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Vincent MoissonnierWarum viele „Gastronomen“ selbst am Personalmangel Schuld sind

Lesezeit 4 Minuten
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Vincent Moissonnier 

  1. Aber bitte mit Stil! In unserer Kolumne „Wie geht’s?“ dreht sich alles um das richtige Verhalten. Ob bei offiziellen Anlässen, beim Essen, im Gespräch oder vor dem Kleiderschrank.
  2. Protokollchefin i.R. Ingeborg Arians, Modeexpertin Eva Reik, Restaurant-Chef Vincent Moissonnier sowie Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch schreiben abwechselnd über das richtige und stilvolle Auftreten.
  3. In dieser Folge erklärt Restaurant-Chef Vincent Moissonnier, warum viele Gastronomen den aktuellen Personalmangel in der Branche mitverschuldet haben.

Köln – Personalmangel in der Gastronomie? Ja, den gibt es. Ich weiß, wovon ich rede. Aber woran liegt’s? Jeder behauptet, er habe die perfekte Erklärung. Ich glaube, keiner hat sie. Natürlich haben wir ein demografisches Problem. Die Generationen nach den Babyboomern haben weniger Kinder bekommen. Aber es gibt auch andere Probleme, die sich jetzt bemerkbar machen.

Sie zu benennen, wird mir bestimmt Prügel eintragen. Aber ich finde: Das muss mal gesagt werden. Als ich vor 35 Jahren angefangen habe, gab es eine Handvoll gute Restaurants in Köln. Viel zu wenig natürlich. Aber heute finden Sie in Köln keinen Neubau, in dem im Erdgeschoss nicht ein Restaurant oder eine Kneipe eröffnet. Das ist nicht gut. Denn dafür fehlen genügend qualifizierte Betreiber.

Jeder macht eine Kneipe auf – am liebsten in der Südstadt

Menschen, die mich kennen, wissen, dass ich meine Briefe, Mails und andere geschriebene Dummheiten mit „der Kneipier“ unterschreibe. Manche lachen darüber. Ich tue das aber auch aus einem ernsten Grund. Es macht mich richtig sauer, wer sich in Deutschland alles „Gastronom“ nennen darf. Frustrierte Rechtsanwälte, abgebrochene Mediziner oder geschasste Journalisten – alle möglichen Leute machen eine Kneipe auf, am liebsten in der Südstadt, und dann maulen sie über Gott und die Welt, vor allem aber über die Probleme von „uns Gastronomen“. Sollen sie sich meinetwegen dafür halten. Aber das sind keine Gastronomen – keine Profis, die ihr Fach gelernt haben und jungen Menschen ihren Beruf schmackhaft machen können.

Wir hatten in Deutschland einmal ein System der dualen Ausbildung, um das uns die ganze Welt beneidet hat. Ich selbst bin in jungen Jahren genau deshalb von Frankreich nach Deutschland gegangen – in ein Land, in dem du als Nichtskönner etwas lernen und deinen Weg machen konntest. Doch Politik, Wirtschaft und – nicht zu vergessen – die Industrie- und Handelskammern haben es geschafft, die Qualität des dualen Systems mit aller Gewalt kaputtzumachen.

Blockunterricht in der Berufsschule ist unpraktisch

Die Berufsschulen sind heute in einem beklagenswerten Zustand. Aus dieser Misere kämen wir vielleicht heraus, wenn die duale Ausbildung wieder stärker wertgeschätzt würde und der vermaledeite Blockunterricht verschwände, der den praktischen Einsatz von Azubis völlig unnötig erschwert. Mit lediglich einem Tag Schule in der Woche könnte ich Lehrlinge viel leichter einsetzen und als regelmäßig präsenten Teil der Mannschaft auch wesentlich besser bezahlen. Aber quartalsweise An- und Abwesenheiten von Lehrlingen – das macht einen im Betrieb wahnsinnig und die Abläufe wahnsinnig kompliziert.

Azubis werden in vielen Restaurants wie Sklaven behandelt

Von der Missachtung des Arbeitsrechts mal ganz zu schweigen. Wenn ich heute in Ehrenfeld in die Berufsschule ginge und die Schülerinnen und Schüler fragte, „wer von euch hat gestern Abend noch in der Küche oder im Service gearbeitet?“, was strikt verboten ist, dann gingen drei Viertel der Hände hoch. Wie Azubis in zahlreichen dieser sogenannten Gastronomiebetriebe behandelt werden, das grenzt an moderne Sklaverei. Ich könnte Namen nennen, da würden Sie mit den Ohren schlackern.

Dazu kommt eine verbreitete Verachtung für eine solide Berufsausbildung. Als ob ein Studium das Nonplusultra wäre. Wie oft höre ich von jungen Leuten: „Also, ich will Management studieren.“ – „Bestimmt in Maastricht.“ – „Woher wissen Sie das?“ – „Weil alle künftigen Manager, die noch nie in ihrem Leben richtig gearbeitet haben, in Maastricht studieren wollen.“ Ehrlich, diese Mentalität geht mir furchtbar gegen den Strich, und sie verschärft den Personalmangel in den Betrieben.

Überall wird nur noch mit Aushilfen gearbeitet

Natürlich ist die Branche auch selbst mit schuld: Wir „Gastronomen“ – die selbst ernannten, aber auch die richtigen - lassen die jungen Leute viel zu viel arbeiten, wir bezahlen sie schlecht, bieten ihnen kaum Perspektiven. Allzu oft kalkulieren wir ausschließlich mit Aushilfen – in der Küche, im Lokal, auf der Terrasse, überall.

Nichts gegen Aushilfen generell! Kellnernde Studentinnen und Studenten – das hat in Städten wie Köln mit einer großen Universität Tradition. Aber komplett ohne ausgebildete Kräfte, ohne Restaurant- oder Hotelfachleute geht es nicht. Und natürlich gehören auch die Aushilfen angelernt. Wenn eine junge Frau im Service auf die Frage nach einer Weinempfehlung antwortet, „da kann ich nichts zu sagen, ich trinke keinen Wein“ – dann sind nicht ihre Getränkevorlieben schuld, sondern die Dreistigkeit ihres Chefs.

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Falls Ihnen so etwas passiert – eine herzliche Bitte: Lassen Sie die armen Jungs und Mädels in Ruhe! Die können nichts dafür. Holen Sie sich lieber den Geschäftsführer, und sagen Sie ihm: „Für die Preise, die Sie hier verlangen, darf ich erwarten, dass Sie Ihre Personal nicht gänzlich unbedarft auf die Gäste loslassen.“ Zweite Möglichkeit: Sie essen und trinken in Ruhe zu Ende, zahlen, verabschieden sich freundlich – und kommen nie mehr wieder.

Der Kneipier

Aufgezeichnet von Joachim Frank