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„Es ist eine Katastrophe“Sülzer beklagen Leerstände an der Berrenrather Straße

Lesezeit 5 Minuten
Blick auf ein leeres Ladenlokal, im Schaufenster hängt ein Schild: zu vermieten

Die Filiale von Muskelkater-Sport ist wie viele andere Geschäfte auf der Berrenrather Straße jetzt zu vermieten.

An der Berrenrather Straße, einer typischen Veedels-Einkaufstraße, sind viele inhabergeführte Einzelhandelsgeschäfte verschwunden.

Ruth Röhrig ist praktisch die Galionsfigur der Berrenrather Straße. Lange bevor die Nachbarschaft ihre Geschäfte aufschließt, steht sie in der Tür ihres Blumenladens und schaut mit ihren wachen hellblauen Augen nach dem Rechten. Was sie da sieht, freut sie nicht immer. Der goldene Lorbeerkranz auf der Fensterscheibe, der den Schriftzug „50 Jahre“ umrahmt, muss sicherlich noch einmal aktualisiert werden, denn ans Aufhören denkt die über 80-Jährige, die täglich gegen zwei Uhr aufsteht, um im Morgengrauen am Blumengroßmarkt zu sein, noch lange nicht. Umso nachdenklicher betrachtet die gelernte Gärtnerin und Floristin die Entwicklung auf ihrer Straße. All die Geschäftsschließungen und den Weggang der inhabergeführten Läden.

Eine alte Frau im Ringelpulli sitzt in einem Blumenladen

Die Blumenhändlerin Ruth Röhrig ist mit über 80 Jahren noch täglich in ihrem seit mehr als einem halben Jahrhundert bestehenden Geschäft.

Röhrig zeigt zur gegenüberliegenden Seite: „Wie das Schreibwarengeschäft dort zugemacht hat, war ich sehr, sehr traurig.“ Ein Vierteljahrhundert betrieben Silvia und Horst Seifert ihr Geschäft in Sichtnähe zu den Bahngleisen der Linie 13 und sorgten dafür, dass mehr als eine Generation von i-Dötzchen stolz ihre nagelneuen Ranzen und Schultüten zum ersten Klassenzimmer trugen.

Bäckerei-Filiale statt Schreibwarengeschäft in Köln-Sülz

Ungeachtet der seit knapp 20 Jahren bestehenden Schmitz & Nittenwilm-Filiale in nicht mal 100 Metern Entfernung zog in die Räumlichkeiten des einstigen Buch- und Papiercenters ebenfalls ein Ableger einer Bäckerei-Kette. Immerhin wurde im Zuge des Wechsels die alte Fassade neu gestrichen, was im Anschluss an den Auszug des Familienunternehmens Brune auf der anderen Seite des Gürtels nicht passierte. Dort schaut man nun schon lange nicht mehr auf attraktive Küchenzeilen und Designermöbel, sondern auf die blinde, seelenlose Fensterfront eines Ablegers der Diakonie Michaelshoven.

Blick auf das dreckige Schaufenster eines ehemaligen Kiosk

Ungepflegt, dreckig und seit Jahren nicht mehr als Kiosk genutzt: Ein weiteres leerstehendes Ladenlokal auf der Berrenrather Straße.

Geradezu beschämend – und das seit Jahren – ist der Anblick der Häuserzeile neben der Manderscheider Schule. Schon von Weitem leuchten einem die hässlich beklebten Schaufenster einer Textilreinigung entgegen, die es ebenso wie den Kiosk nebenan mit seinen versifften Scheiben schon lange nicht mehr gibt. Die Räume würden nicht mehr vermietet, sondern von Nachbarn als Lager benutzt, steht auf einem Schild im Fenster.

Fünf Häuser weiter, der nächste Leerstand. Ende Juni hat Muskelkater-Sport-Inhaber Thomas Britz die Filiale geschlossen und betreut seine Kunden nun nur noch vom „Mutterhaus“ in Zollstock aus, was ihm Waren-Logistik und Lagerung erleichtert.

„Gravieranstalt“ Kleinrahm schloss seine Türen im Jahr 2019

An der Fassade gegenüber erinnert noch der überdimensional große Stempel an die einstige „Gravieranstalt“ Kleinrahm. In dem 2019 geschlossenen Schildergeschäft wirkt nun hinter Milchglasscheiben ein Hausmeisterservice. Ein paar Meter weiter stadteinwärts wurde der Schriftzug „Sale“ der gleichnamigen Textilkette von den Buchstaben „no more“ durchkreuzt. Hier findet man also ebenfalls keinen Einzelhandel mehr vor, sondern ein Büro.

Schaufenster mit Schönheits-Plakaten

Seit dem Auszug des Wäschegeschäfts Body-Silhouette weiß niemand so recht, wofür das einst hübsche Ladenlokal nun genutzt wird.

Was sich hinter „Natura Faktum“ verbirgt, fragt sich im Veedel fast jeder. Seitdem das Wäschegeschäft „Body Silhouette“ in dem entzückenden kleinen Ladenlokal Ecke Gerolsteiner Straße im vergangenen Jahr schloss, sind die Schaufenster mit teils zerknitterten Schönheitsplakaten zugeklebt und niemand weiß so recht, wofür der Laden genutzt wird. Laut Türschild ist lediglich samstags für vier Stunden geöffnet, aber die Ladentür scheint immer verschlossen. Dafür kann man Shahab Noorani auf der anderen Straßenseite oft bei der Arbeit sehen. Er sei eben ein Dinosaurier, meint der Inhaber des seit 1992 bestehenden Fotogeschäfts. Dafür hat der Friseur Clip nebenan kürzlich ausgeräumt. Noch ein Leerstand.

Schlüsseldienst-Inhaberin kritisiert zu hohe Mieten in Köln-Sülz

Apropos Dinosaurier: Der älteste noch immer existierende Vertreter einer alten Gattung befindet sich ein paar Häuserblocks entfernt, wenn man die ebenfalls verwaist wirkenden Räumlichkeiten des Testcenters passiert hat und an der Sülzburgstraße angekommen ist. „Es ist eine Katastrophe hier“ schimpft Christa Freiberger, deren Großvater 1904 an eben dieser Stelle eine Schmiede eröffnete, die im Laufe der Zeit zum heutigen Schlüsseldienst-Unternehmen wurde.

Die 68-Jährige ist bekannt dafür, kein Blatt vor den Mund zu nehmen; deshalb kommt ihre Kritik an den zu hohen Mieten im Veedel, an vernichteten Parkplätzen und vor allem am allgegenwärtigen Müll nicht überraschend. „Und da wagt sich Köln, etwas gegen Düsseldorf zu sagen!“ Freiberger, die, wie sie behauptet „aus reiner Frackigkeit“ noch hinterm Tresen steht, bedauert die vielen Schließungen – wie auch die des einstigen Spiel- und Hobbycenters – sehr.

Boutique Else und die Kneipe Alt Sülz stehen leer

Gegenüber der Kirche St. Nikolaus steht schon lange die Kneipe Alt Sülz leer. In jüngerer Zeit sind sowohl die Boutique Else als auch – weiter stadteinwärts – die Nicolai-Apotheke weggezogen. Das größte, wie verlassen wirkende Areal dürfte jedoch der ehemalige Automobil-Karosseriebetrieb Fick sein, der im Januar auf der Luxemburger Straße seine neue Adresse fand. Abgesehen von der eigentlichen Werkstatt im Hinterhaus werden seit vielen Jahren Hunderte von Quadratmetern auf der ersten Etage nicht mehr genutzt.

Blick in einen Hinterhof mit verwaister Autowerkstatt

Über der ehemaligen Karosserie-Werkstatt Fick stehen seit vielen Jahren Hunderte von Quadratmetern Raum leer.

Nur wenige Schritte weiter Richtung Weyertal ist im Juni auch History Today ausgezogen. Tobias Dahl hat sein Büro für Geschichtsforschung nach Lövenich verlegt und freut sich seitdem über das Fünffache an Platz für einen deutlich geringeren Mietpreis. Er wäre gerne in Sülz geblieben, sagt er, wenn sich die Vermieter ein bisschen flexibler gezeigt hätten.

Aber es gibt auch eine Frau, die sich freut: Francesca Pesce. Die 39-jährige Designerin hatte nach Corona und trotz Inflation den Mut, einen Concept-Store für Hunde und Katzen zu eröffnen. Seit Januar verkauft sie Leinen, Halsbänder, ausgefallene Hundebetten und vieles mehr und hat den Schritt bisher nach eigenen Worten „überhaupt nicht bereut“.