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StabhochspringerinQuerschnittsgelähmte Kira Grünberg sieht Unfall als Schicksal

Lesezeit 4 Minuten

Kira Grünberg ist ehrgeizig. Die Stabhochspringerin trainiert täglich intensiv und erkämpft sich mit ihrer Disziplin den österreichischen Rekord im Stabhochspringen. Der Sport ist ihr Leben. Bis sie im Juli 2015 beim Training vom Stab abrutscht und von der höchsten Stelle kopfüber nach unten stürzt - und nicht auf der weichen Matte, sondern im Einstichkasten landet. Aufstehen kann sie nicht mehr alleine. Rettungssanitäter bringen sie ins Krankenhaus, in dem sie monatelang bleiben wird. Seit ihrem Absturz kann sie weder Arme noch Beine bewegen, weil der Aufprall ihr Rückenmark auf Höhe des sechsten Halswirbels massiv beschädigt hat.

Der Traum von der WM in Peking ist geplatzt

Die damals 21-jährige Vollblutsportlerin, die junge engagierte Frau, die zur Weltmeisterschaft nach Peking reisen wollte, ist jetzt querschnittsgelähmt, eine Tetraplegikerin. Die Tetraplegie ist eine Form der Querschnittlähmung, bei der alle vier Gliedmaßen, also sowohl Beine als auch Arme betroffen sind. Was für ein Schock. Schnell beginnt sie, den Schrecken aufzuarbeiten. Weil ihre Eltern all ihre Trainingssprünge filmten, hat sie die Möglichkeit, den Unfall als Zuschauer zu erleben. "Ich habe das Unfallvideo mittlerweile zwölfmal gesehen. Selten mit Trauer oder Wehmut, viel öfter mit detektivischer Neugier, was um alles in der Welt bei diesem Sprung so derart schiefgelaufen ist. Ohne eine befriedigende Antwort erhalten zu haben", schreibt sie in ihrem Buch "Mein Sprung in ein neues Leben", in dem sie ihre Geschichte aufarbeitet (siehe Kasten). Und: "Ich kann mich an keinen Moment aufkommender Panik erinnern, sehr wohl aber an die Frage, die ich an mich selbst richtete: »Wie wird mein Leben jetzt wohl weitergehen?«"

Mit dem Schicksal abgefunden

Erstaunlich schnell findet die Österreicherin sich mit ihrem neuen Schicksal ab. Nicht mehr der Leistungssport, sondern ihr neues Leben sind nun ihre Herausforderung. "Ich betrachte meinen Unfall als vorherbestimmt, als ein Schicksal, dem ich nicht entrinnen konnte. Wäre er nicht am 30. Juli passiert, dann eben am nächsten Tag oder vielleicht drei Wochen später. Das Unglück ist passiert, niemand kann es rückgängig machen. Ich habe keinerlei Sinn darin gesehen, etwas nachzutrauern", schreibt sie. Auch im Interview wirkt Grünberg unheimlich gefasst. "Es gibt natürlich - so wie früher auch - schlechte Momente. Diese dauern aber bei mir nur ein paar Minuten. Da lasse ich wirklich alles raus und fange mich dann sehr schnell wieder. Monatelang jammern oder verzweifeln bringt dich keinen Millimeter weiter", sagt sie. Auf den Unfall folgen monatelange Krankenhaus- und Reha-Aufenthalte. Anders als von den Ärzten prophezeit, gelingt es ihr nach einiger Zeit dank ihres Ehrgeizes, wieder die Arme zu bewegen. Weitere Fortschritte folgen.

Schreckliche Anfangsprognose

"Vor einem Jahr und mit der Anfangsprognose der Ärzte, wonach ich nur mehr Augen und Kopf bewegen können werde, hätte ich mir nie vorstellen können einmal selbst zu essen, mir die Zähne zu putzen. Selbst an Rollstuhlfahren war gar nicht zu denken", sagt sie. Aber sie hat es geschafft. All das erledigt sie heute wieder alleine.

Kira Grünberg Rollstuhl

Vor einem Jahr war für die Österreicherin Kira Grünberg nicht mal an Rollstuhlfahren zu denken.

Ihre Eltern und ihre Schwester, die sie schon im Sport vorangetrieben und begleitet haben, sind während und nach der Rehazeit eine große Unterstützung: "Ich war in diese Situation hineingeschmissen worden und war angehalten zu funktionieren. Wie man es von den Jahren im Sport gewohnt war, setzte man erst einmal auf Teamwork. Wir haben nach dem Unfall jedenfalls nicht anders agiert als davor - nur mit unterschiedlichen Zielsetzungen. Früher galt es, mich fit für den Wettkampf zu machen. Heute dreht sich alles darum, mich fit fürs Leben zu machen." Mittlerweile lebt Kira Grünberg wieder zu Hause. Sie hat einen Hund, der ihr Schuhe und Socken auszieht, das Licht einschaltet und heruntergefallene Dinge aufhebt. Der Hund hilft ihr aber auch, mal aus ihrer Rolle herauszukommen, einmal nicht nur die Hilfsbedürftige zu sein, sondern sich selbst um ein anderes Lebewesen kümmern zu müssen.

Vorträge an Universitäten

Auch beruflich ist sie wieder eingespannt. Momentan mit Vorträgen bei Universitäten, Parlamentsclubs, Veranstaltungen und Firmen. "Leute zu motivieren und bei Firmen aufzutreten erinnert mich ein bisschen an früher vor den Wettkampfphasen und macht mir richtig Spaß", sagt sie. Im Sommer will sie auch ihr Pharmazie-Studium wieder aufnehmen. Sie glaubt, dass es ihre Bestimmung war, möglichst viele Menschen mit dieser Art von Verletzung und all ihren Ausprägungen vertraut zu machen und wirkt glücklich mit ihrem neuen Leben.

Kira Grünberg Schminke

Trotz der An­fangs­pro­gnose der Ärzte, außer Augen und Kopf sich nicht mehr bewegen zu können, ist Kira Grünberg wieder in der Lage sich selber zu schmin­ken.

Das hört sich alles gut an. Und trotzdem, diese letzte Frage muss sein: Ob sie ihren Sport, ihre Leidenschaft nicht vermisse? Die Antwort: "Ich bin sehr gerne Stabhoch gesprungen, schaue mir heute noch viele Wettbewerbe - auch live - an und halte es nach wie vor für die eleganteste Sportart. Ich hatte viele schöne Momente im Sport aber jetzt ist alles stressfreier, ich habe mehr Zeit, kann mehr genießen, also direkt vermisse ich den Hochleistungssport eigentlich nicht."

Kira Grünberg/Manfred Behr: "Mein Sprung in ein neues Leben", Edition a, 224 Seiten, 21,90 Euro