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FlutkatastropheIm Kreis Euskirchen nehmen bisher nur 193 Firmen Aufbauhilfe in Anspruch

Lesezeit 4 Minuten
Das Symbolfoto zeigt einen bei der Hochwasserkatastrophe überfluteten Keller, in dem Gerümpel schwimmt. Im Hintergrund ist eine zerstörte Heizungsanlage zu sehen.

Die Zerstörungen durch die Flutkatastrophe waren groß und sind es in vielen Fällen immer noch. Angesichts dessen verwundert die geringe Anzahl von Hilfsanträgen.

Sieben Monate vor dem Ende der Frist haben auffallend wenige von der Flut betroffene Firmen im Kreis Euskirchen Anträge auf Wiederaufbauhilfe gestellt. Landrat Markus Ramers kritisiert die Informationspolitik des Landes.

Noch 217 Tage haben die Betroffenen der Flutkatastrophe Zeit, Anträge auf Wiederaufbauhilfe zu stellen. Aus Sicht des Weilerswister Bundestagsabgeordneten Detlef Seif (CDU) ist das zu wenig. Der Euskirchener Landrat Markus Ramers (SPD) fordert unterdessen mehr Transparenz über die Hilfen für Unternehmen.

Euskirchener Bundestagsabgeordneter Detlef Seif fordert ein Jahr längere Antragsfrist

In einem Schreiben an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) fordert Seif eine Ausdehnung der Antragsfrist um ein Jahr. Von den bereitgestellten 12,3 Milliarden in NRW für Unternehmen, Privathaushalte und öffentliche Infrastruktur seien bisher rund zwei Milliarden Euro bewilligt worden, so Seif: „Im Bereich der Privathaushalte sind rund 97 Prozent der eingereichten Anträge im Bewilligungsprozess oder bewilligt.“

Dass erst so wenig von dem zur Verfügung stehenden Gesamtbetrag abgerufen oder bewilligt wurde, hat Seif zufolge verschiedene Gründe: So seien etwa die Versicherungsquoten höher als zunächst angenommen. Unternehmer finanzierten den Wiederaufbau teilweise mit Universalkrediten oder Eigenkapital vor, und nicht alle Kommunen hätten den erforderlichen Wiederaufbauplan für den Aufbau der öffentlichen Infrastruktur eingereicht.

Für Betroffene ist es schwierig, Handwerker und Gutachter zu finden

„Trotz der hohen Einsatzbereitschaft regionaler und überregionaler Handwerker und Gutachter ist es für viele Betroffene schwierig, Bauunternehmer oder Sachverständige zu finden“, nennt Seif einen weiteren Grund.

Die Corona-Pandemie habe das Ganze verschärft. Sowohl die Energiekrise als auch die Nachwirkungen der Pandemie und die aktuelle Flüchtlingssituation würden derzeit viele Ressourcen binden. Seif: „Die Betroffenen sind traumatisiert. Oftmals fehlen ihnen die Kraft und der Antrieb zur Antragstellung, teilweise besteht Scham.“

Eine 79-jährige Frau versuchte es 16 Monate ohne Hilfe

Er nennt den Fall einer 79-jährigen Frau aus seinem Wahlkreis, die 16 Monate versucht habe, die Flutschäden selbst zu beseitigen und das Haus zu räumen. „Erst jetzt hat sie Hilfe angenommen“, so Seif. Es wäre nicht nachvollziehbar, wenn bei den bestehenden Schwierigkeiten ab dem 1. Juli 2023 keine Anträge mehr gestellt werden könnten.

Landrat Markus Ramers kann sich mit dem Vorschlag, die Frist zu verlängern, anfreunden. Den Landrat beschäftigt aber noch ein anderer Aspekt. Ihn und die Fraktionen im Kreistag verwundert es, dass bislang nur 193 Firmen im Kreis einen Antrag auf Aufbauhilfe gestellt haben, 33 über die Handwerkskammer und 160 über die Industrie- und Handelskammer. Das seien auffallend wenige, gemessen an den 1750 bewilligten Soforthilfeanträgen unmittelbar nach der Flut, auch wenn Freiberufler ihre Anträge ohne den Weg über die Kammern stellen, so der Landrat in der jüngsten Sitzung des Wirtschaftsförderungsausschusses.

Für eine abgeschriebene Restaurantküche gibt es nur einen Euro

Sollten wirklich so viele Unternehmen über ihre Versicherungen die Schäden behoben haben? Oder ist ihnen der Umweg über die Kammern zu umständlich? Liegt es vielleicht auch daran, dass die Firmenleitungen zu lange auf Gutachter und Handwerker warten müssten und die Frist bis Mitte 2023 noch nutzen wollen, um dann möglichst mit vielen sicheren Fakten oder Rechnungen den Antrag stellen zu können? Anträge können aber zunächst auch mit ungefähren Angaben gestellt werden.

Ramers bezweifelt, dass die gewaltige Differenz zwischen Soforthilfeanträgen und Anträgen auf Wiederaufbauhilfe dadurch zu erklären ist. Auch Frust über die Zeitwert-Richtlinie könne ein Grund sein. „Als Restaurantbetreiber bekommt man für eine komplett abgeschriebene Küche einen Euro. Dafür bekommt man aber keine neue Küche, um das Restaurant weiterbetreiben zu können“, nennt Ramers ein Beispiel.

Die Betroffenen sind traumatisiert. Oftmals fehlen ihnen die Kraft und der Antrieb zur Antragstellung, teilweise besteht Scham.
Detlef Seif

Der Kreis würde die Firmen gerne mehr beraten, habe aber kaum Informationen. „Es ist halt schwierig, weil man zu wenig weiß“, sagt Ramers. Im Frühjahr habe er den damaligen Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) um Auskunft gebeten, wie viele Anträge aus dem Kreis eingegangen und wie viele davon bewilligt worden seien. „Da bekamen wir nichts Vernünftiges“, so Ramers. Nach der Diskussion im Ausschuss wolle er nun einen neuen Versuch bei Pinkwarts Nachfolgerin Mona Neubaur (Grüne) starten.

Auch bei der IHK Aachen zeigt man sich verwundert über die geringe Anzahl von Anträgen. Im besten Fall liege es daran, dass die Firmen mit den Versicherungen Lösungen gefunden hätten, so Nils Jagnow, der bei der IHK unter anderem für volkswirtschaftliche Statistiken zuständig ist. Er und Ramers schließen aber auch nicht aus, dass bis zum Fristende noch ein Endspurt einsetzt.