„Hallo Lieblingskind“Mutter stößt mit Bekenntnis in TV-Talkshow hitzige Debatte an
„Meine Tochter ist eindeutig mein Lieblingskind“, sagte eine Mutter jüngst in einer britischen TV-Talkshow und löste damit eine Debatte im Netz aus. Darf man so etwas wirklich laut zugeben. Die vierfache Mutter Alisha Tierney-March spricht ohne Scheu darüber, dass ihre zweijährige Tochter Kennedy ihr Lieblingskind ist.
„Es ist einfach schöner, mit ihr Zeit zu verbringen. Ich habe diese andere, besondere Verbindung zu ihr.“ Genau so würde sie das auch offen ihren anderen Kindern (7, 9 und 1 Jahre) sagen. Die wüssten längst, dass Kennedy ihr Liebling sei. Doch auch wenn die ganz vorne käme, liebe sie alle ihre Kinder, sagt die Mutter und keiner würde wirklich bevorzugt behandelt. Sie würde sich da keine Sorgen machen.
Bevorzugung kann Kindern schaden
Geschwisterstudie
Immer darf sie das! Das ist gemein! Ihr habt sie viel lieber als mich!“ Jeder, der Geschwister hat, kennt den Wettstreit um die Aufmerksamkeit, Zustimmung und Zuwendung der Eltern. Wer möchte nicht das Lieblingskind von Mama und Papa sein? Wie eine Ende ver-gangenen Jahres veröffentlichte Studie der amerikanischen Brigham Young University's School of Family Life jetzt herausgefunden hat, beschäftigen sich vor allem jüngere Geschwister häufig mit der Frage, wie ihre Position im Geschwister-Gefüge aussieht. Und wo sie bei ihren Eltern stehen. Und die Jüngsten könnten die Beziehung zu den Eltern auch am stärksten beeinflussen.
Wie jüngere Kinder selbst ihre Rolle bei den Eltern wahrnehmen würden, habe dabei auch Einfluss auf die tatsächliche Beziehung zu den Eltern. Das heißt: Wenn sich das Kind selbst als Lieblingskind empfindet und die Eltern das auch so sehen, dann stärkt das die Beziehung. Wenn das Kind sich aber nicht als das Lieblingskind empfindet und die Eltern das ähnlich bewerten, zeigt sich das auch negativ in der Beziehung. Bei den älteren Geschwistern dagegen spiele es für die Beziehung zu den Eltern keine Rolle, inwieweit sie sich als Lieblingskind sehen oder nicht.
Eine Erklärung dafür liefert die Studie auch: Zwar würden sich alle Geschwister untereinander vergleichen, sagt Studienleiter Alex Jensen, die älteren Kinder aber beschäftigten sich nicht ständig mit der eigenen Stellung im Geschwistergefüge. Sie müssten sich auch eher selten Sätze anhören wie: „Warum kannst du nicht sein wie deine jüngere Schwester?“ Jüngere würden dabei häufiger mit den Großen verglichen und orientieren sich auch mehr an diesen als umgekehrt. Das gelte natürlich auch für dritte, vierte oder fünfte Kinder.
Je mehr Eltern ihre Kinder liebten und sie unterstützen, desto weniger spiele so etwas wie Bevorzugung überhaupt eine Rolle. Der Drang der Eltern, alle Kinder genau gleich zu behandeln sei aber falsch, sagt Studienleiter Alex Jensen. „Sie müssen sie fair behandeln, aber nicht gleich. Unterschiedlich mit ihnen umzugehen ist in Ordnung, denn sie sind auch verschiedene Menschen und haben unterschiedliche Bedürfnisse.“
Für die Langzeitstudie wurden über 300 Familien mit jeweils zwei Kindern im Teenager-Alter untersucht – befragt wurden dabei sowohl Eltern als auch Kinder. (iwo)
Die Moderatorin der Talk-Show ist leicht geschockt und spricht das aus, was sich sicher viele in diesem Moment fragen: Was macht das mit den anderen Kindern: zu wissen, dass sie immer hinter der Schwester kommen? Auch im Netz sind viele entsetzt über die Aussagen der Mutter: „Mir tun ihre anderen Kinder leid! Sie werden immer das Gefühl haben, nicht gut genug zu sein, das ist so schrecklich und verkorkst!“, schreibt eine Twitter-Userin. „Meine ältere Schwester wurde auch immer bevorzugt und ich bin mit dem Wissen aufgewachsen, dass ich weniger geliebt werde als sie. Das beschäftigt mich bis heute“, erzählt ein anderer User.
Ihre Situation sei schon besonders, sagt Mutter Alisha Tierney-March. Aber sie glaube auch, dass viele Eltern – zumindest kurzzeitig – ein Kind bevorzugen. Und damit hat sie sogar Recht. Eine amerikanische Langzeitstudie hat ergeben, dass die meisten Eltern tatsächlich ein Lieblingskind haben. In der Befragung hatten 74 Prozent der Mütter und 70 Prozent der Väter angegeben, dass sie ein Kind bevorzugt behandeln.
„Dass Eltern sich einem Kind näher fühlen ist tatsächlich normal“, sagt auch der amerikanische Familienforscher Karl Andrew Pillemer der CNN. „Auf existenzielle Weise lieben wir unsere Kinder alle gleich, wir würden für jedes von ihnen unser Leben geben. Aber wir verstehen uns mit dem einen vielleicht einfach besser als mit dem anderen.“
Oft heißt es, dass sich Eltern vor allem dem Kind näher fühlen, das ihnen charakterlich am nächsten ist. Nicht selten wird auch die Geschwister-Rangfolge für solche Präferenzen verantwortlich gemacht. Manche sagen, dass Erstgeborene einen besonders hohen Stellenwert bei ihren Eltern haben. Andere sehen das Nesthäkchen als klassisches Lieblingskind.
Weitreichende psychologische Folgen
Am wichtigsten ist es, darüber sind sich die Experten einig, dass sich ein Kind nicht dauerhaft benachteiligt fühlt. Und Geschwister nicht ständig verglichen und komplett unterschiedlich behandelt werden. Problematisch werde es dann, so Pillemer, wenn Mutter und Vater dem einen Kind offensichtlich mehr Zuwendung, Zeit und Verständnis schenken würden. Und mit den anderen strenger wären. Dieses Ungleichgewicht belaste nicht nur die Stimmung in der Familie und schade sogar langfristig der Beziehung der Geschwister untereinander. Es könne sogar weitreichende psychologische Folgen für die Kinder haben. Mögliche Folgen seien ein geringes Selbstbewusstsein, Ängste und Depressionen – auch noch später im Leben.
Dass Brüder und Schwestern genau beobachten, wie die Eltern den jeweils anderen behandeln, ist erwiesen. Eine Studie fand heraus, dass die Angst, in der Gunst der Eltern zurückzubleiben, bei allen Geschwistern präsent ist. Besonders jüngere Geschwister, so eine andere Untersuchung, beschäftigten sich viel damit, wo sie im Geschwistergefüge stehen, weil sie oft mit den älteren verglichen werden.
Eltern tun gut daran, jedes Kind individuell zu betrachten, seine Stärken und Eigenschaften zu sehen, und Vergleiche zu den anderen Kindern zu vermeiden. Sie sollten immer fair bleiben, aber sie müssten nicht alle Kinder genau gleich behandeln, sagt Studienleiter Alex Jensen. „Schließlich sind sie auch verschiedene Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen.“