Tradition und InnovationDie Rückkehr der Gastronomie an die Ahr nach der Flut
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Schon vor der Flut lief es für die Gastronomie im Ahrtal nicht mehr besonders gut – das Angebot der Restaurants und Cafés war oft veraltete Einheitsware.
Einige haben begriffen, dass es Zeit für einen Generationswechsel ist und wagen den kulinarischen Neuanfang.
Stefan Worring war an der Ahr und hat sich bei Winzern wie Lukas Sermann umgesehen und umgehört.
Es ist ein kühler Septembermorgen in Altenahr, am Tag zuvor hat es fast 30 Liter geregnet pro Quadratmeter. Um kurz vor acht ist Lukas Sermann auf dem Weg hoch zum Altenahrer Eck. Heute früh soll eigentlich Spätburgunder gelesen werden. Plötzlich verhindert ein umgestürzter Baum die Weiterfahrt. Sermann flucht, fährt rund einen Kilometer rückwärts den Waldweg ins Tal hinab, um eine Motorsäge zu holen. 20 Minuten später haben er und Niklas Laube, der ihm während der Lese in der Weinkellerei hilft, den Baum zerteilt und weggeräumt.
Weinlese an der Ahr: Guter 2021er Jahrgang
Oben im Weinberg angekommen, prüfen die beiden die Trauben, messen den Fruchtzucker. „Noch zu nass“, sind sie sich einig, das Lesen wird kurzfristig auf mittags verschoben. Sermann zuckt mit den Schultern. „Wer von der Natur lebt, muss auch mit ihr leben“, sagt er und dirigiert die freiwilligen Helfer um. Flaschen waschen, Weinkarten sortieren, Kartons falten, Presse reinigen – Arbeit gibt es im Weingut in dieser Jahreszeit mehr als genug. Die „sehr würzigen, kräutrigen und spritzigen“ Rotweine aus der Ernte des Flutjahrs wurden gerade erst abgefüllt. Gegen alle Erwartungen und trotz der extrem schwierigen Umstände ist Sermann mit dem 2021er Jahrgang „sehr zufrieden“, der immense Arbeitsaufwand hat sich gelohnt.
Wenn man nur auf Sermann guckt, sieht es in der Seilbahnstraße fast schon wieder aus wie vor der Flutkatastrophe in der Nacht vom 14. auf 15. Juli 2021. Damals hatte eine Welle unvorstellbaren Ausmaßes das Ahrtal überflutet. Es gab 133 Tote zu beklagen, fast alles wurde zerstört. In Altenahr war das Wasser rund zehn Meter hoch über dem normalen Pegel, stand im Weingut auf Höhe der Dachrinnen. Auf der Kellerei, einer acht Meter hohen, modernen Industriehalle, lag ein dicker Baumstamm. Alle Holzfässer – und damit ein kompletter Jahrgang Rotwein – schwammen flussabwärts. Die mit Heizöl versetzten stinkenden Schlammfluten zerstörten Weinpresse und Abfüllmaschinen, Gabelstapler und Autos, die Wirtschaft inklusive der nagelneuen Profiküche, Wohnungen, Fenster, Heizung...
In der Kellerei ist davon heute nichts mehr zu sehen. Und auch im Weingut stehen die Zeichen auf Neuanfang. Sermann, der letzte selbstständige Winzer von Altenahr, hat sich seinen Optimismus bewahrt und von Anfang an das Unglück auch als Chance für einen dringend benötigen Generationswechsel im Ahrtal begriffen. Um junge Menschen aus den Großräumen Köln, Bonn, Aachen, Koblenz und dem Ruhrgebiet in die Eifel zu locken, muss man mehr bieten als Schniposa (Schnitzel, Pommes, Salat) und Durchschnittsweine. Denn schon vor der Flut war das Ahrtal in Nöten – vor allem in gastronomischer Hinsicht. Ähnlich wie am Mittelrhein waren Angebote in Restaurants und Cafés oft nicht mehr zeitgemäß, viele Hotels komplett veraltet. Man bediente die im Schnitt immer älter werdenden Stammgäste mit kulinarischer Einheitsware. Zahlreiche Restaurants oder Geschäfte standen leer, der Lack war ab. Wenn die scheinbar bewahrte Tradition sich im Verfall manifestiert, ist es fast schon zu spät, etwas zu ändern.
Neu: Restaurant „Thüres“ im Weingut
Lukas Sermann hat das begriffen. Als Winzer, der sich rückbesinnt auf die wahren Werte seines Berufes. Der mit alten Rebstöcken und großem Arbeitsaufwand qualitativ hochwertige Weine macht. Seine Rieslinge gelten schon jetzt als die Besten im Tal. Aber auch als Gastronom, der mit nachhaltiger, regionaler und hochwertiger Küche neue Gäste gewinnen will. Deshalb hat er jetzt im Erdgeschoss des Weinguts das Restaurant „Thüres“ eröffnet. Der Name ist eine Hommage an den Gründer des Weinguts, seinen Urgroßvater Theo, genannt Thüres.
„Damit steht fest, wohin unsere Reise geht – zurück zu den Wurzeln“, sagt er. „Wir haben uns entschlossen, das Frische zu nehmen, und das Beste daraus zu machen. Lokale, meist befreundete Produzenten und eigener Anbau stehen ganz klar im Fokus.“ Nur so könne man sichergehen, das Beste aus der Region herauszuholen. „Die deutsche Küche mag nicht die Feinste sein, dafür ist sie in unseren Augen eine der meist unterschätzten“, sind sich Sermann und sein Küchenchef Robert Bösel einig.
Rehrücken aus dem Ahrtal
Das Restaurant „Thüres“ hat innen siebzehn Plätze sowie sechs an der Weinbar. Die Einrichtung ist schlicht und modern. Der Außenbereich mit etwa 60 Plätzen wird wohl erst im kommenden Jahr richtig fertig. Ihr erstes Menü heißt „Grüner Faden“, und bei den vier Gängen dreht sich alles um den Sermannschen Garten im Altenahrer Eck. Jeder Gang enthält eine Komponente aus eigenem Anbau. So gibt es aktuell als Hauptgang Rehrücken aus dem Ahrtal mit in Salz eingelegten schwarzen Johannisbeeren und Zweierlei vom Topinambur. Robert Bösel hat im Sternerestaurant Bembergs Häuschen in der Euskirchener Burg Flammersheim gelernt, ist „Genusshandwerker“ der Jeunes Restaurateurs und hat den Commis-Sommelier im Internationalen Wein-Institut Ahrweiler gemacht. Ein Jahr arbeitete er zudem für TV-koch Alexander Herrmann in Franken.
Mittags will man die Wanderer begeistern
Für das „Thüres“ gibt es zwei Konzepte. Mittags will man die Wanderer für eine eher ursprüngliche Bauernküche begeistern, Hausmannskost neu gedacht wie eine Winzer-Vesperplatte, Recher Wildbratwurst oder „Beschwipster Ritter“, ein in Riesling gebratenes Weißbrot. „Abends wollen wir eher Fine Dining anbieten“, sagt Bösel. Das saisonale Menü soll etwa vier Mal im Jahr wechseln.
Hotel „Zur Post“ in Altenahr
Geht man die Seilbahnstraße Richtung Ortsmitte Altenahr, wird schnell klar, das längst nicht alle dem Sermannschen Wiederaufbau-Tempo folgen können. Auch wenn es hie und da Fortschritte gibt, sind viele Gebäude noch so wie wenige Wochen nach der Flut: fensterlose, feuchte, entschlammte Rohbauten, gespenstische Mahnmale des Klimawandels und seiner Folgen. Immerhin ist die Straße wieder asphaltiert. Direkt hinter der Brücke steht das Hotel „Zur Post“, das vor der Flut 400 Restaurantplätze, 75 Zimmer, Schwimmbad und Wellness-Bereich bot. Die Zimmer oben sind zwar unversehrt, aber wegen der in den Fluten ertrunkenen Ölheizung nicht mehr beheizbar. Die überdachte Terrasse wurde provisorisch bestuhlt und mit Flutbildern eines holländischen Malers geschmückt, davor versucht man mit Sand und Liegestühlen Beach-Atmosphäre zu beschwören.
Petra und Günter Lang, die Inhaber, haben eine Holzhütte aufgebaut, aus der sie ab zehn Uhr morgens belegte Brötchen und Kaffee verkaufen. Frische Brötchen gab es lange nicht mehr in Altenahr, die örtliche Bäckerei wie die Metzgerei hatten schon vor Jahren geschlossen. Aus einem Imbisswagen bieten die Langs täglich wechselnden Mittagstisch, Currywurst und Nackensteaks. Solange das Wetter mitspielt, will man das Angebot aufrechterhalten. Die drei Gästehäuser auf der anderen Straßenseite, von denen erst eins wieder zumindest kaltes fließendes Wasser hat, will man zuerst renovieren, in einem wieder ein Restaurant eröffnen. „Viele hier warten auf eine Baugenehmigung“, sagt Koch Günter Lang, der sich mit Catering versucht über Wasser zu halten. „Aber das dauert, vor allem, wenn eine Nutzungsänderung dazu kommt. Wir wollen zeigen, dass wir noch da sind.“ Und seine Frau appelliert an die Touristen: „Kommen Sie, denn es ist immer noch schön hier. Man kann toll wandern, biken und essen.“ Gäste sind überlebensnotwendig für einen zukunftsträchtigen Wiederaufbau.
„Haus Caspari“ mit selbstgebackenem Kuchen
Von dem träumt auch Andrea Babic, die draußen vor ihrem rotbesockelten Fachwerkhaus am Wochenende selbst gebackene Kuchen verkauft. Zwölf bis 18 Sorten fertigt sie, von der Flockensahne bis zu Omas Streuselkuchen. „Die Leute schätzen uns seit Jahren für den Kuchen“, weiß sie. Das „Haus Caspari“ soll in einem Jahr zum „Lieblingsplatz“ werden, wie sie es nennt. Mit nachhaltiger Bauweise, viel Holz, Bäumen auf der Terrasse, Wintergarten und einem grünen Dach für Bienen. „Die Folgen der Flut sind eine Chance“, sagt sie, „wir müssen mehr auf unser Leben achten, dessen Wert schätzen. Wir müssen genau wie die Gäste runterfahren, uns mehr Zeit füreinander nehmen.“
Backen als Therapie
Das tägliche Backen sei ihre Therapie und die Motivation, morgens aufzustehen. Noch immer meidet sie Wege unten im Tal, geht lieber mit Hund als alleine spazieren. Und ist trotzdem fest entschlossen, den Widrigkeiten die Stirn zu bieten. Neben den Kuchen will sie mit einer kleinen Küche und Spezialitäten aus der kroatischen Heimat ihres Mannes punkten: Schinken, Käse und Olivenöl von kleinen Produzenten. „Hier soll es nichts mehr von der Stange geben. Und in Zukunft nur noch einen Laden. Das Stammhaus Caspari, direkt gegenüber neben dem Rathaus, wird wohl geschlossen bleiben.
Gehobende Küche im „Assenmacher“,
Für die gehobene Küche sind dann die Nachbarn zuständig. Christian Storch etwa, der Küchenchef des Restaurants „Assenmacher“, das er mit seiner Frau Christa Mitte Mai wieder eröffnet hat. Das Restaurant sei vor allem abends gut gebucht, viele Stammgäste hätten den Weg zurück gefunden. Seine Küche habe er nicht groß verändert, auch wenn er bekennt, dass sie leichter geworden sei. „Beim Kochen bin ich frei im Kopf“, sagt der gebürtige Franke, der Einflüsse aus Italien, Spanien oder Asien in die eher klassisch französische Küche einbaut. Das deftige der fränkischen Küche wie ein Schweinekrustenbraten käme hier nicht so gut an. „Das Fette hat der Rheinländer gerne versteckt“, sagt Storch und denkt lachend an Butter und Sahne. Sein Favorit ist aktuell das Rotbarschfilet mit Muschelcassoulet und Bouillabaise-Kartoffeln. „Tolle Texturen beim Fisch treffen auf Safran und Räucherpaprika, Kerbelöl und Salat bringen die Frische rein, das Muschelragout aus Mies- und Jakobsmuscheln ist das perfekte Topping.“ Zum Dessert gibt es eingelegte Brombeeren mit Nougatparfait oder Aprikosentarte mit Lavendelblüten.
Hotel „Ruland“ bietet Forelle aus der Ahr an
Ähnlich anspruchsvoll ist Andreas Carnott vom Hotel „Ruland“ zwei Häuser weiter, der seit dem Jahrestag der Flut ein Silent Opening fährt. Das Weitermachen war für ihn relativ schnell keine Frage. „Die Vision, dass unsere drei Häuser hier als Ruinen vor sich hin gammeln, war nicht zu ertragen“, sagt er, schließlich habe man auch eine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft. Mit Hilfe von Freunden und Familie renovierte er das Hotel mit 92 Betten und auch die Gastronomie. Der Hotelbetrieb läuft eher schleppend wieder an, dafür ist sein Restaurant sehr gut besucht und „hält uns am Leben“, sagt der gelernte Koch. „Ehrliche Küche mit regionalen Produkten“ will er bieten. „Die Lachsforelle für die asiatisch angehauchte Fischvariationen kommt von der Ahr, die Schnecken mit Rulands Spezialsoße hat schon die Oma so gemacht“, sagt Carnott. Aktuell hat er Leckereien von der Etagere (Kalbscarpaccio, Wachtelbrust, Lachsterrine, Forellenmousse) auf der Karte, Duett vom Kalb mit Pfifferlingen und Spitzkohl oder als vegetarische Alternative gebackenen Tofu mit Gemüsecurry und Cashews. Original Wiener Schnitzel und Forelle „Müllerin“ oder „Blau“ gibt es immer. „Wenn eine Familie mit Kindern hier rausgeht, sollten alle glücklich sein – das ist unser Ziel.“
Der Vater von drei Kindern bemängelt schwaches WLAN und die generell schlechte Infrastruktur im Tal. Immerhin wurde Mitte September der bis dahin gesperrte Tunnel in Altenahr, der den Ort entlang des Flusses mit Mayschoß, Rech, Dernau und Ahrweiler verbindet, wieder freigegeben. „Das ist ein Meilenstein“, sagt Eva Flügge vom Verein „Weinort Altenahr“. Als „pulsierende Schlagader im Tal der roten Trauben“ sei diese Verbindung immens wichtig. Der Straßentunnel ist der älteste Felsdurchbruch in Preußen gewesen. Die feierliche Eröffnung fand am 25. November 1834 unter großer öffentlicher Anteilnahme statt. Schon damals erkannten Chronisten die Bedeutung für das Ahrtal: „Von diesem Jahr datiert sich in Altenahr der Fremdenverkehr“.
Wandern für den Wiederaufbau
„Wir freuen uns, wieder Gastgeber sein zu können. Es ist Ausdruck unseres Lebensgefühls“, sagt Eva Flügge und freut sich auf die Wochenenden im Oktober. „Dann heißt es wieder »Wandern für den Wiederaufbau«. Es präsentieren sich zwischen Altenahr und Marienthal entlang des Rotweinwanderweges erneut die Winzer- und Gastronomiebetriebe. Sie zeigen die Vielfalt und Kulinarik der Mittelahr“.
Jetzt sind es wieder nur 14 Kilometer statt der 20 über Berge und Autobahn von Altenahr bis nach Ahrweiler. Auch hier hat das Hochwasser gewütet, stand aber wegen der Breite des Tals längst nicht so hoch wie am Oberlauf. In der sehenswerten historischen Altstadt wurden etwa 1,80 Meter über dem Straßenniveau gemessen. Vieles hier ist schon wieder gut in Schuss, auch wenn immer noch zahlreiche Handwerkerautos die Fußgängerzone zustellen. Die Bahn fährt wieder bis Walportzheim, die Touristen kommen nach und nach zurück.
Hotel-Restaurant „Prümer Gang“
Anja Heuser, die mit ihrem Bruder Roger Müller das Hotel-Restaurant „Prümer Gang“ betreibt, ist vorsichtig optimistisch. Man hat nach der Flut noch einmal in das ohnehin schon individuell und trefflich modernisierte historische Haus investiert und etwa die Küchentechnik auf den neuesten Stand gebracht. „Tradition und Innovation zeichnen nicht nur unsere Räume aus“, sagt sie, „sondern auch unsere Speisenkarte. “ So gibt es Romanasalat mit Shiitake-Pilzen und Ricotta-Kimchi oder Rinderbrühe mit Flädle. Als Hauptgerichte bietet Küchenchef Müller Spinatknödel mit brauner Butter, geröstete Kalbsleber mit Sonnenblumenkern-Kartoffelstampf oder Schnitzel vom Eifelschwein mit Kürbiskern-Kartoffelsalat. Der Rinderrücken kommt mit Kräuterkruste, der Seeteufel auf Erbsenrisotto. Zum Dessert empfiehlt er hausgemachtes Eis oder Kaiserschmarrn mit Apfel-Birnenkompott. Wer Käse bevorzugt, bestellt eine Auswahl vom Affineur Waltmann.
Leckere Argumente für einen Besuch im Ahrtal, das nach wie vor Unterstützung braucht. Von der Flut waren circa 80 Prozent der Gastrobetriebe betroffen, wie der Verein Ahrtal-Tourismus auf Anfrage mitteilt. Genaue Zahlen stünden aber nicht zur Verfügung. Viele der Betriebe sind mittlerweile wieder am Start, sei es in ihren ursprünglichen Räumlichkeiten oder mit Pop-up-Konzepten. Unter dieser Adresse ahrtal.de/fuer-dich-da/essen-trinken finden Sie einen Überblick, welche Restaurants und Cafés geöffnet sind.