Laufen macht schlau?Man kann dem Denken Beine machen

Joggen ist gesund: Das Gehirn wird nicht nur stärker durchblutet und dadurch leistungsfähiger, auch der Demenz wir aktiv vorgebeugt. (Symbolbild)
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Herr Knigge, macht Laufen schlau?
Zumindest schlauer! Neuere Studien zeigen, dass es einen recht gut gesicherten Zusammenhang zwischen körperlicher Aktivität und kognitiven Funktionen gibt. Wenn sich ein körperlich Aktiver für nicht so richtig clever hält, kann davon ausgegangen werden, dass es ohne Aktivität noch viel schlimmer wäre. Und weil Sie das Laufen ansprechen - tatsächlich ist Ausdauersport besonders gut für das Gehirn.
Welche Rolle spielt das Gehirn überhaupt in Bezug auf Bewegung?
Jede Form von menschlicher Bewegung wird vom und im Gehirn gesteuert. Es nimmt sensorische Reize auf und gibt dann Befehle an die entsprechenden Muskeln, Die Steuerung der Körperbewegungen hat aber auch eine Rückkoppelung in die andere Richtung zur Folge. Bewegung und Sport wirken also auf das Gehirn zurück. Auf biochemische Prozesse etwa - so verändern sich die Spiegel von Serotonin, Dopamin und Noradrenalin.
Sie sprechen vom Runners High, dem vermeintlichen Glücksgefühl des Läufers?
Ein wirkliches High-Gefühl ist selten, aber die Befindlichkeit wird in der Tat signifikant verbessert. Die biochemischen Prozesse führen zu einer Stimmungsaufhellung. Des Weiteren sorgt Bewegung auch für eine bessere Versorgung der Gehirnzellen und ihrer Verbindungen. Regelmäßige Bewegungsreize sorgen also auch im Gehirn für Gefäßneubildungen und schützen die Neuronen und Synapsen.
Kann ich durch Bewegung auch Demenz vorbeugen?
Das Thema Demenz und die grassierende Demenz-Angst, die viele von uns umtreibt, erstaunt mich immer ein bisschen. Die Wahrscheinlichkeit, an Demenz zu erkranken, ist gar nicht so groß. Eine Hysterie ist unbegründet. Der Autonomieverlust, auch wenn er nur die letzte Lebensphase betrifft, scheint aber in der heutigen Zeit, wo auch im Alter jeder noch alles können muss, das schlimmste vorstellbare Übel zu sein. Wir sollten möglicherweise etwas demütiger mit unseren Erwartungen sein. Aber die gute Nachricht ist in der Tat, dass sich Bewegung präventiv stark auswirkt und sich sogar erste dementiell bedingte kognitive Verluste positiv beeinflussen lassen.
Also runter vom Sofa?
Auf jeden Fall, wir sollten uns bewusst machen, dass wir durch gute Lebensführung nicht nur für unsere körperliche Verfassung zu einem großen Teil selber verantwortlich sind, sondern auch unseres Gehirnes Schmied sind. Auch die mentale Gesundheit lässt sich durch Bewegung beeinflussen.
Macht es Sinn, sportliche und Denksportaufgaben zu kombinieren? Unter dem Namen Life-Kinetik sind solche Übungen bekannt. Da wird gleichzeitig geturnt und gerechnet.
Bisher gibt es keine Belege dafür, dass diese Kombination von Sport und Denksport besonders förderlich für das Gehirn ist. Tatsächlich ist jede Form von Bewegung, also die motorische Ansteuerung des Gehirns, ein sinnvolles neuro-muskuläres Training und damit generell sowieso empfehlenswert. Jüngste Studien haben aber vielmehr klar gezeigt, dass die aeroben Belastungen das Gehirn und seine komplexe Struktur schützen und aufbauen. Die längere gleichmäßige Belastung einer Radtour, eines Dauerlaufs oder beim Bahnenschwimmen ist augenscheinlich die beste Art, dem Gehirn Beine zu machen. Es werden Substanzen ausgeschwemmt, die schon bestehende Hirnareale und -zellen schützen, und gleichzeitig dafür sorgen, dass sogar neue Zellen wachsen. Bis vor nicht allzu langer Zeit hielt man diesen Zusammenhang für unglaublich.
Auf welche Areale genau wirkt Ausdauersport?
Auf genau die Areale, in denen das Wissen und die Merkfähigkeit, also das sogenannte semantische und das episodische Erinnerungsvermögen verortet sind, Begriffe und deren Bedeutung, aber auch das, was wir am 11.9. 2006 gemacht haben und wo wir waren. Diese Wissen liegt in der Kombination der Inhalte verschiedener Schubladen vor. Und das Zusammenspiel dieser Schubladen wird vom Hippocampus organisiert und gesteuert. Genau dort entstehen neue Zellen. Synapsen und Neuronengeflechte werden durch Bewegung optimiert.
Kann ich das nicht auch beim Sudoku-Lösen trainieren?
Wer regelmäßig beispielsweise Sudokus löst, verbessert natürlich seine Fähigkeit, Sudokus zu lösen. Wenn allerdings der ganze Körper aktiv ist, joggt auch das Gehirn mit und erhält und verbessert seine grundlegende kognitive Leistungsfähigkeit.
Und wie schaffe ich es, mich vom Sudoku-Fan zum Läufer umzuprogrammieren?
Vielleicht zunächst indem ich mir nicht bewusst ein Ziel "Demenzverhinderung" setze. Ich sollte auch nicht losgehen, um schlauer zu werden. Es ist absurd, wenn wir uns für nicht ausreichend intelligent halten und glaubten, den IQ durch Laufen steigern zu müssen. Vielmehr ist es sinnvoll, die häufig vernachlässigte Verbesserung der Stimmung und Gefühlslage in den Fokus zu nehmen. Nach dem Motto: Ich mache, was mir gut tut. Also das, wobei und wonach es mir bessergeht. Und bei Bedarf eines besseren Argumentes halten Sie es doch einfach wie die alten Philosophen, die in moderater Bewegung zu sinnieren pflegten. Denn Flanieren hilft beim Denken.