Um bedürftige Mütter und ihre Neugeborenen in der Ukraine zu unterstützen, verschickt das Blau-Gelbe Kreuz Babyboxen.
Blau-Gelbes KreuzSo kommt Hilfe für Neugeborene in der Ukraine aus Köln
Ein Schnuller baumelt zwischen Nadelzweigen. Neben Lichterketten und Zuckerstangen hängen kleine Stofftiere und Söckchen in dem satten Dunkelgrün. „Wir folgen der Tradition, den Weihnachtsbaum damit zu schmücken, was man sich für das neue Jahr wünscht“, sagt Nadiia Khmeliuk. „In der Ukraine wünschen wir uns viele gesunde Babys.“
Mit einem königsblauen Daunenmantel und einem gelben Schal steht die 31-Jährige in einer großen Lagerhalle neben dem Baum. Dahinter türmen sich unzählige Kartons. Von hier aus beliefert der Kölner Verein Blau-Gelbes Kreuz die Ukraine mit Hilfsgütern. Rettungswagen, Medizin und Stromgeneratoren, aber auch Schulranzen und Babyprodukte fährt das Team dorthin – teils auch nah an die besetzten Gebiete.
Süßigkeiten für lange Nächte in Schutzkellern
Heute flitzen mehr Menschen als sonst durch die Halle nahe der Bonner Straße. Ein paar Tage vor Weihnachten findet eine Packaktion statt. Wie am Fließband schieben die Helfenden großen Papiertüten von Person zu Person über einen Biertisch im Eingangsbereich. Eine Kuscheldecke, Spielzeuge und Süßigkeiten − alles für lange Nächte in Schutzkellern − werden darin verschickt.
Ganze Familien, die nach Beginn des Angriffskriegs aus der Ukraine nach Köln und in die Umgebung geflüchtet sind, engagieren sich regelmäßig im Verein. Auch Kinder wuseln durch die Halle und packen mit an. Nadiia kennt fast alle beim Namen. Sie ist Leiterin des Projekts „Babyboxen“ und hilft im Verein mit, seit in der Ukraine der Angriffskrieg losging. Da lebte sie bereits in Essen, um dort zu studieren. Auf einem Tisch hinter dem Weihnachtsbaum liegt der Inhalt einer der Boxen als Beispiel bereit: Windeln, Babykleidung, Cremes und Schnuller sind dort unter anderem aufgereiht. Das alles soll die Erstversorgung von Babys und ihren Müttern sichern. Einer der wichtigsten Inhalte sei das Milchpulver. „Durch den Stress im Krieg verlieren viele Mütter ihre Fähigkeit zu stillen.“
Rund 550 Euro sei der Inhalt der Boxen wert. „Damit kommen eine Mutter und ihr Baby im Durchschnitt drei Monate aus“, erklärt Nadiia. Die enthaltenen Produkte könnten sich in Kriegszeiten immer weniger Menschen leisten. Die Hilfsbedürftigkeit sei in der Ukraine stark gestiegen, weil viele ihr Eigentum und ihr Einkommen verloren haben. Vor allem Mütter seien davon betroffen, wenn ihre Männer in den Krieg ziehen.
Wenn Nadiia über den Krieg spricht, werden ihre Augen glasig und rot, ihre Stimme tiefer. „Es ist nicht leicht, weit weg von der Heimat zu sein und beobachten zu müssen, welche schlimmen Dinge dort passieren. Durch die Hilfsprojekte des Vereins fühlen sich die Helferinnen und Helfer etwas weniger machtlos“, sagt sie, „Wir können mit den Babyboxen keinen Krieg stoppen. Aber wir können den Menschen etwas Licht und Wärme schicken.“ Es sind vor allem geflüchtete Mütter, die die Boxen packen.
„Sie wissen, wie schwer es ist, in den ersten paar Monaten der Mutterschaft klarzukommen. Sie wissen, wie es ist, sich im Krieg Gedanken um die Sicherheit der eigenen Kinder machen zu müssen.“ Viele von ihnen seien mit ihren Söhnen und Töchtern nach Deutschland gekommen, um sie vorm Krieg zu bewahren. „Jetzt wollen sie die Mütter unterstützen, die das nicht geschafft haben.“ Über 2000 Frauen habe der Verein seit dem Projektstart vor zwei Jahren mit seinen Babyboxen helfen können. Über einen Account auf Instagram und Facebook können sie sich beim Verein melden, dann wird die Lieferung arrangiert. Mit vielen der Mütter ist Nadiia auch danach in Kontakt. Sie schicken Fotos per Whatsapp, bedanken sich beim Verein. Und erzählen ihre Geschichte.
Bewegende persönliche Geschichten
So wie eine 19-Jährige. Sie lebte in der Nähe der östlichen Front und lernte dort den Vater ihres Babys kennen, einen Soldaten. „Die beiden verliebten sich Hals über Kopf und wollten heiraten“, erzählt Nadiia. Dann starb der junge Mann bei einem Einsatz. Erst Anfang 20 war er da - und seine Partnerin schwanger. Vor der Geburt flüchtete sie in den Westen den Landes um ihr Kind in Ruhe zur Welt bringen zu können. „Sie war dort ganz allein in einer neuen Stadt – ohne ihren Besitz, ohne Unterstützung, ohne ihren Partner. Die Babybox hat ihr geholfen, wenigsten für ein paar Wochen nicht darüber nachzudenken, wo sie Nahrung oder Kleidung für ihr Kind herbekommt.“
Geburten verkörpern Hoffnung
Fast drei Jahre lang dauert die russische Invasion in der Ukraine an, noch immer gibt es keine Aussicht auf Frieden. Warum bekommt man in diesen Zeiten noch Kinder, außer es passiert ungeplant? Nadiia hält einen Moment inne. „Ein Kind zu bekommen, vermittelt immer, dass das Leben weiter geht. Sie sind ein großes Zeichen der Hoffnung für die Menschen und geben ihnen Kraft“, erklärt sie dann. Niemand wisse, wie lange der Krieg noch dauert. „Und wenn alle Frauen keine Kinder mehr bekommen, heißt das für die Ukraine, dass ganze Generationen nicht existieren werden.“ In einem Land, das ausradiert werden solle, wenn es nach Russland gehe, seien Geburten auch eine deutliche Nachricht an den Aggressor: „Kinder sind für uns die Hoffnung, dass die Ukraine weiterleben wird.“
Kindertanzgruppe vor zerschossenen Krankenwagen
Während Nadiia erzählt, füllt sich der mit Regalen provisorisch abgetrennte Gemeinschaftsbereich in der Halle. Die ukrainische Tanzgruppe des Vereins will heute für die Helfenden der Packaktion auftreten. Die Mitglieder sind zwischen sechs und 18 Jahren alt. Alle haben eine Flucht in ein anderes Land hinter sich. Die meisten mussten ihre Väter in der Ukraine zurücklassen. Aus ihren Taschen ziehen sie stolz die bunt bestickte traditionelle Kleidung, in der sie gleich tanzen werden. Besonders den jüngeren kann es gar nicht schnell genug gehen, von ihren Müttern umgezogen zu werden. „Die Kinder lieben es, mit den Tänzen aufzutreten. Sie haben hier nicht oft Gelegenheit dazu“, sagt Nadiia.
Ein Quadrat aus Malervlies ist die Bühne der Gruppe. Direkt dahinter hat der Verein einen zerschossenen Krankenwagen ausgestellt. Auf einem Einsatz in der Ukraine wurde er von einem russischen Panzer mit Kugeln durchsiebt. Die Insassen starben oder werden vermisst. Das passiere öfter, weil Rettungseinsätze oft gezielt angegriffen werden, sagt Nadiia. Immer wieder blitzt das zerbeulte weiße Metall zwischen den tanzenden Kindern auf. Die aufwendigen Stickereien auf ihren Kleidern, Hosen und Hemden sind hauptsächlich rot und schwarz. Das eine stehe für die Liebe und das Leben, das andere für die Trauer und den Schmerz, erklärt Nadiia. „Ich glaube, das beschreibt unsere Situation gut.“ In der Kölner Lagerhalle ist beides ständig präsent.