Wein-Tipp einer SommelièreAlte Trauben, die hundert Jahre keiner mehr geschmeckt hat
Köln – Heute werden in Deutschland nur noch etwa 25 Rebsorten angebaut. Reblauskatastrophe, Weltkriege und Flurbereinigung ließen unzählige jahrtausendealter wie klimaerprobter Rebsorten verschwinden. Nach dem zweiten Weltkrieg setzte man auf Rebsorten, die zuverlässig gute Erträge brachten. An vielen Trauben verlor man das Interesse, auch weil der Anbau oft zu schwierig, der Ertrag zu wenig, die Zuckerausbeute zu gering oder der Geschmack gerade nicht in die Zeit passte.
Andreas Jung will das ändern. Er ist ein sogenannter Ampelograph. Ein Rebsortenkundler, der sich mit der Bestimmung und wissenschaftlichen Klassifizierung von Rebsorten beschäftigt. Mit einem fotografischen Gedächtnis ausgestattet, kann er an Merkmalen wie Pflanzenwuchs, Blattform und Behaarung erkennen, um welche Rebsorte es sich handelt. Mit alten Sortenbüchern gleicht er seine Eindrücke ab und findet den Ursprung der Raritäten. Er wird gerufen, wenn jemand eine unbekannte Rebe an Mauern oder Hauswänden findet oder wissen möchte, was da genau in seinem alten Weinberg steht. Seine Reisen führen ihn schon mal über Kroatien und Montenegro bis nach Persien. Aufgrund seiner Funde lassen sich Völkerwanderungen vor Tausenden von Jahren rekonstruieren.
Historische Rebsorten, neu gepflanzt
Damit diese Fundstücke wieder schmeckbar werden, arbeitet er mit Rebzüchter Ulrich Martin zusammen. Er vermehrt die Stöcke, so dass Winzer diese in ihre Weinberge pflanzen können und damit vor dem Aussterben retten.
So eine Rebsorte ist der Grünfränkisch, dessen Ursprung bis in die Antike zurückgeht. Im Mittelalter war er in Ungarn verbreitet und man vermutet, dass er aufgrund von Kriegen mit Flüchtenden nach Deutschland kam. Dort war er im Mittelalter weit verbreitet.
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Ökowinzer Stefan Sander aus Rheinhessen hat die Rebsorte gepflanzt. „Mich reizt es, etwas zu probieren, was über 100 Jahre keiner mehr geschmeckt hat“, erklärt er. „Es ist großartig, diese alten Trauben mit dem Wissen von heute zu kombinieren.“ Begeistert ist er auch von den Eigenschaften des Grünfränkischen im Weinberg. „Das Laub ist robuster gegen Pilzkrankheiten.“ Auch darin kann eine Chance für diese Rebsorten bestehen, wenn sie mit den Folgen von Extremwetter besser umgehen können.
Ausgebaut wurde der Wein in Amphoren und über 12 Monate auf der Feinhefe belassen. Das erklärt die erhöhte Viskosität. Der Wein läuft mit einem satten hellgelb ins Glas. Das Bukett ist komplex mit Aromen von Passionsfrucht, Birne, Anis, Salbei, Ingwer und blumige Töne die an Freesien erinnern. Der Wein ist knochentrocken, was durch eine cremig opulente Textur harmonisch ausgeglichen wird. Im Finish schmeckt er animierend salzig und bleibt noch lange am Gaumen haften. Mit 13% Alkohol ein mittelkräftiger Weißwein der zu intensiven wie würzigen Speisen passt und auf alle Fälle eine echte Entdeckung darstellt.
2019 Grünfränkisch „Zeitensprung“ / Weingut Sander / Rheinhessen – 15 Euro