Kleine VegetarierWenn Kinder plötzlich kein Fleisch mehr essen wollen

Die Mastschweinzucht ist in unserer westlichen Esskultur normal. Doch Kindern ist dies oft nur schwer zu vermitteln.
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Luiz schüttelt energisch den Kopf. "Niemand isst Hühner", sagt er und verzieht angeekelt den Schmollmund. "Niemand isst Hühner?", fragt die Mutter erstaunt. "Ja, denn es sind Tiere!", antwortet der Junge im Kinderhochstuhl, dem gerade erklärt wird, dass das Fleisch, das er isst, mal ein lebendes Tier war. Als er sagt: "Ich will nicht, dass sie sterben. Ich will, dass sie auf ihren Beinen stehen bleiben", rührt er seine Mutter zu Tränen.
Und vermutlich nicht nur sie, denn das Video von dem portugiesisch sprechenden Kind, das erst seine Tintenfischgnocchi und schließlich gar keine Tiere mehr essen will, ging um die Welt. Vielleicht haben seine Eltern Luiz ermahnt, keine Regenwürmer zu töten und vermutlich war er mit den Eltern auch in einem Streichelzoo, wo er Schweine gestreichelt und Hühner gefüttert hat. Ein Stück Fleisch optisch mit einem Huhn und eine Wurst mit einem Schwein in Zusammenhang zu bringen, ist auch für Erwachsene eine Herausforderung.
Die meisten Kinder ziehen diesen Schluss von sich aus erst einmal nicht. Früher einmal wuchsen Kinder ganz selbstverständlich damit auf, dass Tiere gehalten wurden, um geschlachtet und gegessen zu werden. Aus heutiger Sicht vielleicht grausam, aber ehrlich. Als Fernsehköchin Sarah Wiener 2009 für eine Fernsehsendung ein Kaninchen vor den Augen einiger Kinder schlachtete und es mit ihnen gemeinsam häutete und ausnahm, waren nicht nur die Kinder, sondern auch viele Zuschauer geschockt. Nur - ist es nicht auch ein Schock für ein Kind, wenn man es einerseits jahrelang zu Bauernhöfen schleppt, um die niedlichen Kälber zu streicheln und es ermahnt, bloß kein Insekt zu töten, und ihm andererseits Fleisch vorsetzt?
Wenn die Großen das machen, geht es in Ordnung
Bis es irgendwann einmal von sich aus dahinter kommt, was es mit der Wurst auf sich hat? Aber im Grunde genommen verdrängen wir als Erwachsene ja selbst täglich, dass das Fleisch, das wir essen einmal gelebt hat. Ob man selbst Fleisch isst und seinen Kindern welches zu essen gibt ist eine persönliche Frage, die jeder für sich selbst beantworten muss. Ein kleines Kind wird in der Regel das tun, was seine Eltern ihm vorleben. "Für das Kind gilt: Wenn die Großen das machen, dann ist es in Ordnung", sagt die Bonner Psychologin Marianne Rose. Essen die Eltern Fleisch, wird das Kind auch Fleisch essen. Auch, wenn wir ihm von vorneherein sagen, woher seine Kinderwurst kommt, wird das Kind das wahrscheinlich akzeptieren und nicht moralisch anzweifeln.
"Erst ab dem Alter von acht Jahren beginnen Kinder, Dinge in Frage zu stellen und sich selbst mit solch einem Thema auseinanderzusetzen", sagt Rose. Aber auch, wenn das Kind - wie Luiz - noch jünger ist, gilt: "Wenn ein Kind von sich aus fragt, dann verkraftet es auch die ehrliche Antwort".