In den Neunzigern war er der Niedliche der Kelly Family, aber auch bereits deren musikalischer Boss. Später geriet Michael Patrick „Paddy“ Kelly in die Sinnkrise und fand Halt in einem Kloster im Burgund, wo er sechs Jahre lang lebte. Seit einiger Zeit ist Kelly, der am 5. Dezember 40 Jahre alt wird, wieder als Musiker aktiv. Sein neues Album „iD – Extended Version“ ist das dritte in drei Jahren. Die Platte erweist sich als poprockiger Stilmix mit viel textlichem Tifgang. Und wer etwa Rea Garvey schätzt, der wird auch Michal Patrick Kelly mögen. Unser Autor Steffen Rüth traf den Musiker in Baden-Baden.
Michael Patrick, "iD" steht für "Identität". Welcher Gedanke steckt hinter dem Albumtitel?
Die Auseinandersetzung mit meiner Identität ist mir immer sehr wichtig gewesen. Wer bin ich? Das ist die Frage meines Lebens.
Woran liegt das?
Einmal daran, dass ich keine Wurzeln habe. Ich war immer auf Reisen mit meiner Familie. Wir machten Straßenmusik, waren nie lange an einem Ort, lebten auf einem Hausboot und in einem Schloss. Wir waren im Grunde Aussteiger und Weltenbummler, ich habe viel gesehen, aber ich kann nicht sagen: "Das ist meine Heimat."
Und das thematisieren Sie nun?
Als Künstler befasst man sich sowieso viel mit seiner Identität. Ein weiterer Aspekt ist die Ebene der Spiritualität. Wenn man sich auf den Weg als Mönch begibt, dann stellt man sich die tiefen Fragen. "Wo komme ich her?" "Was passiert nach dem Tod?" "Wer will ich sein?"
Können Sie die Frage nach der Identität heute beantworten?
Ich denke schon. Ich habe mein "Ich", meine Seele, im Glauben gefunden.
Hat Sie die Zeit im Kloster glücklich gemacht?
Ja, sehr. Das war viel mehr als nur eine Auszeit.
Wussten Sie, wie lange Sie im Kloster bleiben wollen? Ob Sie nur einen Burnout auskurieren oder für immer Mönch sein möchten?
Das wusste ich nicht. Ich wusste nur: Ich muss diesen Schritt machen. Ich hatte die Schnauze voll vom Showbusiness, vom Hamsterrad, von diesem ganzen Lifestyle. Auch die Zusammenarbeit mit Geschwistern ist nicht immer einfach. Für mich war es wichtig, mich aus der kollektiven Identität zu lösen. Aber der Hauptmagnet war meine Sehnsucht nach Wahrheit, Liebe und dem christlichen Verständnis von Gott.
Wann fing diese Suche an?
Bereist mit Anfang 20. Ich merkte, dass Geld, Erfolg oder volle Stadien sich für mich nicht als Versprechungen erwiesen. Ich wollte ein tiefes, erfüllendes Glück, nicht nur ein vorübergehendes, oberflächliches.
Wo lag das Problem?
Die Umstände waren nicht unkompliziert. Mit 18 wurde ich musikalischer Leiter und Produzent der Kelly Family - also einer Band, die Rekorde von Michael Jackson und den Beatles gebrochen hatte. Intern gab es sehr viel Druck, sehr hohe Erwartungen. Und alle schauten immer auf mich.
Sie waren gleichzeitig der Posterboy der Familie. War das auch ein bisschen cool?
Naja, es war schon crazy und spannend. Wer wünscht sich das nicht, so eine "Unsere kleine Farm"-mäßige Großfamilie, dazu die langen Haaren, und dann wohnen die alle auf einem Schiff. Ich stand ziemlich im Fokus.
Aber?
Im Gegensatz etwa zu Justin Bieber war ich umringt von sehr vielen Geschwistern und unserem Vater.
Kommt eine solche Krise zwangsläufig?
Es gibt leider viele Künstler, die an Druck, Ruhm, Alkohol- und Drogenproblemen oder ihrer Hypersensibilität scheitern. Ich habe zum Glück die richtigen Schritte eingeläutet, mir Hilfe gesucht, eine anderthalbjährige Therapie gemacht und angefangen, mich intensiv für Religion zu interessieren, statt mit Exzessen zu versuchen, die Leere zu füllen.
Ist es richtig, dass Sie auf ein Hochhaus gestiegen sind und runterspringen wollten?
Ja, leider war es so dramatisch. Ich liebe den Rock "n" Roll, aber es gibt eine dunkle Seite. In meinem Fall waren es nicht Drogen und Alkohol, sondern Ruhm, Druck und Verwirrung, die mich zur Verzweiflung brachten. Was etwa mit Chris Cornell passiert ist (der Soundgarden-Sänger hat sich unter Medikamenteneinfluss erhängt), kann ich ein Stück weit nachfühlen. In meinem Fall ist es Gott sei Dank zum Happy End gekommen.
Sie werden in gut zwei Wochen 40.
Ja, und ich freue mich auf den Geburtstag. Ich blicke auf ein sehr bewegtes, verrücktes, tolles Leben zurück und schaue mit sehr viel Freude nach vorne.
Darf man eigentlich noch "Paddy" sagen?
Ja, klar. Mit Paddy habe ich überhaupt kein Problem, das ist immer schon mein Spitzname gewesen. Ich will allerdings diese neue Phase meiner Karriere mit meinem Namen markieren, deshalb nenne ich mich seit einigen Jahren Michael Patrick, auch wenn das vielleicht etwas sperriger klingt.
Wo leben Sie jetzt?
In Niederbayern, auf dem Land. Seit vier, fünf Jahren schon. Ich mag das dörfliche Leben und die Natur sehr gern. Ich bin oft in Städten und viel unterwegs, die Ruhe daheim tut mir gut.
Sie sind seit 2013 mit der belgischen Journalistin Joelle Verreet verheiratet. Stimmt es, dass Sie schon als Jugendlicher in sie verknallt waren?
Ja. Wir kannten uns schon als Teenager. Wegen ihr schrieb ich mit 13 den Liebeskummersong "Looking for Love".
Woher kannten Sie sich? Man hatte den Eindruck, dass ihr als Kelly Family immer sehr für euch gelebt habt.
Das ist richtig, wir waren abgeschottet, aber wir hatten einen kleinen Freundeskreis, zu dem auch Joelle gehörte. Als wir uns nach Jahren wiedertrafen, hat es beiderseitig gefunkt.
War Joelle der Grund, dass Sie die Klosterzeit beendet haben?
Nein. Ich war in den letzten zwei Jahren im Kloster häufig krank. Die älteren Mönche meinten irgendwann, sie glaubten nicht, dass dieses Leben wirklich meine Berufung sei. Deshalb gibt es auch diese sechs Jahre, bevor man das "ewige Gelübde" ablegt. Die Mitbrüder meinten also, sie könnten mich nicht zum nächsten Schritt zulassen. Sie sagten: "Geh mit Gott".
Man stellt sich den Zölibat nicht leicht vor. Fehlt im Kloster das weibliche Element?
Ich hatte vorher eine Überdosis weiblicher Aufmerksamkeit, ich war einfach auf einer anderen Suche. Als Mönch bist du spirituell einfach anders gepolt.
Sie haben die irische und amerikanische Staatsbürgerschaft. Was sagen Sie zu Trump?
Amerika ist das Land der unbegrenzten Möglichkeiten (lacht). Mein Album ist nicht explizit politisch, aber es ist in einer Zeit entstanden, in der für den Brexit und für Trump gestimmt wurde, das verändert die Identität Europas und der Welt.
Wie kommt es, dass Sie Halbamerikaner sind?
Meine Eltern waren Amerikaner. Mitte der Achtziger hat mein Vater nachgewiesen, dass er irischer Abstammung ist, und wir bekamen auch irische Pässe.
Werden Sie weiterhin in Deutschland bleiben?
Erst mal ja. Ich bin sowieso sehr viel im Ausland unterwegs, das neue Album habe ich in London aufgenommen und meine Tourneen gehen bis nach Grönland. Dort gibt es keine Straßen, man fliegt oder fährt Boot, das macht unheimlich Spaß. Ich war schon zwei Mal dort.
Ihre Geschwister sind wieder als Kelly Family unterwegs. Warum sind Sie nicht dabei?
Ich liebe meine Geschwister, und wenn das Timing besser gewesen wäre, hätte ich es vielleicht einrichten können. Aber mein Album, die Tour, "Sing meinen Song" und Kelly Family - das wäre dann doch eine Baustelle zu viel gewesen.
Sie waren im Mai bei der TV-Sendung "Sing meinen Song" und kamen super an. Hat es sich also gelohnt?
Total. Eine tolle Erfahrung. Wenn die anderen meine Lieder singen, dann ist das so krass, als würde man mir mein Tagebuch vorlesen. Meinen Horizont hat es außerdem stark erweitert, mich mit sechs anderen Künstlern und Genres zu befassen.
Zur Person
Geboren am 5. Dezember 1977 in Dublin. Er ist das drittjüngste Mitglied der Kelly Family. Mit seinen Geschwister und Vater Dan reist er bereits in den 80er Jahren als Straßenmusiker durch Amerika und Europa. In den 90ern feiern die Kellys ihre größten Erfolge. Sie verkauften gut 20 Millionen Tonträger. Von 1998 bis 2002 wohnt die Kelly Family auf Schloss Gymnich bei Erftstadt. 2003 bringt Paddy sein erstes Soloalbum heraus. 2004 geht er für sechs Jahre ins Kloster. Im Juni 2017 erscheint sein viertes Album "iD". Konzerttipp Michael Patrick Kelly, Köln, Palladium, Sa 9. Dezember, 20 Uhr
In den Neunzigern war er der Niedliche der Kelly Family, aber auch bereits deren musikalischer Boss. Später geriet Michael Patrick "Paddy" Kelly in die Sinnkrise und fand Halt in einem Kloster im Burgund, wo er sechs Jahre lang lebte. Seit einiger Zeit ist Kelly, der am 5. Dezember 40 Jahre alt wird, wieder als Musiker aktiv. Sein neues Album "iD - Extended Version" ist das dritte in drei Jahren. Die Platte erweist sich als poprockiger Stilmix mit viel textlichem Tiefgang. Und wer etwa Rea Garvey schätzt, der wird auch Michael Patrick Kelly mögen. Unser Autor Steffen Rüth traf den Musiker in Baden-Baden.