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Von glibberig bis giftigQuallen sind auf dem Vormarsch

Lesezeit 5 Minuten

Ohrenquallen treiben oft zu Hunderten durch die Nord- und Ostsee. Die Tiere sind völlig harmlos.

Igitt! Wie Schleimhaufen liegen sie im Sand, durchsichtig und wabbelig: Hunderte von Ohrenquallen, die an den Strand gespült wurden. Diese Spezies, die auch an Nord- und Ostsee häufig vorkommt, ist zwar für den Menschen harmlos; überhaupt geht an europäischen Stränden von Quallen meist keine große Gefahr aus. Dennoch können die - in der Wissenschaft Medusen genannten - Tiere Badefreuden trüben: Die meisten Urlauber ekeln sich vor den Glibberpfützen und gehen mit einem mulmigen Gefühl ins Wasser: Vielleicht sind ja auch giftige Feuerquallen unterwegs?

"Die Zahl der Quallen ist in vielen Küstenbereichen der gemäßigten Zone, wie dem Mittelmeer und der Nordsee, gestiegen", sagt Jamileh Javidpour vom Leibniz-Institut für Meereswissenschaften in Kiel. Die gallertartigen Tiere können sich wegen der Erwärmung der Meere nämlich besser vermehren und ausbreiten. Gleichzeitig sinkt die Zahl ihrer natürlichen Feinde wie Thunfische, Schildkröten und Delfine. Auch von Umweltverschmutzung profitieren Quallen: Gelangen Abwasser und Dünger ins Meer, vermehrt sich das Plankton, von dem sie sich ernähren. Das Phänomen bezeichnen manche Wissenschaftler mit dem schauerlich anmutenden Begriff "the rise of slime" (der Aufstieg des Schleims).

Zugereiste Arten in Mittelmeer und Nordsee

Sofort das Wasser verlassen!Betroffene Hautstellen mit Haushaltsessig oder Rasierschaum behandeln, um das Nesselgift zu neutralisieren. Anschließend Tentakeln, die an der Haut kleben, vorsichtig mit einem stumpfen Gegenstand (Kreditkarte oder Messerrücken) abkratzen.

Bei der Portugiesischen Galeere ist umstritten, ob Essig geeignet ist. Diese Art ist in Nordeuropa aber sehr selten. Falls kein Essig oder Rasierschaum zur Hand ist: Sand auftragen, warten bis dieser sich vollgesaugt hat und die Masse anschließend vorsichtig und gründlich abschaben.

Wunden auf keinen Fall mit Süßwasser oder Alkohol abtupfen! Das bringt weitere Nesselkapseln zum Platzen!

Gegen Brennen und Jucken hilft eine juckreizstillende Creme.

Bei intensiven Schmerzen, allergischen Reaktionen oder Unwohlsein sollte man gleich zum Arzt gehen. Vor allem bei Kindern und alten Menschen ist Vorsicht geboten.

Es gibt nicht nur mehr Quallen, sondern auch Arten, die in Europa zugereist sind: "Wir treffen jetzt im Mittelmeer, manchmal sogar in der Nordsee, auf Quallenarten, die es bislang nur im südlichen Atlantik gegeben hat", sagt Tomas Jelinek, wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Reisemedizin in Düsseldorf. Darunter sind bisweilen Arten, die für den Menschen gefährlich sein können, allen voran die Portugiesische Galeere. Eine Berührung ihrer bis zu 50 Meter langen Tentakeln führt zu starken Schmerzen, mitunter auch zu Bewusstlosigkeit oder sogar Atem- und Kreislaufstörungen.

An den Tentakeln der meisten Quallen sitzen Nesselkapseln, die bei Berührung ein Gift ausschleudern. Damit fangen sie Beutetiere oder verteidigen sich gegen Fressfeinde. Beim Menschen kann der Kontakt mit bestimmten Arten dazu führen, dass die Haut leicht verletzt und das Gift eingespritzt wird. "Auf der Haut zeigen sich dann Rötungen und verbrennungsähnliche Symptome", erklärt der Toxikologe Andreas Schaper vom Giftinformationszentrum Nord in Göttingen. Viele Arten, wie die Ohrenqualle, sind für den Menschen aber harmlos, weil ihre Nesselkapseln die menschliche Haut nicht durchdringen können.

Auch wenn die Wahrscheinlichkeit, auf Quallen zu treffen, wächst, sei Panik fehl am Platz, findet Jelinek: "Wenn mehr Quallen im Meer sind, heißt das nicht automatisch, dass es auch mehr Quallenverletzungen gibt." Verlässliche Zahlen gibt es nicht - zumal sich Fälle, in denen ein Arztbesuch nötig ist, meist im Ausland ereignen. Immerhin bestätigt eine Analyse des Giftinformationszentrums Nord, dass die meisten Quallen-Begegnungen harmlos verlaufen: Bei einer Auswertung aller Vergiftungsfälle durch Meerestiere in fünf Jahren wurden 70 Prozent aller Fälle als "leicht" eingestuft. Dennoch warnt der Toxikologe Schaper: "Herunterspielen sollte man die Gefahr nicht."

Gegen eine Entwarnung spricht, dass in den vergangenen Jahren die Leuchtqualle im Mittelmeer zum Teil in solchen Massen auftrat, dass etwa in Spanien mancherorts Strände gesperrt wurden. Der Kontakt mit diesem Exemplar, auch Feuerqualle genannt, führt zu stechenden Schmerzen, mitunter auch zu Übelkeit und Erbrechen. Den Frankfurter Gifttier-Experten Dietrich Mebs können solche Meldungen dennoch wenig beeindrucken: Mit gefährlichen Quallen-Verletzungen müsse man in Europa nach wie vor kaum rechnen, sagt er. Auch an deutschen Küsten gibt es sogenannte Feuerquallen, gemeint ist damit allerdings eine andere Art: die Gelbe Haarqualle. Diese orangeroten Medusen pflanzen sich zwar nur in der Nordsee fort, werden aber mit der Strömung oft in die Ostsee getrieben. Sie haben ein Gift in den Nesselkapseln, das auf der menschlichen Haut Rötungen und Brennen hervorruft. "Das ist etwa so, wie wenn man an Brennnesseln gerät", sagt Christina Augustin vom Leibniz-Institut für Ostseeforschung in Warnemünde. Ähnlich unangenehm ist eine Begegnung mit der Blauen Nesselqualle, die in Nord- und Ostsee vorkommt.

Grundsätzlich gilt: Wenn viele Ohrenquallen am Strand sind, sind Feuerquallen nicht zu befürchten. "Ohren- und Feuerquallen kommen in der Regel nicht zusammen vor", sagt der Kieler Umweltexperte Birger Heinzow. Er rät, mit Schwimmbrille zu baden und ab und zu ins Wasser zu schauen. Feuerquallen könne man gut an ihrer rötlichen Färbung erkennen und sie weiträumig umschwimmen. Der Meeresbiologin Augustin zufolge sind die Tentakeln der Gelben Haarqualle zwar manchmal meterlang, aber meist nach unten gerichtet.

Wen es dennoch erwischt, der behandelt die betroffenen Stellen am besten mit Essig, Rasierschaum oder Backpulver, um noch nicht geplatzte Nesselkapseln zu inaktivieren. Sind Tentakeln oder Fäden hängengeblieben, kratzt man sie, zum Beispiel mit einer Plastikkarte, vorsichtig ab - notfalls tun es auch Sand und Meerwasser. "Mit Süßwasser darf man die Stellen aber auf keinen Fall abspülen, weil sonst weitere Nesselkapseln platzen", sagt Jelinek.Im Internet gibt es Informationen zu Quallensichtungen:

www.jellywatch.org