Lob der SchleckmuschelSüßigkeiten des Grauens im Redaktions-Check
Das Beste an Mon Chéri war für mich immer die Sommerpause. Dann war die Gefahr gebannt, dass meine Tante uns mit diesen "Pralinen", wie sie sie nannte, heimsuchen konnte. Stattdessen gab es ab und an Spaghetti-Eis. Was für ein Tausch! Oft habe ich mir überlegt, ob Süßigkeiten des Grauens - zu denen Mon Chéri für mich persönlich zählen - nicht auch eine weltverbessernde Wirkung haben könnten. Ließe sich irgendwo an einem unwirtlichen Ort, nahe Pjöngjang beispielsweise, nicht ein Strand damit aufschütten? Könnte man aus krebsfarbenem Puffreis nicht ein ergotherapeutisches Kügelchenbad für die Autokraten dieser Welt anlegen - mehr Entspannung, mehr Frieden? Oder reichlich Land für die Niederlande, ausgelegt aus Manner-Waffeln - garantiert so trocken wie die Wüste Gobi?
Bei einer zufälligen Diskussionsrunde über die scheußlichsten Dauerbrenner im Kosmos Süß & Klebrig musste ich mir dann aber eingestehen, dass jede Schleckmuschel, jedes After Eight auch einen Fan hat. Schnell entbrannte eine Redaktionsdebatte über die kultigsten und die grässlichsten Erzeugnisse des Süßigkeiten-Designs. Nippon gegen Nappo; Caramac gegen Jaffa Kekse. Hier verteidigen Kolleginnen und Kollegen nun also sechs vermeintlich schwarze Schafe in der leuchtenden Herde des zuckrigen Genusses. Es kann ja nicht jeder eine Valrhona Guanaja 70 Prozent sein.
Manner
Warum ich auf Manner stehe? Das Äußere kann es definitiv nicht sein, denn wenn eine Haselnuss-Schnitte jemals eine homoerotische Ausstrahlung gehabt hat, dann diese. Was soll dieses wahnsinnige Schweinchenrosa? Und wurden Schriftzug und Bild in den vergangenen hundert Jahren je geändert? Auch das Innere scheidet als Kaufgrund eher aus: Die kleinen Neapolitaner-Schnitten schmecken nicht schlecht, aber aufregend sind sie weiß Gott nicht.
Was bleibt? Ich glaube, ich bekomme einfach ein haptisches Glücksgefühl: Anders als beim Schokoriegel kann man ein quadratisches Mannerpäckchen tragen wie eine kleine Handtasche. Man kann es an einem feinen Goldband öffnen wie einen Schatz und schließlich - in feine Häppchen aufgeteilt - elegant verspeisen. Typisch Wien, würde ich sagen. Welche Süßigkeit kann das von sich behaupten? Dass mir danach meistens schlecht ist, ist nicht so ladylike, aber hey: Das habe ich das nächste Mal wieder vergessen. Sabrina Birkenbach
Schleckmuschel
Wahrscheinlich stecke ich in irgendeiner oralen Phase fest. Jedenfalls fand ich Süßigkeiten zum Ablecken, Schlecken und Lutschen immer erstrebenswert. Die Schleckmuschel ist natürlich das höchste der Gefühle, weil man nichts ableckt, sondern rausschleckt, was die Sache fast noch perverser macht. Aber man kann die Schleckmuschel auch einfachganz pragmatisch rechtfertigen.Was machen Sie zum Beispiel mit einem Bonbon, wenn Sie zu einem leckeren Essen eingeladen sind und das Bonbon noch nicht aufgelutscht ist? Eben! Müssen Sie wegwerfen. Die Schleckmuschel hingegen kann man relativ hygienisch und ohne Klebespuren zu hinterlassen neben den Teller legen und hernach als Nachtisch weiterschlecken.
Die Schleckmuschel ist an sich außerdem sowohl eine lange, treue Freundin als auch eine Geduldsprobe. Man braucht ewig, bis man die rote oder gelbe harte Masse bewältigt hat. Das kann nerven, man könnte gierig werden und den Inhalt mit dem Messer rauspickeln. Aber damit würde man die Schleckmuschel natürlich ad absurdum führen. Die Ausgiebigkeit und Dauer - das ist das Wesen der Schleckmuschel. Wenn alles endlich sauber ausgeschleckt ist, kann man die Schleckmuschel übrigens noch als winziges Gefäß verwenden. Für Büroklammern zum Beispiel. Die sind auch so schön 80er. Claudia Lehnen
Caramac
Zu meiner Schulzeit gab es zwei Kioske: Einen Tante-Emma-Laden auf der anderen Straßenseite, der vermutlich heute noch die besten Thunfisch-Baguettes der Republik macht, und ein Kioskfenster neben dem Pausenhof. Für die Unterstufenschüler war der richtige Kiosk Tabu (Stichwort: Mutprobe), also blieb uns nur "das Fenster". Die Auswahl war klein, in der Warteschlange drängelten nur gleichaltrige Jungs, und der fehlende Reiz des Verbotenen ließ die dortigen Thunfisch-Baguettes fade und tranig schmecken.
Die Rettung: Capri-Sonne und Caramac. Die leuchtend rot-gelbe Verpackung hat heute noch Signalwirkung - das Superhelden-Cape unter den Schokoriegeln. Caramac war ungewöhnlich. Nicht schokoladig, nicht nussig, nicht fruchtig. Der orange-bräunliche Riegel duftete und schmeckte herrlich nach Karamell. Die Krux: Nach zwei, drei Bissen brannte die Süße auf der Zunge. Caramac ist eindeutig Schuld an meiner heutigen Schwäche für Fudge, die britischen Karamellbrocken. Auch hier gilt: Ein Bissen zu viel und der Gaumen steht in Flammen. Caramac ist für 15 Jahre gänzlich aus meiner Wahrnehmung verschwunden. Kürzlich tauchte der Riegel wie eine Epiphanie im Kiosk meines Vertrauens auf. Es war magisch. Übrigens: Die "Dulcey" von Valrhona ist quasi Caramac für Fortgeschrittene - nur ohne Brennen und mit viel mehr Schmelz. Julia Floß
Nappo
Plombenzieher. Was für ein schönes deutsches Wort. Kannmir kaum vorstellen, dass es das in einer anderen Sprachegibt. Storck-Riesen und Fruchtgummi-Smileys sind daschon toll. Meine absoluten Lieblings-Plombenzieher aber sind Nappos. Aber nur die kleine Variante der holländischen Nougatrauten mit Schokoüberzug; die knallharten Riesen-Nappos gehen gar nicht.
Am liebsten leere ich meine Spitztüte - auch so ein Superwort - abwechselnd: erst rot, dann blau, dann grün. Obwohlsie doch alle gleich schmecken. Gleich lecker, versteht sich. Schoki plus Nougat ist für mich eh der süße Geschmacksklassiker überhaupt. Und da kann ich nur ganz schwer damit umgehen, dass ein guter Freund von mir es sich während seiner Jugendzeit in der emsländischen Tiefebene angewöhnt hat, Nappo als Schimpfwort zu verwenden. "Du Nappo!": Noch heute rutscht ihm das raus. Für mich ein Kompliment. Und meine nächste Band heißt Die Nappos. Oder Plombenzieher. Markus Düppengießer
After Eight
Was für einige wie Schokolade-Essen nach dem Zähneputzen schmeckt, finde ich einfach superlecker. Warum man die Kombination aus Schokolade und Minze nicht mag,weiß ich nicht. Das Vergnügen fängt bei After Eight ja nicht erst mit dem Essen an. Allein das Öffnen der kleinen dunkelgrünen Box mit der goldenen Schrift und der Geruch sind Sinneserfahrungen für sich und steigern die Vorfreude auf den ersten Biss. After Eight gab es in meiner Kindheit nur bei meiner Oma. Es war immer etwas Besonderes, und das ist es auch heute noch.
Ich als Ordnungsfreundin freue mich immer über die sorgsam einsortierten kleinen Tütchen, die akkurat in ihren Einkerbungen darauf warten, von mir gegessen zu werden. Und auch dann nicht umfallen, wenn man eines aus ihren Reihen erlöst. Der eigentliche Moment ist aber dieses leise Knacken und die weiche Minzfüllung in meinem Mund. Himmlisch! Schon beim Reinbeißen weiß ich, die Packung wird heute noch leer. Dass ich After Eight so mag, liegt wohl auch an dem Gefühl, das ich beim Essen habe. Wegen der Aufmachung komme ich mir so britisch vor. Und das ist als England-Liebhaberin sehr wohl erstrebenswert - auch nach dem Brexit. Jacqueline Rother
Mon Chéri
Damit fing alles an. Ich und mein Mon Chéri, und plötzlich hacken alle los: Wer isst denn sowas? Und das um halb zehn! Mobbing scheint mir hier noch ein harmloser Ausdruck. Das Kommentieren von Essen, zumal wenn man gerade dabei ist, es zu verzehren, zumal wenn es ins Negative bis Vernichtende geht, ist eine Stillosigkeit, über die die Kollegen jetzt auch mal nachdenken können. Mon Chéri ist kein billiger Kitsch, Mon Chéri ist in meinen Augen Kunst. Und da ich selbst Künstler bin, kann ich das ja wohl genau erkennen. Auf die Art des Essens kommt es zudem an.
Mein Tipp: Knibbeln Sie mit den Vorderzähnen erst zwei diagonal liegende Eckchen ab, saugen Sie dann den zäh-süßen Saft heraus, genießen Sie schließlich die Komposition aus herber Schokolade und Quietschkirsche, von der jeder weiß, dass sie mit dem Piemont absolut nix zu tun hat. Ist auch egal. Manner hat ja zur Bibel auch wenig Bezug. Alex Jahn