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Rheinland für EntdeckerDas Geisterdorf im Schatten von Vogelsang

Lesezeit 6 Minuten

Die Ruine der Kirche St. Rochus lockt viele Wanderer  nach Wollseifen, das nur drei Kilometer von Vogelsang entfernt ist.

In der Ruine einer alten Kirche sitzt an einem kühlen und regnerischen Sonntag munter plaudernd eine Gruppe Senioren auf Bierzeltbänken vor einem behelfsmäßigen Altar. Durch die verstaubten Fenster fällt helles Licht auf das unverputzte Mauerwerk der Kirchenwände und die vom Schutt befreiten Fliesen des Kirchenbodens.

Zwei Dutzend Mitglieder des Förder- und Traditionsvereins Wollseifen haben sich in der alten Pfarrkirche St. Rochus zum Seniorentag getroffen. Sie warten auf den Pastor, der eine Andacht mit ihnen feiern will. Doch der Pfarrer kommt nicht. In einer Nische mit der Figur und einem Bild des Heiligen Rochus, Schutzpatron der Kirche und des einstigen Dorfes, werden noch einige Teelichter angezündet. Dann geht’s über die frühere Dorfstraße, heute ein von alten Obstbäumen, Ginster und Weißdornhecken gesäumter Wanderweg, die zwei Kilometer zurück zum Wanderparkplatz Walberhof am Eingang der früheren belgischen Kaserne Vogelsang.

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Wollseifen gehört zur Stadt Schleiden und liegt etwa drei Kilometer entfernt von Vogelsang IP Internationaler Platz im Nationalpark Eifel. Die Ruine der Pfarrkirche St. Rochus und die Dokumentation im alten Schulgebäude sind tagsüber geöffnet.

Vor allem der düstere Bergfried der einstigen NS-Ordensburg Vogelsang, in der der Führungsnachwuchs der NSDAP ausgebildet wurde, ist weithin zu sehen. Als 1500 Arbeiter 1934 damit begannen, die vom Kölner Architekten Clemens Klotz entworfenen Monumentalbauten zu errichten, begann das Unheil, das zwölf Jahre später die Wollseifener zu Vertriebenen machte.

Vom Dorf zum Truppenübungsplatz

Am 1. September 1946 endete die Geschichte des alten Bauerndorfes, das schon im 12. Jahrhundert erwähnt wurde, drei Wochen nach dem zuvor erlassenen Räumungsbefehl der britischen Militärregierung. 120 Familien, 550 Männer, Frauen und Kinder gingen mit ihrer transportablen Habe, dem Vieh und der eingebrachten Ernte auf Herbergssuche. Ihr Dorf wurde Teil eines Truppenübungsplatzes.

Nato-Soldaten übten in den Trainingsbauten den Häuserkampf.

Heute, mehr als 70 Jahre nach den traumatischen Erlebnissen, leben die meisten der Zeitzeugen nicht mehr. Etwa der langjährige Vereinsvorsitzende Fritz Sistig, dessen Familie im Ort einen Kaufladen betrieb. Dessen Vater den Schwestern den Auftrag gab, das gerade erst von den Kriegsschäden reparierte Haus vor dem Verlassen gründlich zu putzen und den Schlüssel von außen auf die Tür zu stecken. Weil man ja ganz sicher bald zurückkehren werde.

Zurückgekehrt sind die Wollseifener nie. Der Ort über der Urfttalsperre am Rande der Nordwesteifel wurde zum „Toten Dorf“. Die Wege dorthin waren versperrt. Die Häuser wurden nach und nach dem Erdboden gleichgemacht. Nur vier Relikte sind übrig: das von den früheren Bewohnern liebevoll instandgesetzte Wegekapellchen am früheren Ortseingang, eine alte Trafostation, das Erdgeschoss der früheren Dorfschule, das eine interessante Dokumentation der Geschichte Wollseifens beherbergt, und die wetterfest gemachte Kirchenruine. Deren weithin sichtbarer Turm lockt heute viele Wanderer und Radfahrer im Nationalpark Eifel an. Als die Kirche am Fronleichnamstag 1947 bei Schießübungen des britischen Militärs in Brand gesetzt wurde, war auch dem letzten Wollseifener klar geworden, dass sie endgültig Vertriebene im eigenen Land sein würden.

Bei der Restaurierung half auch Hans-Georg Stump aus Stolberg.

Einer von denen, die mitgeholfen haben, die Erinnerung an Wollseifen wachzuhalten, ist der Stolberger Hans-Georg Stump. Als am 1. Januar 2006 nach 60 Jahren der Truppenübungsplatz Vogelsang, auf dem unter belgischer Verwaltung Nato-Truppen übten, einer zivilen Nutzung übergeben wurde, sei er in einem Fernsehbericht auf Wollseifen aufmerksam geworden.

Er machte sich auf die Suche nach ihr und stieß auf den Traditionsverein Wollseifen. 1962 hatten sich die früheren Bewohner in diesem Verein zusammengeschlossen, um gemeinsam für eine gerechte Entschädigung zu streiten. Bis heute treffen sie sich im August zum Patronatsfest im Nachbarort Herhahn. Auf dem dortigen Friedhof ruhen auch die Toten von Wollseifen, die 1955 umgebettet wurden. Manchmal, mit Genehmigung der belgischen Kommandantur, durften die Wollseifener ihr früheres Heimatdorf besuchen. Dem belgischen Militär ist es zu verdanken, dass die ausgebrannte Kirchenruine wieder ein provisorisches Dach erhielt. So überstand sie die Jahrzehnte im rauen Eifelwetter, bis sie ab 2008 mit finanzieller Unterstützung durch die NRW-Stiftung von den Ehrenamtlern des Förder- und Traditionsvereins in mühevoller Arbeit als Ruine restauriert wurde.

Ja zur Gründung des Nationalparks Eifel

Zu den unermüdlichen Helfern gehörte Hans-Georg Stump. Stump war nicht nur beeindruckt von der ganz besonderen Atmosphäre an diesem Ort. „Vor allem den Zusammenhalt und die Heimatverbundenheit der Wollseifener bewundere ich.“ Er betrachtet das Relief vor der Kirche, das die früheren Häuser des Ortes zeigt. Mit der Restaurierung der Wegekapelle und der einstigen Volksschule sowie der Dokumentation in zwei Klassenräumen sind die größeren Projekte des Traditions- und Fördervereins abgeschlossen. „Das ist gut so“, sagt dessen Vorsitzender Wilfried Ronig: „Denn heute sind es nur noch rund 100 Mitglieder im Verein. Und der Altersdurchschnitt geht an die 80.“

Ein Wunsch der Wollseifener hat sich aber erfüllt. Ihr klares Ja zur Gründung des Nationalparks Eifel nach der Aufgabe des Truppenübungsplatzes 2006 verbanden sie mit dem Wunsch, dass ihr altes Dorf ein stiller Ort zum Nachdenken werden sollte. Das Ensemble, das die Kirchenruine mit der Straßenzeile der zugemauerten Übungsgebäude bildet, in denen die Soldaten Häuserkampf übten, ist zum Symbol für Vertreibung geworden. Zum Mahnmal, sich den Anfängen von Gewaltherrschaft und Krieg rechtzeitig zu widersetzen. Wie aktuell die Botschaft ist, zeigt die gegenüber auf dem Areal von Vogelsang IP gelegene Barackenunterkunft, in der Hunderte von Flüchtlingen betreut werden.

Tipps rund um den Ausflug

Anreise: Wollseifen ist nur fußläufig oder mit dem Rad zu erreichen. Ausgangspunkte für den etwa zwei Kilometer langen Weg sind der kleine Wanderparkplatz Walberhof am Vogelsang-Kreisverkehr der B266 (zwischen Gemünd und Einruhr) sowie ein weiterer (kostenpflichtiger) Parkplatz einige Hundert Meter nach dem Passieren der Schranke zum Gelände von Vogelsang IP.

Zwischen April und Oktober kutschiert der Höfener Horst Steffens an jedem ersten und dritten Sonntag jeweils um 11.30 Uhr und 14.15 Uhr ab dem Forum Vogelsang IP mit Pferdegespannen Besucher nach Wollseifen (auch für Rollstuhlfahrer): Hin- und Rückfahrt Erwachsene 10 Euro, Familientarif (Eltern mit bis zu drei Kindern 25 Euro).Einkehr: Ein gastronomischer Geheimtipp ist das nur vier Kilometer von Vogelsang entfernte und ganzjährig betriebene Bauerncafé „Morsbacher Hof“ (Schleiden, Morsbach 20), das täglich von 9 bis 18 Uhr geöffnet hat (Ruhetag Dienstag). Die Besitzer haben das Bauernhaus aus dem Jahr 1720 saniert und bieten in uriger Atmosphäre sowohl drinnen als auch im Innenhof Frühstück, Kuchenspezialitäten und kleine, herzhafte Speisen an.Der besondere Tipp: An der Staumauer der Urftalsperre befindet sich eine bei Wanderern und Radfahrern beliebte Gastronomie. Dort befindet sich auch eine Anlegestelle der Rursee-Schifffahrt, von der man bequem mit der St. Nikolaus oder der Seensucht nach Rurberg und von dort über den Obersee zurück nach Einruhr fahren kann.

Nicht nur für Kinder empfiehlt sich ein Besuch in Vogelsang ip. Die Erlebnisausstellung „Wildnis(t)räume“ bietet auf 2000 Quadratmetern Impressionen aus dem Nationalpark Eifel. Die Dauerausstellung der NS-Dokumentation beleuchtet die Geschichte der früheren Ordensburg. Ein toller Panoramablick auf den Urftsee und die Wälder des Nationalparks belohnt den Aufstieg über 172 Stufen auf den Turm, Stärken kann man sich vorher oder nachher in der täglich von 10 bis 17 Uhr geöffneten Gastronomie.

Vogelsang bietet viel Möglichkeiten: Ein geführter Rundgang durch die historische Anlage lohnt ebenso wie ein Besuch im Rotkreuz-Museum oder eine nächtliche Sternenwanderung mit Harald Bardenhagen von der Astronomie-Werkstatt „Sterne ohne Grenzen“. Denn der Nationalpark ist auch ein Schutzgebiet für den Sternenhimmel. Nur an wenigen Orten in Deutschland kann man die Milchstraße so gut mit eigenen Augen sehen wie im Eifeler Sternenpark.www.nationalpark-eifel.de

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