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Eine Kölnerin über ihren Kirchenaustritt„Sie ziehen die Frohe Botschaft in den Dreck“

Lesezeit 5 Minuten
Kirchenaustritt

Die Kirche verlassen immer mehr Menschen. Mittlerweile auch die, die fest im Glauben stehen. 

Köln – 19 340 Menschen. Das sind mehr als in Rodenkirchen wohnen und fast so viele wie in Niehl – und es ist exakt die Anzahl an Menschen, die im vergangenen Jahr in Köln aus der Kirche ausgetreten sind. Der Löwenanteil aus der katholischen. Die einen wahrscheinlich, weil ihnen beim Blick auf die Lohnabrechnung einfiel: Ach ja, da bin ich ja noch drin. Die anderen vielleicht, weil sie eigentlich schon lange wissen, das mit dem Glauben ist nichts für sie. Und dann gibt es noch solche wie Bernadette Rüggeberg. Kirche zieht sich durch ihr Leben, wie ein Docht durch die Kerze. Und ihr Glaube ist die Flamme. Es gibt nicht wenige Punkte in ihrer Biografie, an denen sich die Frage aufdrängt, warum ist sie nicht da schon ausgetreten? Jedoch, ihre katholische Kirche hatte bei Bernadette Rüggeberg schier unermesslichen Kredit. Bis vergangenen Oktober. Da war er aufgebraucht. Samt Dispo.

„Vor mir nur junge Menschen – es war erschütternd“

Das Fundament, das im Elternhaus gelegt wurde, es zerbröselt endgültig auf dem Flur des Kölner Amtsgerichtes. Barnadette Rüggeberg ist nicht allein. Beileibe nicht. „Vor mir nur junge Menschen – es war erschütternd“, erinnert sie sich an ihren Austrittstermin, den sie schon Wochen im voraus buchen musste. Wegen der großen Nachfrage. Schließlich noch eine Unterschrift, und es ist vollbracht. Der Schatten, den dieser Tag wirft, ist umso größer, weil da mal so viel Licht war.

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Bernadette Rüggeberg ist aus der katholischen Kirche ausgetreten – sie wollte das nie, aber nun ging es nicht mehr anders

Wie eine Morgenröte steht das Zweite Vatikanische Konzil über den Jugendjahren von Bernadette Rüggenberg in der Stegerwaldsiedlung. „Die Priester waren offen für Neuerungen. Wir haben tolle Gottesdienste gefeiert. Das war großartig.“ Sie hilft, die ökumenische Jugendarbeit aufzubauen. Taizé beseelt. Als Sozialpädagogin kommt sie später zur Caritas, sie engagiert sich im Sozialdienst katholischer Frauen, wird in der Schwangerschaftskonfliktberatung tätig, ist sogar Mitglied einer Kommission, die den damaligen Erzbischof Joachim Kardinal Meisner in dieser Frage berät. „In dieser Zeit gab es mehrfach Anwerbungsversuche von Opus Dei“, erinnert sich Bernadette Rüggeberg. „Die glaubten wohl, ich passe in deren Profil.“ Ein Irrtum, der sich schnell klären sollte. Nachdem Meisner den Austritt aus der Beratung zementiert, gehörte Bernadette Rüggenberg zu den Gründungsmitgliedern des Ortsverbandes Köln von Donum Vitae, und setzt so die Schwangerschaftskonfliktberatung fort. Sie wird sogar Geschäftsführerin des Landesverbandes. „Es war eine sehr aufregende Zeit“, erinnert sie sich. Auf der einen Seite Meisner und Opus Dei. Auf der anderen sie, ihre Mitstreiterinnen und immer noch eine Reihe von „guten Erfahrungen“, die sie in ihrer Kirche machte. „Ich habe immer meine Nischen gesucht und gefunden.“ Und war sich dabei ihrer Sache sicher: „Wenn wir schwangere Frauen in einer Konfliktsituation allein lassen, verstoßen wir gegen die biblische Botschaft.“

„Sie ziehen die Frohe Botschaft in den Dreck“

Was kann eine engagierte katholische Christin ins Wanken bringen, wenn sie selbst den damaligen Stürmen um die Schwangerschaftskonfliktberatung standgehalten hat – und das an vorderster Front? Der Missbrauchsskandal. Die unzähligen Vergehen zahlreicher Priester an den unschuldigen Seelen unmündiger Kinder und der Umgang der Amtskirche damit. Giftschränke, Aktenvernichtung, der Schutz der Täter, die Missachtung der Opfer. Vertuschen, verschleppen, verleugnen. Auch die Aufklärungsbemühungen Kardinal Woelkis sieht sie in dieser Tradition. „Sie ziehen die Frohe Botschaft in den Dreck, bis sie nicht mehr erkennbar ist“, sagt Bernadette Rüggeberg bitter. In ihren Augen entlarven die Missbrauchsskandale und deren Vertuschung ein System, dass Kirche und Täter schützt, aber die Betroffenen wiederholt demütigt. „Vor dieser Kirche muss ich mich schützen. Ohne Reformierung des gesamten Systems wird sich nichts ändern.“ Für Bernadette Rüggeberg gab es keine Alternative mehr zum Austritt.

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Obwohl: „Ich gebe der Kirche noch zwei Jahre“, sagte sie im Oktober 2019. Ein letzte Chance. „Doch es wurde ja nur noch schlimmer.“ Die ablehnende Haltung Woelkis gegenüber der Segnung gleichgeschlechtlicher Paare, seine Opposition gegen jegliche Reformbewegung, die Ungleichbehandlung von Frauen: Gerechtigkeit, die ihr in allen Dingen so wichtig ist, Bernadette Rüggeberg kann sie nicht mehr ausmachen. Ziemlich genau zwei Jahre nach dem Entschluss, ihrer Kirche noch eine Bewährungsfrist einzuräumen, reiht sie sich auf dem Flur des Amtsgerichts in die Schlange ein.

„Ich bin jetzt alleine verantwortlich vor Gott“

Und jetzt? Ist da ein großes Loch in ihr, wo einst Kirche und Glauben wohnten? „Ich bin mündiger geworden. Ich bin jetzt allein verantwortlich vor Gott - und dieser eigenverantwortliche Glaube tut gut.“ Bernadette Rüggeberg atmet tief durch: „Der Austritt war mehr als überreif.“ Mit dem Ruhestand fand sie zu der innerkirchlichen Gleichberechtigungs- und Demokratiebewegung Maria 2.0. Dort findet sie mit ihrem Glauben Heimat. „Ohne Maria 2.0 ginge es nicht.“ Diese Gemeinschaft und die Bibel geben ihr Halt. Es gibt Menschen, die treten aus der Kirche aus, weil ihnen der Glauben abhandengekommen ist. Bei Bernadette Rüggeberg scheint es so zu sein, dass ihr Glaube mit dem Austritt noch zugenommen hat.

Hintergrund: Austritte

1500 Termine pro Monat für den Austritt aus der Kirche vergibt das Kölner Amtsgericht zurzeit. Bis Ende März sind bereits alle Termine vergeben. Ein Gerichtssprecher sagt auf Nachfrage der Rundschau, dass zurzeit darüber nachgedacht werde, das Angebot der Nachfrage anzupassen auf 1800 Termine.

80 Prozent der Austritte im vergangenen Jahr gehen wahrscheinlich allein auf das Konto der katholischen Kirche. Zwar gibt es noch keine Ausdifferenzierung zwischen katholischen und evangelischen Austritte, aber erste Abgleichungen von einzelnen Gemeinden legen diese Tendenz nah.