Albertus Magnus und Meister GerhardWer hat eigentlich den Kölner Dom erbaut?
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Köln – Wenn vor 200 Jahren jemand gefragt hätte, wer den Kölner Dom gebaut hat, wäre wohl die Antwort gewesen: „Keine Ahnung, aber wahrscheinlich Albertus Magnus“. In seinem „Deutschen Sagenbuch“ schreibt Ludwig Bechstein noch im Jahr 1853, manche behaupten, dass „Albertus Magnus den Grundplan des Kölner Doms erfunden und aufgezeichnet habe, und den Chor der vormaligen Dominikanerkirche habe er auch erbaut.“
Albertus Magnus, mittlerweile Schutzherr der Naturwissenschaftler, soll auch den ersten Roboter konstruiert haben, so dass ihm die Konstruktion der Kathedrale durchaus zuzutrauen wäre, zumal er bei der Grundsteinlegung des Doms 1248 zugegen und auch in den folgenden Jahren äußerst häufig auf der Baustelle war.
Albertus baute meisterlich
In der Kölnischen Chronik steht dann auch, Albertus täte „meisterlich buwen“, also meisterlich bauen. Eine Sage berichtet schließlich davon, dass Albertus über den Planungen des Doms verzweifelt sei, woraufhin ihm nachts vier Männer erschienen seien, die auf Geheiß der zusätzlich hinzugetretenen Jungfrau Maria die Pläne zum neuen Dom auf die Wand gemalt hätten.
Dass aber heutzutage niemand zum Grab des berühmten Philosophen und Dominikanermönchs in St. Andreas pilgert, um hier den geistigen Vater des Dombaus zu verehren, sondern gemeinhin Meister Gerhard als Urheber des Kölner Doms gilt, liegt ganz allein an der Marzellenstraße 20. Eine Plakette ist an diesem besonderen Ort nicht zu finden. Mehr noch: Da steht nicht einmal mehr ein Haus, sondern eine relativ moderne Stichstraße.
Meister Gerhard wettete um seine Seele
Etliche Sagen werden heute über den Kölner Dombaumeister Gerhard erzählt, die ihren Ursprung in der Geschichte des Doms haben. Warum etwa gibt es keine Originalzeichnungen aus der Anfangszeit des Dombaus unter Meister Gerhard? Man erzählt sich, Gerhard habe den Gedanken, jemand anderes als er würde sein kolossales Werk vollenden, nicht ertragen. Deshalb habe er alle seine Pläne und Risse zerstören wollen.
Andere Geschichten erzählen, die Pläne gebe es nicht, weil Meister Gerhard mit dem Teufel um seine Seele gewettet habe, dass er den Dom vollende, bevor jener eine unterirdische Wasserleitung von Trier nach Köln bauen könne. Als Gerhard dann eines Abends auf dem Südturm gestanden habe, um die Arbeiter zur Eile anzutreiben, hörte er das Rauschen eines Baches unter sich und stürzte sich im April 1271 aus Verzweiflung in den Tod. Im selben Moment habe ein Blitz in seinem Haus eingeschlagen, weshalb das Gebäude und mit ihm die Pläne des Doms in Feuer aufgegangen seien. Seitdem habe für Jahrhunderte Meister Gerhard am Südturm gespukt, um zu verhindern, dass ein Unberufener sich an sein Werk wagt – wodurch auch erklärt wird, warum der im 16. Jahrhundert aufgegebene Dombau erst im 19. Jahrhundert wieder aufgenommen wurde.
Gebrüder Grimm berichteten von Meister Gerhard
Dass aber solche Geschichten nicht über einen namenlosen Baumeister oder ähnliche Domsagen über Albertus Magnus, sondern über Meister Gerhard erzählt werden, ist verhältnismäßig neu. Die Mutter von Artur Schopenhauer, Johanna Schopenhauer, kam 1828 nach Köln und berichtet, dass die Kölner den Namen desjenigen längst vergessen hätten, der sich die Pläne zu diesem gewaltigen Bauwerk ersonnen habe. Die Brüder Grimm aber berichten in ihren „Deutschen Sagen“ plötzlich von Meister Gerhard. Annette von Droste-Hülshoff widmet ihm 1842 ein Gedicht, in dem sie sogar das Erscheinungsbild des immer noch in der Kathedrale umgehenden Gespenstes schildert: „Ein Nebelmäntlein umgeschlagen,/ Ein graues Käppchen, grau Gewand,/ Am grauen Halse grauer Kragen,/ Das Richtmaaß in der Aschenhand.“ Woher kommt das?
Gerhard „Lapicida“, der Steinmetz
Wie fast alles im Zusammenhang mit dem Dom im 19. Jahrhundert liegt es an Sulpiz Boisserée, auf den der Weiterbau des Kölner Doms zurückgeht – und es liegt eben an der Marzellenstraße 20, wo jahrhundertelang das „Haus Riese“ stand. Auf der Suche nach Unterlagen zur Kölner Kathedrale forschte Boisserée in diversen Archiven. Dabei stieß er auf eine Notiz aus dem Jahr 1257, derzufolge das Domkapitel wegen dessen Verdiensten um diese Kirche einem Magister Gerhard auf Erbpacht Land in der Marzellenstraße überließ. Dieser Gerhard wird „Lapicida“, also Steinmetz genannt, was im 13. bis 15. Jahrhundert auch die Bezeichnung für den Baumeister war. Darüber hinaus bezeichnet diese Quelle Gerhard sogar noch als „Rector fabrice“, also Leiter des Baus.
Meister Gerhard könnte aus Riehl stammen
Spätestens jetzt sei kein Zweifel mehr möglich, meint Boisserée, und ist sich sicher, den Verfertiger des Plans und Gründer des Dombaus entdeckt zu haben.
Mit diesem Namen in der Hand versuchte man nun, mehr über das Leben des Genies zu erfahren. Wegen des Beinamens „von Rile“ vermuteten manche, dass Gerhard aus Rail an der Mosel komme, wo es ein Adelsgeschlecht „von Ryle“ gab. Eher lokalpatriotische Forscher meinen, er könne auch aus dem inzwischen eingemeindeten Örtchen Riehl stammen und somit Sohn des Gottschalk von Rile sein, der später den Hof Kettwig neben der Marzellus-Kapelle gekauft hatte.
Woher hatte Gerhard aber das Wissen, das er als Dombaumeister brauchte? Quellen gibt es hierzu nicht, aber die Forschung geht davon aus, dass Gerhard in seinen Lehrjahren jene französischen Städte bereist haben muss, in denen die gotische Baukunst praktiziert wurde, er also eventuell beim Bau solcher Kathedralen wie jener von Troyes oder der Sainte-Chapelle in Paris mitgewirkt habe. Stilistische Gemeinsamkeiten lassen die Experten zudem vermuten, dass Gerhard auch beim Bau des Altenberger Doms beteiligt war.
Vielleicht hat ein ganz anderes Genie die Pläne ersonnen
Sicher kann man sich bei all dem aber natürlich nicht sein. Vielleicht hat also doch Albertus Magnus oder ein anderes Genie, das bis heute unbekannt geblieben ist, das Kölner Wahrzeichen erdacht. Vielleicht wirft ein neu aufgefundenes Dokument schon morgen alle bisherigen Spekulationen über den Haufen. Bis dahin aber legt ein Immobiliengeschäft nahe, dass wir uns weiter Sagen von Dombaumeister Gerhard erzählen dürfen.