Schon seit zwei Jahren tagt der Untersuchungsausschuss zum Anschlag von Hanau. Erst jetzt tritt der oberste Chef der hessischen Polizei als Zeuge auf.
Vor UntersuchungsauschussInnenminister Hessens: Polizei hätte Hanau-Attentat nicht verhindern können
Die Polizei hätte den rassistischen Anschlag von Hanau mit neun Toten aus Sicht des hessischen Innenministers Peter Beuth nicht verhindern können. Eine absolute Sicherheit vor solchen Attentaten werde es in freiheitlichen Demokratien „leider nicht geben“, betonte der CDU-Politiker am Freitag bei seiner ersten Aussage als Zeuge im parlamentarischen Untersuchungsausschuss in Wiesbaden zu dem Anschlag am 19. Februar 2020. Die Polizei habe beim „schlimmsten Ereignis in der Geschichte“ Hessens keineswegs versagt, sondern „gute Arbeit gemacht“, auch wenn es „Fehler gegeben“ habe.
Der Täter war laut Beuth vorher „nicht in Erscheinung getreten“. Er sei bei dem Anschlag „nicht zu stoppen“ gewesen. Dafür sei er „viel zu schnell, zu planmäßig und zu skrupellos“ vorgegangen. In fünf Minuten erschoss der 43-jährige Deutsche in Hanau neun junge Menschen aus rassistischen Motiven. Danach tötete er seine Mutter und sich selbst.
Anschlag von Hanau: Opfer verfolgte den Täter - und wurde erschossen
Der Innenminister betonte, bei dem „abgrundtief bösen“ Anschlag sei die binnen Minuten eingetroffene Polizei auf eine unübersichtliche und komplexe Lage gestoßen. Es sei zuerst unklar gewesen, ob es noch mehr Täter und Tatorte gegeben habe und wo der Attentäter danach gewesen sei.
Beuth gestand erneut ein, dass der Hanauer Polizeinotruf seinerzeit überlastet gewesen sei - es habe keinen funktionierenden „Überlauf“ bei mehreren gleichzeitigen Anrufen gegeben. Eines der Opfer, Vili Viorel Păun, soll den Täter nach den ersten Schüssen mit seinem Auto verfolgt haben, um ihn zu stoppen - und dabei mehrmals vergeblich den Notruf gewählt haben. Kurz darauf wurde er vom Täter im Fahrzeug erschossen.
Anschlag von Hanau: Innenminister Beuth „kann politische Verantwortung nicht ablegen“
Beuth versteht nach eigenen Worten gut, dass seine Eltern diese Technikpanne nie akzeptieren könnten. Dieses ihm seinerzeit unbekannte Problem sei inzwischen behoben, versicherte der Minister. Auch der Opferschutz sei in Hessen generell verbessert worden. Auch mit Blick auf den einst überlasteten Notruf sagte er: „Ich kann die politische Verantwortung als Innenminister nicht ablegen.“ Es habe nach dem „abscheulichen Verbrechen“ große Bemühungen für verschiedene öffentlich bekannte und interne Verbesserungen gegeben. Die Polizei sei „eine lernende Organisation“.
Bei den Ermittlungen zum Anschlag seien mehr als 400 Zeugen vernommen und mehrere Hundert Asservate (sichergestellte Objekte) untersucht worden. Von den Opferangehörigen hatte es viel Kritik gegeben. Am vergangenen Donnerstag sagte Said Etris Hashemi, dessen Bruder Nesar bei dem Attentat getötet worden war, in Wiesbaden zu den Erfahrungen mit Ermittlern und Behörden: „Wir haben schnell gemerkt, dass wir gegen verschlossene Türen laufen und die Aufklärung nicht so war, wie wir uns das vorgestellt haben.“
Am Freitag zeigte sich Said Etris Hashemi nach der Ausschusssitzung enttäuscht von Beuths Ausführungen. Er ergänzte, dass „Straftaten und Morde an Menschen mit Migrationshintergrund nicht anerkannt werden und nicht richtig aufgearbeitet werden“ - und das in einer Zeit erstarkender Rechtspopulisten. Er denke, Deutschland sei womöglich nicht mehr weit entfernt von Unruhen wie jüngst in Frankreich nach dem Tod eines Jugendlichen durch einen Polizeischuss.
Seit zwei Jahren beschäftigen sich Abgeordnete des Wiesbadener Landtags in dem Ausschuss mit dem Anschlag in Hanau. Dabei soll geklärt werden, ob es vor, während und nach der Tat zu Behördenversagen gekommen ist. Die 38. Zusammenkunft am Freitag war voraussichtlich die letzte öffentliche Sitzung. Entsprechend stellten die Abgeordneten des Ausschusses Beuth eine Vielzahl an Fragen. Auf die Frage etwa nach einem persönlichen Treffen mit Opferangehörigen sagte Beuth, er habe nur einmal „nicht sehr lange“ mit Familienmitgliedern gesprochen. Er sei aber weiter für ein solches Gespräch bereit: „Das Angebot ist bislang nicht angenommen worden.“
Ein einstiger Polizeiführer sagte am Freitag ebenfalls als Zeuge vor dem Ausschuss aus. Laut eigenen Angaben hatte er in den Tagen nach dem Anschlag keinen Auftrag zu einer „Gefährderansprache“ an Opferangehörige erteilt. Im rund 25-köpfigen Führungsstab des Landeskriminalamts (LKA) in der Nacht auf den 24. Februar 2020 sei diskutiert worden, wie diese traumatisierten Menschen für ein eventuelles zufälliges Zusammentreffen mit dem Vater des Attentäters sensibilisiert werden könnten, sagte der weitere Zeuge im Ausschuss. Der Vater sollte damals im Februar 2020 aus der Psychiatrie entlassen werden und habe angekündigt, in Hanau die Medien über seine Sicht des Attentats zu informieren.
Die Grünen-Abgeordnete Vanessa Gronemann verwies auf einen damaligen Vermerk des Polizeipräsidiums Südosthessen, wonach Gespräche mit Opferangehörigen zu führen seien, um „konfliktverschärfende oder strafbare Handlungen“ zu vermeiden. Der einstige Polizeiführer betonte, aus dem LKA-Führungsstab sei in der Nacht auf den 24. Februar 2020 kein Auftrag zu einer „Gefährderansprache“ an Opferfamilien „rausgegangen“.
Der Vater sei wenige Tage nach dem Attentat als „weder fremdgefährdet noch eigengefährdet“ aus der Psychiatrie „rausgeschmissen“ worden, habe sich aber dann freiwillig in polizeiliche Obhut begeben. Opferangehörige hatten damals mit Blick auf ihre Gespräche mit der Polizei den Fachbegriff „Gefährderansprache“ als unsensibel kritisiert. Der Zeuge ist heute im Ruhestand und sagte: „Mein Abstand zur Polizei ist schon fortgeschritten - Gott sei Dank!“