Teure Häppchen„Überall gibt's jetzt Tapas – ich will mein Essen aber nicht teilen!“
Köln – „Glück ist das einzige, das sich verdoppelt, wenn man es teilt.“ Ja, dieses Motto klingt wahnsinnig kitschig und wandtatooesk. Aber es stimmt. Mit einer Ausnahme: beim Essen. Zumindest sehe ich das so und freue mich gar nicht, wenn wieder jemand in der Runde den Vorschlag macht: „Lasst uns doch einfach was zusammen bestellen und dann kann jeder von allem probieren“. Es sind aber nicht nur meine entscheidungsschwachen Freunde, die diese Essenskultur befeuern, es springen auch immer mehr Restaurants auf den Zug auf. Statt großer Portionen bieten sie viele kleine Gerichte zum lustigen Mixen an – und nennen das dann Tapas. Eine Unsitte.
Winzige Tapas-Portionen sind ein lukratives Geschäft für den Wirt
Damit mich hier niemand falsch versteht: An sich sind Tapas extrem lecker. Es gibt wenig besseres, als in Spanien an einem Tresen kühles Bier zu trinken und dabei ein Schälchen Oliven und ein paar Sardellen zu snacken. Das Problem ist der Restaurantbesuch, um damit das Abendessen zu bestreiten. Denn zunächst einmal ist es furchtbar teuer: Da werden winzige Tapas-Portionen für 6,50 verkauft, während man dasselbe woanders als Hauptgericht für 9 Euro bekäme. Bestellt man vier dieser Winzlinge, ist man schon bei knackigen 26 Euro.
Es funktioniert aber auch aus anderen Gründen nicht. Für mich fehlen auf dem Tisch vorher klar definierte Grenzen. Wo hört mein Tapas-Areal auf und wo fängt deins an? Das klingt furchtbar egoistisch, ich weiß. Aber nicht jeder mag wirklich alles. Ich esse zum Beispiel ungern warmes Gemüse und bin bei Käse sehr wählerisch. „Aber dann iss doch einfach von den in Olivenöl angebratenen Champignons oder greif zu den frittierten Kartoffelwürfelchen“, höre ich schon von Person A schräg gegenüber. Währenddessen bricht Person B, der Veganerin, der Schweiß aus, weil sie sich jetzt mit mir um die wenigen veganen Tellerchen streiten muss. Und Person C wollte doch einfach nur Chorizo und ein Omelette. Es ist schon auffällig, dass immer die Leute am lautesten nach Teilen schreien, die auch am meisten gerne essen.
Ich will mein Essen nicht teilen
Das sind dann oft auch diejenigen, die behaupten, sie könnten einschätzen, wie viele Tapas es braucht, damit alle satt werden („Wir können ja nachbestellen, wenn es nicht reicht“). Aber diese Rechnung geht nie auf. Egal, ob man schon nach der Hälfte vorsorglich nachbestellt oder erst, wenn alles aufgegessen ist: Bis der Nachschlag da ist, hat das Sättigungsgefühl doch schon bei allen eingesetzt und die teuren Häppchen dümpeln traurig in ihrer Soße herum, bis sie schließlich abgeräumt werden.
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Oder es läuft so: Ein letztes Stückchen liegt im Schälchen und wartet. Das Problem: Niemand traut sich, das Anstandsstückchen anzurühren. Egal, ob es das letzte Stück Süßkartoffel, der letzte Fetzen Serrano-Schinken oder die letzte Dattel im Speckmantel ist – wem sein Ruf in der Öffentlichkeit etwas wert ist, der wird hier nicht zugreifen.
Nein, nein, nein – alle diese Gedanken beim Essen müssen endlich aufhören! Denn ein Restaurantbesuch soll vor allem zweierlei sein: Entspannung und Genuss. Und dazu brauche ich ein individuell ausgewähltes Essen auf meinem eigenen Teller und in meiner Portionsgröße. Vielleicht, nur ganz, ganz vielleicht spielt es auch eine (natürlich untergeordnete) Rolle, dass ich als Einzelkind aufgewachsen bin.