Migräne, Tinnitus, VerspannungenZahnunebenheiten können schlimme Folgen haben
An den Zähnen hängt noch was dran - nämlich der ganze Mensch. Stimmt, egal ob es die natürlichen Zähne sind, Implantate oder Brücken. Wenn Dr. Ingolf Säckler, Osteopath und Orthopäde, Dr. Werner Schupp, Kieferorthopäde, und der Zahnarzt Dr. Wolfgang Boisserée - alle aus Köln - das bekunden und vor allem begründen, fällt Widerspruch schwer. Im Gegenteil: Man kommt aus dem Staunen nicht mehr raus, wenn man hört, welche Probleme Kopf, Nacken, Rücken, Knie und die Psyche machen können, wenn es da oben, im Mund eben, nicht mehr stimmt. Die Folgen können sein: Kopfschmerz bis hin zu Migräne, Knieschmerzen, Hüft-, Nacken-, Schulterproblemen, Tinnitus, Schwindel, Konzentrations- und Gleichgewichtsstörungen.
Die drei Ärzte haben mittlerweile einen Verein mit Mitgliedern aus der ganzen Welt gegründet, um sich wissenschaftlich den Gebieten der Kieferfunktionsstörungen und Fehlhaltungen zu widmen und die Zusammenarbeit zwischen Universität und Praktikern zu intensivieren.
Therapien für Gebiss und Kiefer
Werner Schupp hat zudem eine Professur an der Capital Medical University Beijing. Ingolf Säckler hat auf seinen wissenschaftlichen Reisen nach San Francisco und Peking sein Wissen an Kollegen vermittelt und Informationen gesammelt, wenn es um Diagnostik und Therapien geht, die ihre Ursache im Gebiss und Kiefer haben.
Die drei Mediziner arbeiten jeder auf seinem Gebiet, jedoch in übergreifenden Fällen kooperieren sie, denn sie wissen: "Wenn sich durch Fehlstellungen im Kiefer und bei den Zähnen beispielsweise der Atlaswirbel verschoben hat, kann man Yoga machen so viel man will - da tut sich nichts."
Dieser Knochen namens Atlas ist der erste Halswirbel und ihm kommt besondere Bedeutung zu, denn er trägt immerhin den ganzen Kopf. In der griechischen Mythologie hat es der Titan namens Atlas dank seines gesunden und intakten Halswirbels geschafft, noch viel mehr als seinen Kopf zu tragen. Er hat sich gleich den ganzen Himmel aufgeladen. Osteopathen wie Säckler lässt eine solche Vorstellung begeistert reagieren, und Schupp und Boisserée sind sich zudem sicher: Der Titan muss nicht nur einen starken Halswirbel, sondern auch ein absolut gesundes Gebiss gehabt haben. Wenn bei einer Zahnfüllung, Brücke oder der Anfertigung einer Prothese eine Abweichung vom Bruchteil eines Millimeters besteht, also deutlich weniger als die Dicke eines Haares, kann das bereits Auswirkungen auf Biss, Kiefer und Gelenke haben. Das ist auch der Fall, wenn Füllungen der ursprünglichen Struktur eines Zahnes nicht nachempfunden werden.
Glatte Zahnoberflächen als gefährliche Mode
Boisserée und Schupp: "Die Zahnoberfläche besteht aus Bergen und Tälern und ist keine glatte Struktur." Ein glatter Zahn kann die Nahrung nicht zu Brei zermalmen, sondern nur spalten. Die Mediziner: "Es gibt beeindruckende Tests, in denen man den Personen rohe Möhren reichte. Diejenigen, deren Zähne eine glatte Kunststoffoberfläche hatten, produzierten Möhrenbrocken, die anderen Möhrenbrei."
Glatte Zahnoberflächen sind vor Jahren wegen ihrer schön anzusehenden Kaufläche in Mode gekommen. Doch für Boisserée und Schupp wird auf diese Weise versucht, "Millionen Jahre Zahnanatomie auszuhebeln". Verschärfend komme hinzu: Wenn trotz aller Schönheit die Statik im Mund nicht mehr stimmt, also die Füllungen, Brücken oder künstlichen Zähne eine Idee zu hoch oder zu niedrig sind, dann können sich körperliche Probleme einstellen. Schupp: "Das bringt unter anderem Veränderungen im Kiefergelenk mit sich." Säckler: "Und kann Schäden und Schmerzen in den Gelenken verursachen." Selten allerdings sind die Zähne eine Idee zu hoch, weitaus häufiger sind sie zu niedrig, was die Abstützung im Mund reduziert. Die niedrige Variante wird oft gewählt, weil sie vom Patienten als angenehm empfunden wird. Er hat das Gefühl, dass alles passt und nichts beim Zubeißen stört. Die Folge zu niedriger Zahnvarianten ist jedoch, dass die Backenzähne oben und unten den Kontakt verlieren und der Körper versucht, dieses Manko irgendwie auszugleichen, indem man automatisch den Kopf nach vorn reckt. Wer das lange genug macht, muss sich mit Sicherheit aufgrund der Beschwerden Hilfe bei Osteopathen und Orthopäden wie Säckler holen, denn Schmerzen im Schulter- und Nackenbereich sind programmiert.
Boisserée: "Das korrekte Anpassen der Zähne ist viel schwieriger. Der Patient protestiert zuerst, denn er empfindet die Zähne als Fremdkörper. Das ist normal und dauert eine Weile, weil das neurologische System erst lernen muss, mit der veränderten und verbesserten Biss-Situation klar zu kommen." Durch nicht akkurat sitzende Zähne und Fehlstellungen im Kiefer können auch Konzentrationsstörungen auftreten. Schupp: "Unser Gehirn schafft vorrangig alle Voraussetzungen, damit der Mensch überleben kann, und dazu gehört in erster Linie nun mal kauen und essen. Wenn sich nun das Gehirn intensiv damit beschäftigen muss, irgendwelche Fehler im Kiefer und Mund auszugleichen, dann ist es stark beansprucht und kann sich auf andere, ebenso wichtige Dinge, nicht mehr so stark konzentrieren. Kognitive Leistungen wie beispielsweise das Lernen können also in Mitleidenschaft gezogen werden."
Folgen von Fehlstellungen im Kiefergelenk
Ingolf Säckler verweist auf die Untersuchungen der japanisch-deutschen Arbeitsgruppe "Sato", die feststellte, dass Fehlstellungen im Kiefergelenk Dauerstress verursachen können. Zahnreihen, die nicht perfekt zusammen passen, können zudem Verschiebungen im Schädel verursachen. Die drei Experten verweisen auf hochwissenschaftliche Studien, die belegen, dass Druck auf das Schläfenbein aufgebaut wird, das Kiefergelenk "stress-loaded" ist, also dauerhaft falsch beansprucht wird, und im Gesicht und hinteren Kopfbereich Spannungen aufgebaut werden, die sich auf die Halswirbel übertragen.Resultat ist das sogenannte "Banana-Face" , eine Gesichtsform, die wie eine Banane leicht gekrümmt ist. "Der Körper ist nun mal vernetzt wie eine Autobahn mit all ihren Abzweigungen, Auf- und Abfahrten", so die drei Experten. Was das bedeutet, weiß jeder: Staus, Unfälle und Baustellen auf einer Teilstrecke dieser Körper-Autobahn wirken sich flächendeckend aus.
Bei Ingolf Säckler klopfen nicht nur Erwachsene an, die nach einer Behandlungsodyssee bei ihm landen, sondern schon Eltern mit kleinen Kindern. "Ich habe eine Sechsjährige behandelt, die durch ihren Fehlbiss eine Wirbelsäulenverkrümmung hat." Oder einen 14-Jährigen, der mit Fehlbiss und Verschiebungen im Kiefergelenk zu einem chronischen Kopfschmerz-Patienten wurde.
Mediziner wie der Kieferorthopäde Werner Schupp und der Orthopäde Säckler gehen systematisch vor, schauen sich beispielsweise verspannte Oberschenkel-Muskulaturen an, die Beschaffenheit der Sehnenplatte an der Fußsohle, den Stand des dicken Zehs, ob er sich vielleicht nach innen dreht, oder aber die X-Stellung der Ferse, Verschiebungen im Beckenbereich und die unterschiedliche Länge der Beine.
Wer zu einem Kieferorthopäden wie Schupp geht, sollte darauf gefasst sein, dass dieser dem Patienten nicht nur in den Mund schaut, sondern ihn auffordert, die Schuhe auszuziehen, damit möglicherweise unterschiedliche Beinlängen und Probleme in der Beckenstellung besser zu erkennen sind.
Wolfgang Boisserée lässt als Zahnmediziner bei seinen Patienten bis auf den Verlust der Weisheitszähne ungern Lücken zu: "Bis zum sechsten Zahn - von der Mitte des Gebisses aus gezählt - sollten schon alle Zähne vorhanden sein." Wer sich an entscheidender Stelle den Zahnersatz spart, der muss eventuell in Kauf nehmen, dass durch falsche Kaubewegungen die Knorpel im Kiefergelenk nicht ausreichend ernährt werden und Arthrose die Folge sein kann. "Das ist auch der Fall, wenn die Brückenkonstruktion zu niedrig ist." Gleiches gilt für Implantate. "Das, was oben drauf sitzt, kann Probleme machen. Was in den Kieferknochen eingesetzt wird, ist nichts anderes als eine künstliche Wurzel. Sitzt sie sauber und sicher im Knochen, ist alles gut. Aber ausschlaggebend ist der sichtbare Zahnaufbau."