Interview„Völlige Dunkelheit schützt und beruhigt“
Berater Michael Lück bietet Seminare in völliger Dunkelheit an . Autor Thomas Geisen sprach mit ihm darüber, wie sich der Verzicht auf den Sehsinn auswirkt.Herr Lück, Sie veranstalten Seminare im Dunklen. Was fasziniert Sie an der Lichtlosigkeit?
Der Sehsinn ist der dominante beim Menschen, 80 Prozent unserer Wahrnehmung kommt über die Augen. Das heißt aber auch 80 Prozent der Täuschung. Mich interessierte nun, was passiert, wenn ich den dominanten Sinn ausschalte, also die Augen, das Licht. Zum einen stellen wir fest, Tast- und Geschmackssinn entwickeln sich entsprechend intensiver. Und noch wichtiger: Wir hören besser, wir hören anderen Menschen besser zu, ganz besonders aber uns selbst.
Wo arbeiten Sie?
In Betrieben, wo es um Veränderungsprozesse, Konfliktsituationen, Teambildung geht. Damit die Menschen besser zuhören – denn in Dunkelheit hat jede Betonung, jede Pause eine Bedeutung, die wir deutlicher wahrnehmen. Laut einer Studie der TU Dortmund sind die Menschen kreativer – um bis zu 30 Prozent.
Wie ist die Idee zu den Dunkel-Workshops entstanden?
Ich habe in den 1990er Jahren viele Messepräsentationen und Marketingevents konzipiert und las seinerzeit von einem Psychotherapeuten in Frankfurt, der seine Patienten in die völlige Dunkelheit setzt, weil er merkte, dass er allein mit Appellen an den Intellekt keine Veränderung erreicht. Ich habe den Therapeuten angesprochen und gefragt, ob das auch auf den Messebereich übertragbar sei. 2003 organisierten wir dann das erste Mal mit diesem Dunkel-Konzept einen Workshop auf der Messe Düsseldorf. Klar ist: Je älter wir sind, desto tiefer sind die Pfade ausgetreten. Und: neue Pfade gehen die Menschen, wenn Sie etwas spüren, wenn ihnen das Bauchgefühl etwas sagt.
An wen richten Sie sich?
Grundsätzlich mache ich Marketing- und Strategieprojekte. Es gibt parallele Entwicklung auch im medizinischen Bereich wie zum Beispiel bei der Behandlung von ADHS-Betroffenen. Meine Erfahrung ist, dass die völlige Dunkelheit schützt und beruhigt. Vorrangig aber kümmere mich eben um die Veränderungsprozesse in Firmen, sei es der Übergang von analogen zu digitalen Fertigungsprozessen oder die Frage, wie ich ein Produkt besser vermarktet bekomme.
Wie lange halten sich die Teilnehmer in der Dunkelheit auf?
Die „dunklen Blöcke“ gehen über ein bis eineinhalb Stunden. Oft machen wir auch einen Wechsel von hell, dunkel, hell, dunkel. Wenn man zum Beispiel etwas schriftlich hat ausarbeiten müssen und das soll vertieft werden, es soll sacken, dieser Prozess findet im Dunklen statt. Geht es um tiefenpsychologische Prozesse, um Persönlichkeitsentwicklung, sind wir auch sieben, acht Stunden in völlig lichtlos abgedunkelten Räumen. Dann gibt es auch etwas zu essen und zu trinken in Dunkelheit.
Sind die organisierten Dunkelheitssitzungen eigentlich auf den Alltag übertragbar?
Es ist jetzt nichts für den Menschen in seinem privaten Umfeld. Niemand geht einfach nur so freiwillig in die völlige Lichtlosigkeit. Im Keller habe ich immer noch einen Lichtpunkt, an dem ich mich orientieren kann. Die Menschen, die zu uns in die Dunkelheit kommen, sagen hinterher: Mensch, ich bin zum ersten Mal in meinem Leben eigenen, belastenden Situationen begegnet. Sie kommen an uralte Bilder aus der frühesten Jugend. Im Rahmen einer Lichtlos-Kreativitätsstudie betonten die Teilnehmer, sie „fühlten sich sicherer im Umgang mit unbekannten Situationen“ und Führungskräfte bemerkten einen anderen Umgang miteinander. Eine höhere Achtsamkeit, weniger Alphatierchen-Gehabe.