Interview mit KabarettistJürgen Becker wirft einen lustvollen Blick auf die Liebe
Mit seinem aktuellen Programm „Volksbegehren“ wirft Jürgen Becker einen lustvollen Blick auf die Liebe. Im Interview mitMarie- Anne Schlolaut spricht er über Leibfeindlichkeit und die Vorteile, die es haben kann, sich mit fremden Federn zu schmücken.
Herr Becker, in Ihrem Programm „Volksbegehren“ gehen Sie der Liebe und der Lust auf den Grund und gucken, wie es bei Mensch und Tier läuft. Was haben Sie daraus gelernt?
Ich weiß jetzt, warum Männer und Frauen so sind wie sie sind und kann vieles besser einordnen.
Veranstaltung
„Lust auf Liebe – Liebeslust“– Ein Blick genügt, und schon ist man elektrisiert? Umso erschreckender, wenn mit der Zeit so langsam die Lust schwindet. Woran liegt es? Wie findet man den richtigen Partner? Wie vertieft man die Beziehung?
Antworten haben: Jürgen Becker mit seinem Programm „Volksbegehren – Die Kulturgeschichte der Fortpflanzung“ und Prof. Dr. Dr. Raphael Bonelli.
Der Psychiater aus Wien, Neurowissenschaftler, Psychotherapeut und Autor, analysiert, wie es mit der Liebe klappen kann und erklärt, welche Totengräber der Liebe es gibt.
Moderation: Marie-Anne Schlolaut
Wann: Freitag, 22. September 2017
Beginn 18.45 Uhr
Einlass 17.45 Uhr
Wo:Volksbühne am Rudolfplatz,Aachener Straße 5, Köln
Eintritt:18,05 Euro /16,05 Euro für Abocard-Inhaber
Tickets erhältlich unter: V0221/ 2801 (280344 Abocard)
Was denn zum Beispiel?
Den Wandel der Schönheitsideale. Man kann das bei Tieren beobachten, zum Beispiel bei den Guppys, diesen kleinen Aquarium-Fischen. Die haben ja diese schönen bunten Schwänze in unterschiedlichen Farben. Die Träger einer Farbe leben meist zusammen. Sobald man aber in eine Guppy-Gemeinschaft mit blauen Schwänzen einen einzigen Guppy mit rotem Schwanz setzt, kriegt der alle Weibchen rum.
Was lernt Mann daraus?
Das Männchen, das etwas hat, was andere nicht haben, das siegt. Wenn da zehn blasse Banker stehen und nur über vermögenswirksame Leistungen sprechen und da gesellt sich dann ein braun gebrannter Surflehrer dazu: Wen nimmt die Frau dann wohl?
Also sollten sich die Männer schmücken.
Nehmen wir einfach mal graue Finkenmännchen als Beispiel. Man hat in einem Experiment die grauen Vögel schön bunt angemalt und ihnen Federschmuck auf den Kopf gebunden. Und tatsächlich waren die bunten Männchen mit den Federn auf dem Kopf der Renner bei den Frauen. Das lehrt uns, dass Typen, die normal nicht die geringste Chance hätten, durch bunte Farben und albernen Federschmuck auf dem Kopf für Frauen interessant werden. In der Natur nennt man das sexuelle Selektion, in Köln heißt das Dreigestirn.
Aber der schönste Federschmuck schützt nicht davor, dass Männer bei Liebe und Sex total schwach werden.
Das weiß ja jedes Bond-Girl, das versucht, dem Agenten die Geheimnisse im Liebesrausch zu entlocken. Deswegen wird ja Sex immer und überall benutzt, um zu locken. Das sieht man schon auf der Internationalen Automobilausstellung jedes Jahr in Frankfurt. Da sitzen ja heute noch, im Jahr 2017, das muss man sich mal vorstellen, leicht bekleidete Mädchen auf den Motorhauben rum, um die Männer zu erregen. Manche finden das gar nicht gut und sagen: Nimm die Frau da weg, die macht Kratzer in den Lack.
Welche Kriterien setzen Frauen an bei der Partner-Auswahl?
Untersuchungen zeigen, dass Frauen einen Mann attraktiver finden, wenn dieser schon eine Partnerin hat. Das ist so, wie wenn man im Internet ein Hotel bucht, dass schon positive Bewertungen hat. Sie weiß dann, Frauen, die Peter gebucht haben, waren mit ihm zufrieden. Und nicht: Frauen, die Horst Seehofer gewählt haben, interessieren sich auch für Heißluftgebläse.
Kommt das den Männern zugute?
Aus Sicht der erfolgreichen Fortpflanzung schon. In der Tierwelt – und nicht nur dort – war es für die Arten überlebenswichtig, wie viele Weibchen ein Mann begatten konnte. Darum kämpfen Männer. Das wird vor allem in der Tierwelt optisch sichtbar. Stoßzähne, Hauer, ausladende Geweihe sind ja nicht für den Fressfeind gedacht, sondern einzig dafür da, dem Sexualkontrahenten die Frau abzujagen. Die Männchen versuchen, sich aufzuplustern und sich gegenseitig zu übertreffen.
Aber nicht immer ist der Mensch so offenherzig mit Liebe, Begehren und Sexualität umgegangen.
Ich habe mich schon immer gefragt, wer diese Leibfeindlichkeit in die Religion gebracht hat. Luther auf jeden Fall nicht. Der hat nämlich auf die Frage nach seinen ehelichen Pflichten geantwortet: In der Woche zwier, macht im Jahre hundertvier, das schadet weder ihr noch mir. Und wenn ich mir andere Religionen angucke, die haben die Sexualität sogar spirituell überhöht. Das sieht man vor allem in Indien mit der putzmunteren Posen-Vielfalt der Skulpturen im Tempelbezirk Khajuraho. Auch die antiken Götter der Griechen und Römer waren sehr umtriebig und lustvoll.
Wann schlug es um?
Die ersten Mahner waren Männer wie Platon, der meinte, dass Sex nun mal Fleischeslust sei, Fleisch aber vergänglich sei und nur die Idee ewig lebe. Die Christen haben dann aus der Idee Gott gemacht und den Sex verteufelt. Und gerade dadurch wurde er zu einer Riesen-Sensation. Nicht nur für uns, auch für die Kirche selber. Mit kaum etwas hat sich der Klerus mehr beschäftigt als mit dem, was sexuell erlaubt und was verboten ist. Trotzdem wollen wir alles darüber wissen und uns die Lust erhalten. Und das ist auch gut so.
Das Lustvolle ist aber streckenweise immer noch verpönt.
Bei Katholiken schon. Wir kennen die albernen Diskussionen bis heute: Darf man die Pille nehmen? Kondome benutzen? Darf man schwul oder lesbisch sein? Darf, wer geschieden ist, noch mal heiraten? Darf er dann noch zur Kommunion gehen? Mit dieser Pillepalle haben sich die Popen manisch beschäftigt, als gäbe es nichts Wichtigeres. Viele Geistliche wollen bis heute nicht einsehen, dass die meisten Katholiken weltweit über Sex und Liebe selbst entscheiden wollen. Der springende Punkt wurde schon von Paulus angesprochen.
Weil er was gesagt hat?
Der meinte, wir müssen die Geschlechtlichkeit überwinden. Eines Tages, so seine Vision, werden wir nicht mehr Mann und Frau sein, sondern beides in einem. Paulus hätte nie gedacht, dass das mal gelingt. Mit Conchita Wurst.
Wann kam es ganz dicke?
Mit Kirchenvater Augustinus. Der hatte ein Problem – seine Mutter. Die war so was wie heute die Helikopter-Mütter. Die wollte aus ihrem Sohn einen christlichen Überflieger machen. Aber der Augustinus hatte eine Beziehung zu einer Frau und mit ihr ein uneheliches Kind und musste auf Druck der Mutter Frau und Kind verlassen.
Und schlug dann zurück?
Statt über seine Fehler nachzudenken, hat er lieber anderen Vorschriften gemacht.
Welcher Art?
Sex, Begehren, Erotik war nach Meinung von Augustinus alles Schweinkram und Ablenkung vom wahren Weg. Aber bei den ganzen Verteufelungen tat sich ein Problem auf: Irgendwie müssen ja Kinder entstehen. So kam es zur Aussage: Sex ja, aber nur zur Fortpflanzung. Augustinus wollte ernsthaft, dass wir uns ohne Lust lieben. Das prägt die Kirche bis heute.
Ist Sex überlebenswichtig?
Um Viren und Bakterien abzuwehren. Die besiedeln uns und vermehren sich wie am Kopierer. Irgendwann finden sie dann den Schlüssel zu unserem Abwehrsystem und versuchen es ausschalten.
Was hat das mit Fortpflanzung zu tun?
Viren und Bakterien können es aber nicht schaffen, wenn wir Sex haben. Denn das bedeutet, dass wir uns nicht einfach kopieren wie die Blattlaus, sondern wir mischen uns. Aus zwei verschiedenen Lebewesen entsteht ein komplett neues – da blicken die Bakterien nicht mehr durch. Da müssen sie wieder von vorn anfangen, denn ihr Schlüssel für das Abwehrsystem passt nicht mehr. Also: Die Sexualität ist nicht wegen der Fortpflanzung entstanden. Fortpflanzung geht auch ohne Sex, wie wir bei der Blattlaus sehen. Der Sex entstand zuallererst unter dem Druck der Feindabwehr.
Wieso Feindabwehr?
Das ist ein bisschen so, als ob Sie eine Kneipe haben und da kommen jeden Abend die Rocker rein, zahlen den Deckel nicht und machen Randale. Wenn Sie daran als Wirt nicht zugrunde gehen wollen, müssen sie das Programm ändern.
Und wie?
Da müssen Sie eben Florian Silbereisen auflegen, dann bleiben die Rocker weg.
Den Silbereisen mit „Einmal geht’s noch“? Passt ja zum Thema.
So ist es. Wer überleben will, der muss sein genetisches Programm ändern, sonst gerät man evolutionär ins Hintertreffen. Wenn wir uns nur kopieren wie die Blattlaus, klappt das, so lange wir gesund und stark sind. Aber wenn wir trottelig sind, würden wir uns zehntausend Mal als Depp kopieren. 10000 Deppen will niemand. Wie das ausgeht, kennen wir ja von Pegida.
Selbst Politiker haben ja die Lust entdeckt und präsentieren sich mittlerweile erotisch.
Von Obama gab es attraktive Nacktfotos. Von Trump wahrscheinlich auch. Ob die attraktiv sind, weiß ich nicht. Der Kreml hat sie höchstwahrscheinlich in den Schubladen und muss sie nur noch auspacken. Testosteron-gesteuerte Männer haben im Moment sehr viel Macht auf der Welt – und das ist gar nicht gut. Putin kennt man halbnackt beim Angeln und beim Reiten. Wenn es politisch eng wird zieht der sich aus – und das wirkt! Man bekommt fast Angst, dass Angela Merkel das mitkriegt.