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Nur langsamer WandelKinderbücher für Mädchen in der Glitzerfalle

Lesezeit 4 Minuten
Elfen

Elfen und Supermänner: Aber wer bin ich? Die Abbildung haben wir dem Buch „Und außerdem sind Borsten schön“ von Nadia Budde entnommen.

Köln – Pippi Langstrumpf hat einiges erlebt. Ein Leben mit einem Pferd und einem Affen, ohne Eltern, dafür in einer kunterbunten Villa. Dem traditionellen Rollenbild eines Mädchens ist das so gar nicht verhaftet. Aber nach Pippi kam lange nichts. Für Generationen von Mädchen blieb sie die zentrale Integrationsfigur, wenn es um Selbstbehauptung und Rebellentum ging.

Gesellschaftliche Trends und Themen finden sich immer mit einer gewissen Zeitverzögerung in Büchern für kleine Leser wieder: Den Tod, früher mit einem Tabu belegt, hat etwa Wolf Erlbruch („Ente, Tod und Tulpe“) hinreißend zu Papier gebracht. Gleichgeschlechtliche Elternpartnerschaften finden sich reichlich zwischen Kinderbuchdeckeln (Edith Schreiber-Wicke: „Zwei Papas für Tango“), das gleiche gilt für die Demenzerkrankung von Großeltern (Ulf Nilsson: „Als Oma seltsam wurde“). Nun wandelt sich langsam, ganz langsam das Mädchenbild. Die blondbezopfte „Conny“, nicht gerade eine angehende Feministin, spielt auch leidenschaftlich Fußball, das ist schon was. Und immerhin: In einigen Neuerscheinungen sind Mädchen nicht mehr zarte Begleiterinnen, die den Jungs zuschauen, wie sie ein Floß bauen oder einem Diamanten nachspüren. Die machen das jetzt selbst.

Superman

Elfen und Supermänner: Aber wer bin ich? Die Abbildung haben wir dem Buch „Und außerdem sind Borsten schön“ von Nadia Budde entnommen.

Zum Beispiel Romy. Der Titelheldin der Niederländerin Tamara Bos bleibt zunächst Mal nichts erspart. Die Eltern sind frisch getrennt (auch ein wiederkehrender Trend), und weil die Mama in einer Tankstelle arbeiten muss, geht die Zehnjährige nach der Schule direkt in Omas Friseursalon. Aber die Großmutter wird zunehmend vergesslich, und deswegen muss Romy die Dinge selbst in die Hand nehmen. Ganz nebenbei lernt sie noch den Alltag im Weidenhof, dem neuen Pflegeheim ihrer Oma, kennen. Dickes Päckchen.

„Wir sind noch nicht so weit, dass wir einen neuen Trend haben“, sagt Renate Reichstein, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft von Jugendbuchverlagen. „Aber es gibt immerhin heute Verlage, die sich trauen, so etwas auf den Markt zu bringen.“ Nicht zufällig sind es niederländische Autorinnen, die voran gehen.

Meist pink und voller Pferde

Wie Bos hat auch Anna Woltz in „Für immer Alaska“ eine starke Titelheldin geschaffen, die einem Jungen zur Seite steht. „Die Niederländer waren da immer weiter“, sagt Reichstein. Hierzulande handele es sich allerdings um einzelne Perlen. „Die breite Masse der Kinderbücher sind pink und voller Pferde“, sagt die Expertin, „die Einhörner sind die neuen Dinosaurier.“ Die Verlage könne man dafür nur bedingt verurteilen. „Die bedienen letztlich das, was die Menschen gerne kaufen.“

Auch in der Abteilung „Praktische Bücher fürs Leben“ gibt es immer noch Titel, die Mädchen erklären, wie sie einen Blumenkranz binden und fragen, wie der Traumprinz auf dem weißen Pferd beschaffen sein soll (zum Ankreuzen). Andere Bücher führen raus aus der Glitzerfalle: Im „Girl’s Book“ etwa finden junge Leserinnen eine Anleitung zum Strandlaternenbau oder wie aus einem Korken ein prima Flieger für den Garten wird. Untertitel: „Das außergewöhnliche Handbuch für neugierige Mädchen“.

Vorläufer sind Titel wie das legendäre „Secret Book for Girls“, das „einzig wahre Handbuch für Mütter und ihre Töchter“. Es gibt auch die Entsprechung für Jungs, neu ist, dass Mädchen nicht nur am Basteltisch oder vor der Schminkkommode verortet werden. Die Autorinnen des Abenteuerbuches, Miriam Peskowitz, und Andrea Buchanan, zeigen unter anderem fünf praktische Karatetricks oder wie sich aus einer Zeltplane ein Zelt für die Übernachtung im Wald bauen lässt.

Als Wissenschaftsbuch des Jahres wurde aktuell ein Gute-Nacht-Buch mit Kurzporträts außergewöhnlicher Frauen ausgezeichnet. Sophie Scholl findet sich in „Good Night Stories for Rebel Girls“ ebenso wieder wie Virginia Woolf oder Coco Chanel. Teil zwei soll aufgrund der regen Nachfrage im November erscheinen. Das Buch enthält ganz am Ende eine freie Seite. „Zeichne dich selbst“ steht darüber.

Buchtipps für Mädchen

Yvonne Hergane, Christian Pieper: „Sorum und Anders“, Sorum ist groß und aus Watte, Anders ist klein und aus Stein – beides ist o.k., ein Bilderbuch als Fest der Vielfalt. Ab 2 Jahren, Peter-Hammer-Verlag, 24 Seiten, 14 Euro.

Annette Herzog, Katrine Clante: „Herzsturm – Sturmherz“, das große Gefühlschaos zweier Teenager, eine Geschichte von all der Verunsicherung junger Herzen, erzählt als Graphic Novel, von zwei Seiten – der Treffpunkt liegt in der Mitte. Ab 12 Jahren, Peter-Hammer-Verlag, 128 Seiten, 18 Euro.

Jörg Bernardy: „Mann Frau Mensch. Was macht mich aus?“ Ein Buch über Zweifel und Unsicherheit im eigenen Körper, über Identität und welche Strukturen prägen, was wir sind. Ab 14 Jahren, Beltz & Gelberg, 156 Seiten, 16,95 Euro. (mft)