet in den Grünanlagen.“

Ein Rückblick: Vor mehr als zehn Jahren starteten die ersten Maßnahmen zur Lärmbekämpfung am Brüsseler Platz. Im Laufe der Jahre waren das etliche. Hier eine Auswahl: Mitarbeiter des Ordnungsamtes sind zu später Stunde präsent, erst in gelben Westen, dann auch mal in zivil. Handzettel und große Plakate warben für die Einhaltung der Nachtruhe. Helle Scheinwerfer wurden installiert. Ein von der Stadt eingesetzter Moderator im Streit um die „Belagerung“ des Platzes glättete jahrelang die Wogen. Die ansässigen Kioske mussten früher schließen und die Außengastronomie wurde ausgeweitet. Ein Urinal und ein Toilettencontainer wurden auf-, zwei Tischtennisplatten abgebaut. Alternativangebote wie das Kulturdeck am Aachener Weiher wurden eingerichtet.

Ordnungsamt setzt private Vermittler ein

Einige dieser Maßnahmen wirkten nur kurz, andere gar nicht, manche werden noch heute umgesetzt. Nach wie vor zeigen Mitarbeitende des Ordnungsdienstes vor allem am Wochenende ihre Präsenz. „Präventiv setzt das Ordnungsamt auch sogenannte private Vermittlerinnen und Vermittler eines Dienstleisters ein, die sich vor Ort aufhaltende Personen ansprechen, über die Situation vor Ort aufklären und entsprechend laute Einzelpersonen und Gruppen um Ruhe bitten“, teilt die Stadt auf Nachfrage zu aktuellen Maßnahmen mit. Die Vermittlerinnen und Vermittler kontaktieren die Mitarbeitenden des Ordnungsdienstes, wenn Störerinnen oder Störer keine Einsicht zeigen, heißt es. 

Genützt hat das alles recht wenig. Erst mit der Pandemie wurde es wieder ruhiger im Viertel. Kontaktbeschränkungen, Verweil- und Alkoholverbote im Zuge der Corona-Schutzverordnung fegten den Platz zeitweise so leer, dass anstatt junger Menschen sich die Ratten dort breit machten. „In der Corona-Zeit war es richtig idyllisch hier“, sagt Karl-Josef Wallmeyer. Von ihm ging 2013 die erste Klage gegen die Stadt aus, damit diese endlich für Ruhe im Veedel sorgen sollte. Müde sei auch er mittlerweile geworden. So schlimm wie früher sei es zwar nicht mehr, aber man befürchte, es komme alles wieder. Einige Mitstreiter aus der Nachbarschaft seien mittlerweile verstorben, weggezogen oder resigniert, so Wallmeyer. Der 79-Jährige hofft noch auf das Urteil des Oberverwaltungsgerichts. „Aber wie will man das alles noch in den Griff kriegen?“, fragt er sich.

Wir möchten einfach auch mal ein Fenster aufmachen können.
Anwohner

Auch die Politik hat scheinbar das Interesse an der Causa Brüsseler Platz verloren, vor einem Jahr stimmte das Ratsbündnis gegen den Bebauungsplan des Belgischen Viertels. „Seit der Rat der Stadt Köln mit brutaler Mehrheit den Bebauungsplan gekippt hat, ist das Belgische Viertel den freien Kräften des Marktes überlassen und damit auch der Brüsseler Platz“, sagt etwa der Bezirksbürgermeister der Innenstadt, Andreas Hupke.

In vorderster Front engagieren sich mittlerweile andere, jüngere Anwohner. Eine neue IG will bald aktiv werden. „Ich gehe selbst gerne aus, aber das, was hier passiert, ist grauenhaft“, sagt einer von ihnen. Man sei fassungslos, wie egal es der Stadt mittlerweile sei, was dort passiere. „Jeden Abend sitzen die Menschen hier bis 24 Uhr in der Außengastronomie – auf den erweiterten Flächen, die Corona-bedingt genehmigt wurden. Meine Nachbarn haben Kinder, die wissen gar nicht, wie die dabei schlafen sollen. Wir möchten einfach auch mal ein Fenster aufmachen können.“


Gerichtsverfahren pausiert seit dreieinhalb Jahren

Seit wann wird vor Gericht verhandelt?

Bereits 2013 vereinbarten Anwohner und Stadt einen „modus vivendi“. Er sah unter anderem vor, dass das Ordnungsamt an manchen Tagen die Menschen ab 22 Uhr zum Verlassen „überreden“ sollte. Im September 2015 verklagten die Anwohner schließlich die Stadt vor dem Kölner Verwaltungsgericht, und fordern sie auf, für Ruhe zu sorgen. Erst im Mai 2018 entschied das Verwaltungsgericht: Die Stadt muss die Gesundheit ihrer Bürger zwischen 22 und 6 Uhr schützen. Im Juni 2018 legte die Stadt legt Berufung beim Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster ein.

Worum geht es in dem Gerichtsverfahren?

Nachts ist es zu laut am Brüsseler Platz, und das gefährdet die Gesundheit der Anwohner. Das sah auch das Oberverwaltungsgericht Münster im November 2019 so. In einem Eilverfahren von Dieter Reichenbach, Anwohner am Brüsseler Platz, gegen die Stadt Köln hatten die Beteiligten auf Vorschlag des OVG in einem mehrstündigen Erörterungstermin einen Vergleich geschlossen.

Was wurde vor Gericht beschlossen?

Die Stadt verpflichtete sich sechs Regeln zu befolgen. Diese Punkte wurden laut der Stadtverwaltung auch umgesetzt. Darunter fällt unter anderem die engmaschige Kontrolle der ansässigen Gastronomen auf geschlossene Fenster und Türen und die auf 23.30 Uhr angesetzte Schließzeit für die Terrassen. Außerdem sollte sie eine „stachelige“ Bepflanzung für die Grünflächen prüfen. Zudem wurde ein direkter Ansprechpartner bei der Stadt bei Problemen auf das Thema angesetzt. In Dieter Reichenbachs Wohnung, so wurde es vereinbart, sollten weitere Lärmmessungen durchgeführt werden.

Wann geht das Verfahren weiter?

Im Anschluss an das Eilverfahren Ende 2019 sollte im Laufe des Jahres 2020 dann das Hauptsacheverfahren am OVG entschieden werden – doch dazu war es aufgrund der Corona-Pandemie nie gekommen. „Es ist immer noch nicht entschieden“, bestätigte eine Sprecherin des OVG auf Nachfrage. „Denn während der Pandemie konnten in den Jahren 2020 und 2021 die geplanten Lärmmessungen nicht durchgeführt werden.“ Diese seien nun erfolgt und die Ergebnisse lägen vor – einen Termin gebe es aber immer noch nicht. Auch der Vorsitzende Richter ist mittlerweile in den Ruhestand gegangen. Weiter gehe es „noch in diesem Jahr“, so die Sprecherin. Terminiert werden soll die Verhandlung für das dritte Quartal – auch dieser Sommer ist dann schon wieder vorbei.

Was sagen die Kläger zu der Verzögerung?

„Dass sich das Verfahren so dermaßen in die Länge zieht, ist unzumutbar“, sagt der Anwalt Wolfram Sedlak, der die Anwohner als Rechtsbeistand vertritt. Zwei seiner Mandanten seien bereits verstorben. „Die Problematik drängt nach wie vor, bei den Klägern herrscht schon eine große Frustration.“ Von einem Urteil erhofft sich Sedlak endlich klare Verhältnisse im Viertel.