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Lob auf die „Normalzeit“Warum die Winterzeit die bessere ist

Lesezeit 6 Minuten
Uhren dpa

Wie geht es weiter in der Debatte um die Zeitumstellung?

Nach ihrer Umfrage, in der sich 84 Prozent von 4,6 Millionen Bürgern gegen die Zeitumstellung ausgesprochen haben, schlägt die EU-Kommission vor, ab 31. März 2019 keine Uhren mehr umzustellen. Die Wahl der Zeitzone soll den Mitgliedsländern überlassen bleiben. Viele tendieren nun zur dauerhaften Sommerzeit. Dieser Entschluss aber würde bedeuten, dass unsere Uhren ganzjährig die Osteuropäische Zeit (OEZ) anzeigen, die eigentlich für die Ukraine oder Bulgarien gedacht ist. Da wir uns aber nicht in diesen Ländern befinden, drohen vielfältige Nachteile.

Es werde riesige Probleme geben, warnt der Münchner Chronobiologe Till Roenneberg. Er beruft sich auf begutachtete wissenschaftliche Literatur. Seinen Erkenntnissen zufolge wäre eine ganzjährige Sommerzeit für die Gesundheit und Leistungsfähigkeit einer großen Mehrheit der Deutschen viel schlechter als die jetzige Situation. Die Rückkehr zur ganzjährigen Normalzeit – umgangssprachlich Winterzeit genannt – dagegen hätte für sie Vorteile und bliebe für die anderen Menschen ohne vergleichbare negative Auswirkungen.

Roenneberg freut sich grundsätzlich über das „Vorhaben zur Abschaffung der Zeitumstellung“, nennt die Idee einer ganzjährigen Sommerzeit allerdings einen „Cloxit“. Wie beim Brexit würde die Gesellschaft hinterher ihr Votum bereuen. Erneut hätten die Bürger „über etwas abgestimmt, über dessen Folgen sie zuvor nicht ausreichend informiert worden“ seien. Doch was sind diese Folgen?

Wir können nur die Uhren verstellen, nicht die biologische Zeit. Unsere Biologie erfasst die Tageszeit durch das Sonnenlicht. Weil Licht morgens und abends entgegengesetzt wirkt, richten sich die inneren Uhren unabhängig von der Jahreszeit nach dem Zeitpunkt, zu dem die Sonne im Zenit steht. Bei Reisen in andere Zeitzonen passen wir uns deshalb vergleichsweise rasch an. Stellen wir indes die Uhren um auf Osteuropäische Zeit (OEZ) oder Sommerzeit, ist das nur die gesellschaftliche Übereinkunft, das soziale Leben eine Stunde vorzuverlagern. Alles beginnt eine Stunde früher, wir stehen bis zu eine Stunde früher auf. Doch was in Kiew Sinn macht, weil dort auch die Sonne vorauseilt, verstetigt hierzulande die Jetlag-ähnliche Situation und erhöht Gesundheitsrisiken. Die Uhren-Umstellung im Frühjahr kann deshalb auch nicht mit einem Mini-Jetlag verglichen werden. Eine biologische Anpassung an die geänderte Uhrzeit ist kaum möglich.

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Sommerzeit raubt Schlaf

85 Prozent lassen sich werktags vom Wecker wecken. Sie leben im sozialen Jetlag. Ihr Arbeits- oder Schulrhythmus läuft dem biologischen Rhythmus voraus. Sie müssten länger schlafen, können aber nicht, und schlafen oft nur am Wochenende aus. Früher zu Bett zu gehen, hilft nur selten. Es fällt vielen schwer, weil der Spiegel des Nachthormons Melatonin dann niedrig ist. Die Sommerzeit verschlimmert diese Situation, weil wir – bezogen auf den Melatoninrhythmus – in dieser Zeit früher aufstehen und zu Bett gehen. Diesen Fehler zusätzlich auf die Wintermonate auszudehnen, wäre fatal. Roenneberg schätzt, dass sich der soziale Jetlag dadurch um 50 Prozent verstärken würde.

Menschen sind verschieden. Der optimale Einschlafzeitpunkt ist individuell. Gerade den Eulen genannten Spättypen, die abends verzögert auf Nacht umschalten, schadet die Sommerzeit. Doch selbst für die meisten Durchschnittstypen beginnt die Arbeit biologisch gesehen während der Sommerzeit zu früh. Deshalb fordern Chronobiologen flexiblere Arbeitszeiten. Und sie warnen vor der ganzjährigen Sommerzeit. „Die Kosten, die sich aus dem Leben gegen die innere Uhr und aus Schlafproblemen ergeben, werden für Deutschland auf fast 60 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt“, sagt Chronobiologe Roenneberg. In einer ganzjährigen Sommerzeit würde die Zahl klar steigen. In einer ganzjährigen Normalzeit dürfte sie sinken.

Die Jugend sollte ausschlafen

In Deutschland beginnt die Schule viel zu früh. Mit dem Einsetzen der Pubertät verschiebt sich die innere Rhythmik der Menschen. Sie werden für einige Jahre später müde und morgens später wach. Schlafforscher und Chronobiologen fordern deshalb schon lange einen späteren Schulbeginn zumindest für Mittel- und Oberstufe. Eine ganzjährige Sommerzeit würde Deutschland in Bildungsfragen hingegen weiter zurückwerfen: Biologisch gesehen begänne die Schule dann dauerhaft eine Stunde früher. Das Unterrichten zur falschen Tageszeit wäre dabei noch nicht einmal das einzige Problem: Es würde im Winter morgens extrem spät hell. Das Unfallrisiko auf dem Schulweg dürfte ansteigen.

Es droht leichte Reizbarkeit

Auch Kindern und Jugendlichen hilft es übrigens meist nicht, einfach früher zu Bett zu gehen. Eltern kennen das: Vor allem nach der Uhrenumstellung im Frühjahr sind Kinder abends zunehmend übermüdet und aufgekratzt, sie schlafen dennoch nur schwer ein. Auf gesellschaftlicher Ebene dürfte der wachsende chronische Schlafmangel infolge der dauerhaften Sommerzeit zu mehr allgemeiner Reizbarkeit bis hin zu depressiven Verstimmungen, vermehrten Suiziden und mehr Stoffwechselkrankheiten wie Diabetes führen. Solche Erfahrungen hat Russland gemacht, als ab dem Jahr 2011 dort die ganzjährige Sommerzeit galt. Auch wenn die Zahlen bislang nur in Ansätzen wissenschaftlich aufgearbeitet wurden, so bestätigt der Trend doch die wissenschaftlichen Annahmen. Russland reagierte rasch. Dort gilt seit 2014 die ganzjährige Normalzeit.

Ein Ende der Zeitzonen-Willkür

Zeitzonen sind eigentlich so gedacht, dass die Sonne in ihnen zwischen 11.30 Uhr am östlichen Rand und 12.30 Uhr am westlichen Rand im Zenit steht, also den höchsten Punkt in ihrem Tageslauf erreicht hat.

Das passt biologisch gut zum sozialen Rhythmus der Durchschnittsmenschen. Leben Menschen zu weit westlich für ihre Zeitzone, etwa in Frankreich oder Spanien, verschieben sich die Aktivitäten nach hinten.

Nicht umsonst wird in Spanien oft erst um 21 Uhr zu Abend gegessen – ein Szenario, das sich in einer dauerhaften Sommerzeit auch in Deutschland ergeben könnte. Doch wozu dann das Ganze? Viele Länder dürften die Abschaffung der Zeitumstellung zum Anlass nehmen, ihre Zeitzonenzugehörigkeit zu überdenken.

Frankreich und Spanien sollten in die Westeuropäische Zeit (WEZ) wechseln, die auch in Großbritannien gilt. Portugal müsste streng genommen noch eine Stunde weiter rücken.

Flexiblere Arbeitszeiten

Deutschland ist mit Ausnahme des Saarlands in der Mitteleuropäischen Zeit (MEZ) gut aufgehoben. Den Saarländern würde ein späterer Arbeits- und Schulbeginn helfen. Umgekehrt müssten die Menschen im Osten Polens reagieren.

Auch sie leben an einer Zeitzonengrenze. Würde ganz Polen ihnen zuliebe in die Osteuropäische Zeit (OEZ) wechseln, wäre das indes die schlechtere Lösung.

Was bringt eine einheitliche Weltzeit?

Interessant ist ein ganz anderes Zukunftsszenario: Was wäre, wenn man Zeitzonen einfach abschaffen würde und auf der ganzen Welt nur noch eine einzige einheitliche Uhrzeit gälte? Nicht nur für Flugpläne oder den Waren- und Datenaustausch wäre das eine Erleichterung.

Auch wir Menschen müssten zwangsläufig lernen, dass die Zeit auf der Uhr nichts mit unserer biologischen Uhr zu tun hat.

Automatisch wäre auch die Taktung sozialer Aktivitäten wie Arbeits-, Schul- und Freizeit von der Uhrzeit abgekoppelt. In manchen Ländern würde man dann ohne Wecker ausgeschlafen um zwei Uhr aufwachen. Es wäre dann aber morgens, nicht nachts, und es wäre völlig normal.

Wir wären dann losgelöst vom Druck zum frühen Aufstehen oder morgendlichen Arbeiten. Wir könnten viel besser als heute dem intuitiven Zeitgefühl folgen und damit unserer angeborenen biologischen Rhythmik. Wie das volkswirtschaftlich zu vereinbaren ist, muss allerdings noch festgestellt werden.

Der Autor

Peter Spork hat mehrere Bücher über Schlafforschung und Chronobiologie geschrieben und hält viele Vorträge zum Thema. Im Buch „Wake up! Aufbruch in eine ausgeschlafene Gesellschaft“ (Hanser, dtv) plädiert er für eine Abschaffung der Sommerzeit.