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InterviewÄngstliche Kinder werden oft gemobbt

Lesezeit 3 Minuten

Herr Professor Döpfner, wie verbreitet ist soziale Ängstlichkeit oder Schüchternheit bei Kindern?

Generell liegen Ängste bei Kindern und Jugendlichen auf Platz eins der Störungen. Von sozialer Angst und Depressionen sind vor allem Mädchen betroffen, während Jungen eher zu expansivem, aggressivem Verhalten neigen.

Welche Auswirkungen hat extreme Schüchternheit?

Die davon betroffenen Kinder sind sozial isoliert. Vor allem im Umgang mit Gleichaltrigen tun sie sich enorm schwer. Es ist, als fehlte ihnen das Instrumentarium dafür, auf andere Kinder zuzugehen. Sie haben keine Freunde und werden, weil sie sich nicht wehren können, häufig das Opfer von Mobbing.

Was heißt: Ihnen fehlt das Instrumentarium?

Sie haben keine Ahnung, wie sie mit Gleichaltrigen Kontakt aufnehmen sollen und worüber sie mit ihnen reden könnten. Manchen von ihnen fehlt grundsätzlich die Kompetenz zur Interaktion mit anderen Kindern. Andere verfügen zwar über diese Kompetenz, sind aber sozial ungeschickt. Sie gucken den anderen im Gespräch nicht an. Sie lächeln nicht, sondern versteinern regelrecht .

Inwieweit ist das Thema Angst bei Kindern erforscht?

Das Problem des sozial ängstlichen Kindes wurde lange von der Fachwelt unterschätzt. Zum einen richtet sich der Fokus des Interesses eher auf die lauten, aggressiven Kinder, unter deren Verhalten nicht nur sie selber, sondern auch die Umgebung leidet: die Lehrer, die Eltern, die Geschwister. Zum anderen gibt es gerade bei sozialer Ängstlichkeit Spontanremissionen.

Das heißt: Schüchternheit kann sich von allein auswachsen?

So in etwa. Doch darauf sollte man nicht bauen. Früher dachte man, es sei nicht unbedingt nötig, auch den Stillen, extrem Zurückhaltenden Hilfe anzubieten. Eben weil sozial ängstliche Kinder und Jugendliche unter günstigen Umständen von allein lernen können, mit ihren Ängsten fertig zu werden. Man hat dabei allerdings übersehen, dass auch diese Kinder extrem leiden.

Wie ist Therapieansatz?

Es gibt zwei Zugänge: den ressourcenfokussierten und den problemfokussierten Ansatz. Bei letzterem konfrontieren wir die Kinder schrittweise und behutsam mit verschiedenen angstmachenden Situationen, bis sie ihre Angst davor verlieren. Wir nennen das soziales Kompetenztraining. Ziel ist, die Grundfähigkeit der Kinder, auf andere Menschen zuzugehen, zu verbessern. Bei dem ressourcenaktivierenden Ansatz thematisieren wir nicht die Probleme der Kinder, sondern stellen ihre Stärken heraus und stabilisieren ihr Selbstwertgefühl.

Warum haben Sie Acht- bis 14-Jährige für Ihre Studie ausgewählt?

Gerade in der Phase zwischen Grundschulalter und dem Übergang in die Präpubertät ist Hilfe nötig. 14-, 15-Jährige sind dann sehr verletzlich. Die Anforderungen an die Fähigkeit, soziale Kompetenz zu zeigen und Beziehungen zu Gleichaltrigen aufzubauen, steigen sprunghaft. Die Betroffenen werden möglicherweise mehr gehänselt als früher, weil Teenager auf ganz andere Dinge achten als jüngere Kinder.

Welche Rolle spielen die Eltern, wenn das Kind eine Angststörung entwickelt?

Tendenziell haben ängstliche Kinder ängstliche Eltern. Wenn die Mutter es nicht schafft, "Nein" zum Staubsaugervertreter an der Tür zu sagen und den dritten Staubsauger kauft, wird auch das Kind nicht lernen, seine Wünsche zu formulieren und durchzusetzen. Diese Eltern sind ängstliche Modelle. Häufig bestärken sie ihr Kind unbewusst in seinen Ängsten, indem sie es öfter für abhängiges als für mutiges Verhalten loben.

Was tun Sie in einem solchen Fall?

Wir bestärken Eltern mit einer überbehütenden Tendenz darin, dem Kind etwas zuzutrauen und versuchen gleichzeitig, ihnen ihre eigenen Ängste zu nehmen.