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Rückkehr der MasernWarum eine Impfung auch für Erwachsene Sinn macht

Lesezeit 7 Minuten

Löchriger Schutz: Wer in den 1970er Jahren geboren wurde, ist meist nicht ausreichend geimpft.

Köln – Man nennt sie verharmlosend Kinderkrankheiten, aber es sind schwere Krankheiten. So schwer, dass Kinder und Erwachsene je nach Verlauf der Infektion in die Klinik müssen. Betroffene können an Folgeerkrankungen leiden, die es in sich haben und – wenn auch selten – tödlich enden können. Masern, Windpocken, Keuchhusten und Co. breiten sich wieder aus, vorrangig Masern, und vorrangig bei Jugendlichen und Erwachsenen. Ein Ende dieser Entwicklung ist derzeit nicht absehbar.

Es ist irrig anzunehmen, man könne sich schon schützen, wenn man nur vorsichtig genug sei. Nicht derjenige, der übersät mit roten Pusteln und fiebrigen Augen vor einem sitzt, ist die sichtbare Gefahr auf zwei Beinen, sondern der mit geröteten Augen, bellendem Husten und Schnupfen. Was aussieht wie eine heftige Erkältung oder eine Grippe, kann die erste und damit hochansteckende Phase einer Maserninfektion sein. Und die holt man sich meist da, wo man sie am wenigsten vermutet: In Wartezimmern der Arztpraxen, wie in Köln geschehen, in Bus und Bahn, Kaufhäusern, Bistros, an Türgriffen, Handläufen oder Wasserhähnen und auf der Reise in die heiß ersehnten Ferien.

Professor Michael Weiß, Chefarzt an der Kinderklinik Amsterdamer Straße: „Kinder werden heute in den ersten beiden Lebensjahren zwei Mal geimpft. Erwachsene, die in den 1970er Jahren geboren wurden, sind in der Regel nur ein Mal gegen Masern geimpft worden. Folglich ist der Schutz löchrig.“ Und vor allem bei denjenigen, die gar nicht geimpft und bisher von einer Maserninfektion verschont geblieben sind.

Besonders viele Männer betroffen

Es trifft vor allem die Altersgruppe von 20 bis Mitte 40, und darunter besonders viele Männer. Die hochansteckenden Viren können das Immunsystem dauerhaft schädigen, komplizierte Infektionen der Atemwege und des Mittelohrs verursachen, und sogar Schädigungen des Gehirns. Auch wenn ein Großteil der Betroffenen Masern und andere virale oder bakterielle Infektionen wie Windpocken und Keuchhusten relativ gut meistert, können sie für Familienangehörige fatal verlaufen. „Für betagte Eltern oder die Großmutter, für immunologisch geschwächte Patienten besteht eine höhere Komplikationsgefahr“, so Weiß. Denn das Immunsystem älterer Menschen ist zusammen mit ihnen in die Jahre gekommen, schwächelt und kann sich gegen die Attacke nicht oder nur ungenügend zur Wehr setzen.

Bei Prof. Gerhard Wiesmüller, der am Gesundheitsamt in Köln die Abteilung Infektions- und Umwelthygiene leitet, werden Tag für Tag neue Masernfälle gemeldet. Mittlerweile sind es weit über hundert. Das sind aber nur die gemeldeten. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen und stark ansteigen, so schätzt er, wenn in wenigen Wochen die große Reisezeit beginnt. Italien, England, Rumänien, in der Ukraine und in Japan grassieren die Masern. Und wer nicht geschützt sei, habe gute Chancen sich anzustecken.

Nicht immer wird das hochgradig gefährliche und hoch ansteckende Masernvirus auf Anhieb erkannt, was man behandelnden Ärzten nicht zum Vorwurf machen kann. Viele Patienten kommen in die Praxen mit Anzeichen einer Mandel- oder Halsentzündung. Hautausschlag ist nicht oder noch nicht sichtbar. Antibiotika werden verordnet, und wenn nach einigen Tagen rote Flecken auf der Haut zu sehen sind, wird eher eine allergische Reaktion auf Antibiotika vermutet. Bis dahin ist wertvolle Zeit vergangen, in der viele Menschen in Mitleidenschaft gezogen werden. Ein Masernkranker kann in der Frühphase bis zu 18 Menschen infizieren.

Dass vor allem Jugendliche und Männer im Alter von 18 bis 40 und älter betroffen sind, spiegelt sich im Klinikalltag wider, so Prof. Mark Oette vom Krankenhaus der Augustinerinnen am Beispiel eines Brüderpaars. Der eine hatte das Masernvirus aus der Türkei eingeschleppt, auf dem Weg zurück höchstwahrscheinlich mehrere angesteckt und zu Hause den Bruder infiziert. Beide berichteten, dass in ihrem Elternhaus eine kritische Einstellung zum Impfen herrschte und sie folglich nicht geimpft worden seien.

Prof. Gerd Fätkenheuer und seine Kollegin, Privatdozentin Dr. Clara Lehmann, beide Infektiologen an der Uniklinik Köln und Mitbegründer des „Kölner Netzwerk für Infektionskrankheiten“, das in dieser Form bundesweit einmalig ist, sagen: „Je gebildeter die Menschen und je besser es uns geht, desto größer ist oftmals die Impfabwehr. Die meisten Impfgegner sitzen übrigens am Starnberger See.“ Das Gefühl, man lebe bewusst und gesund und sei gefeit gegen diese und ähnliche Attacken, „schürt die Vorbehalte gegen Fortschritt und Errungenschaften der Medizin“, so Fätkenheuer, der im gleichen Atemzug betont: „Es gibt keine medizinische Maßnahme, die so wirksam ist wie impfen.“

Nicht auf indirekten Impfschutz verlassen

„Aufklärung hilft gegen Skepsis. Vor Jahrzehnten waren die Impfstoffe aus Erregern gewonnene Eiweißgemische mit stärkeren Nebenwirkungen als heute. Aber mittlerweile sind sie absolut verfeinert. Auch quecksilberhaltige Zusatzstoffe wurden ersetzt oder reduziert. Dass nach der Impfung an der Einstichstelle eine Rötung oder leichte Entzündung entstehen kann, ist nicht tragisch, sondern Beleg, dass der Impfstoff angeht“, sagt Weiß, und kritisiert die von manchen Eltern kalkulierte Impfverweigerung für ihre Kinder. Man verlasse sich auf einen indirekten Impfschutz, da ja die Mehrheit der anderen Kinder geimpft sei.

In den USA, die erfolgreich die Masern durch strikte Impfpflicht ausgerottet und eine sogenannte „Herdenimmunität“ erzielt haben, die ab 95 Prozent geimpfter Personen existiert, sind sogar Windpocken-Impfungen für Männer und Frauen über 60 zugelassen, um zu verhindern, dass sie an Gürtelrose erkranken, eine Spätfolge der Windpocken. An Gürtelrose erkrankt in Deutschland etwa jeder fünfte Erwachsene im Lauf seines Lebens.

Wie es der Name schon sagt, breiten sich Windpocken in Windeseile aus. Gerd Fätkenheuer: „Die Varizella-Zoster-Viren schlummern nach der Windpocken-Infektion in den Nervenbahnen. Sobald das Immunsystem anfängt zu schwächeln, in der Regel ab dem 50. Lebensjahr, kann das Virus munter werden und eine Gürtelrose verursachen.“ Vor allem auch bei Patienten, die sich einer Chemotherapie unterziehen müssen, auf eine langwierige Cortison-Behandlung angewiesen sind oder deren Immunsystem aus welchen Gründen auch immer runtergefahren werden muss.

Infos zum Impfschutz

Veranstaltung „Masern & Co.: Kinderkrankheiten – auch für Erwachsene kein Kinderspiel“ Montag, 9. Juli, 19 Uhr studio dumont, Breite Straße 72, Köln (Einlass 18 Uhr) Experten im Gespräch: Prof. Dr. Gerd Fätkenheuer, Privatdozentin Dr. Clara Lehmann, beide Infektiologen Uniklinik, Prof. Dr. Michael Weiß, Kinderklinik Amsterdamer Straße, Prof. Dr. Gerhard Wiesmüller, Gesundheitsamt Köln, Prof. Dr. Mark Oette, Infektiologe Krankenhaus der Augustinerinnen Moderation: Marie-Anne Schlolaut Eintritt: 15 Euro inkl. VVK-Gebühren, Sonderpreis Abocard: 13 Euro inkl. VVK-Gebühren Karten: Servicecenter (DuMont-Carré) Breite Straße 72, Köln, Kölnticket-Hotline 0221/ 2801

www.koelnticket.de www.meineveranstaltung.de

Viren-Infektion & Impfschutz Sobald mehr als 95 Prozent der Bevölkerung gegen Masern geimpft ist, gilt die Krankheit als erfolgreich bekämpft und ausgerottet. Von diesem Ziel ist Deutschland weit entfernt. Masernviren befallen bevorzugt Zellen des Immun- und Nervensystems. Zwischen Infektion und Ausbruch der Erkrankung vergehen zehn bis 14 Tage.

Das Masernvirus wird übertragen durch Husten, Niesen, Sprechen und gelangt über die Schleimhäute der Atemwege und die Bindehaut des Auges in den Körper. Sogar auf mehrere Meter Entfernung ist eine Infektion möglich.

Weiße Flecken in der Wangenschleimhaut sind eindeutige Hinweise auf Masern. Eine seltene Komplikation bei Maserninfektion kann bei Kindern unter fünf Jahren zum Abbau des Gehirngewebes führen. Die schleichende Zerstörung der Gehirnzellen ist tödlich.

Wer nicht oder nur unzureichend geimpft ist, kann sich mit Masern, Windpocken und anderen gefährlichen Viren und Bakterien infizieren. Wer nur ein Mal gegen Masern geimpft ist, hat keinen absoluten Schutz. Die Ständige Impfkommission (Stiko,) empfiehlt noch die einmalige Impfung für Erwachsene. Daher zahlen Krankenkassen in der Regel die Kosten für die zweite Impfung meist nicht. Es gibt Ausnahmen – man sollte sich bei der eigenen Kasse erkundigen.

Wenn ungeimpfte und gesunde Personen Kontakt mit einem Masernpatient hatten, kann eine Impfung innerhalb von drei Tagen den Ausbruch der Krankheit verhindern. Wer bereits die erste Impfung hat, kann die zweite nachholen. Es gibt keine Altersbeschränkung. Wer nicht weiß, ob er überhaupt geimpft ist oder wie oft, kann sich nachimpfen lassen, Die Gefahr einer Überdosierung besteht nicht. (mas)