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„Übertragung sehr viel wahrscheinlicher“Hürther Arzt äußert sich im Interview zu Covid-Welle

Lesezeit 5 Minuten
Ein Arzt sitzt an seinem Schreibtisch.

Matthias Schlochtermeier, Facharzt für Innere und Allgemeinmedizin in Hürth-Efferen und Vorsitzender des beratenden Fachausschusses für Hausärzte der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein, äußert sich zur Covidwelle im Sommer.

Der Allgemeinmediziner Matthias Schlochtermeier aus Hürth spricht im Interview über die steigende Zahl an Covid-Infektionen diesen Sommer.

Die Coronapandemie gilt seit mehr als einem Jahr als beendet. Doch das Virus existiert weiterhin. Mitten in der Urlaubssaison treibt eine offenbar sehr ansteckende Variante des Coronavirus die Infektionszahlen in die Höhe. Andreas Engels sprach darüber mit Dr. Matthias Schlochtermeier. Der 54-jährige Facharzt für Innere und Allgemeinmedizin hat eine Hausarztpraxis in Hürth-Efferen und ist Vorsitzender des beratenden Fachausschusses Hausärzte der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein.

In vielen Arztpraxen herrscht mitten in der Urlaubssaison gerade Hochbetrieb. Bei Ihnen auch?

Matthias Schlochtermeier: Die Frage kann ich eindeutig mit Ja beantworten. Wir haben eine deutliche Zunahme von Atemwegserkrankungen allgemein und seit neuestem auch eine richtige kleine Corona-Welle.

Mit welchen Symptomen kommen die Patienten zu Ihnen?

Das sind die Symptome, die wir auch von Erkältungskrankheiten kennen, also Abgeschlagenheit, Gliederschmerzen, vor allen Dingen Husten und Schnupfen. Zum Teil aber auch hohes Fieber.

Haben wir in diesem Jahr Sommer-Covid statt Sommergrippe?

Das ist ein bisschen komplexer. In der Mehrheit sind es immer noch grippale Infekte, also normale Erkältungen, ein kleiner Anteil ist Covid. Aber das Spannende ist ja, das wir überhaupt so viele Covid-Infektionen haben. Wir haben gelernt, dass Covid eigentlich eine Winterkrankheit ist und man sich vor allem in geschlossenen Räumen ansteckt.

Warum ist das jetzt anders?

Zum einen ist die aktuelle KP-Omikronvariante des Coronavirus wohl sehr ansteckend, so dass sie sich auch unter sommerlichen Bedingungen ausbreitet. Dazu kommt, dass wir in diesem Jahr bislang ja noch gar keinen richtigen Sommer haben. Das regnerische Wetter führt dazu, dass die Menschen mehr drinnen hinter geschlossenen Türen aktiv sind. Damit steigt das Infektionsrisiko.

Spielt womöglich auch die Fußball-EM, bei der viele Menschen im Stadion oder beim Public Viewing zusammengekommen sind, eine Rolle?

Also ich glaube nicht, dass es dafür Daten gibt. Aber wenn sich nach einem Tor alle in den Armen liegen, ist das natürlich infektiologisch ungünstig.

Die Pandemie gilt seit über einem Jahr als beendet. Gehen die Menschen jetzt zu leichtfertig mit dem Infektionsrisiko um?

Das ist eine moralische Frage. Wie definiert man leichtfertig? Ich will es mal so versuchen: Die Gefahr durch Covid-Infektionen ist gebannt. Wir sehen in den Praxen Gott sei Dank keinerlei schwere Verläufe. Wir sehen auch keine Zunahme von Post- oder Long-Covid. Die Impfung war der Gamechanger. Heute ist es die sogenannte hybride Immunität. Das heißt: drei Impfungen plus durchgemachte Infektion. Die meisten Menschen, die ich hier sehe, haben beides, nämlich drei Impfungen und eine Infektion gehabt. Das ist die beste Form der Immunität, die wir im Moment kennen.

Was unterscheidet denn die Virus-Variante von den bisherigen?

Ich habe noch keine genauen Daten, aber es gibt diesen neuen Virustyp, und der scheint, so wie ich das beobachte, zumindest doch sehr infektiös zu sein. Also die Übertragung ist sehr viel wahrscheinlicher, sonst würde er sich unter sommerlichen Bedingungen nicht so verbreiten.

Macht Ihnen die Sommerwelle Sorgen im Hinblick darauf, was im Winter passieren könnte?

Nein, gar nicht, weil die Infektionen gerade sehr mild und harmlos verlaufen und gleichzeitig zu einer verbesserten Immunitätssituation führen. Wer sich jetzt im Sommer ansteckt, hat eine sehr frische, sehr hochleistungsfähige Immunität. Der wird sich im Winter nicht wieder anstecken.

Ist es denn noch sinnvoll, sich bei Symptomen testen zu lassen?

Ja auf jeden Fall, denn die Symptome kann man auch mit einer normalen grippalen Infektion verwechseln. Wir haben aber die Situation, dass ganz viele gar keine Tests mehr zu Hause haben. Oder die Tests sind abgelaufen. Es wird also eine hohe Dunkelziffer an Covid-Infektionen geben. Und die Infizierten können andere anstecken. Ich rate dazu, Tests zu bevorraten und bei Auftreten einer Erkältungssymptomatik, insbesondere bei Fieber, zum Einsatz zu bringen – zum Schutz der Mitmenschen. Wenn man infiziert ist, egal ob mit Corona, mit der Grippe oder RS-Viren, dann hat man aus meiner Sicht eine Verantwortung den Mitmenschen gegenüber. Und bei positivem Testergebnis sollte man sich in die Isolation begeben, und wenn man sich nicht separieren kann, beim Einkaufen eine FFP2-Maske tragen.

Jetzt kommt die Corona-Welle gerade um diese Jahreszeit sehr ungelegen. Kann man mit einer Infektion in den Urlaub fahren?

Es gibt keine Bestimmungen mehr, die das verbieten. Solange man positive Testergebnisse hat, rate ich aber weiterhin zur Isolation und finde das jetzt ehrlich gesagt nicht besonders fair, sich mit einer Corona-Infektion ins Flugzeug zu setzen.

Wie groß ist die Belastung für die Arztpraxen?

Den Arztpraxen geht es sehr schlecht damit, weil wir normalerweise jetzt ein Sommerloch hätten. Das brauchen die Mitarbeiter eigentlich auch zur Regeneration. Meine Praxis war zu keinem Zeitpunkt geschlossen, auch während der Coronapandemie im Winter nicht. Wir waren immer da für unsere Patienten, und so ist es auch jetzt. Aber die Erholungsphase, die der Sommer üblicherweise darstellt, fällt gerade aus.

Wir reagieren Sie darauf?

Darauf kann man nicht reagieren. Ich mache meinen Job, so wie immer.

Muss man denn man mit Corona-Symptomen unbedingt zum Arzt gehen?

Am liebsten habe ich die infektiösen Patienten gar nicht in meiner Praxis. Dafür gibt es ja inzwischen Videosprechstunden, die uns die Pandemie gebracht hat. Die Ausnahme ist, man leidet unter gravierenden Symptomen.