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Goethe, Kehlmann oder KerkelingTolle Hörbücher, die lange Autofahrten verkürzen

Lesezeit 6 Minuten

Lange Fahrten in den Urlaub, Stunden im Stau – Hörbücher sind perfekter Begleiter im Auto. Axel Hill gibt Tipps, wie man sich alleine oder mit der ganzen Familie die Zeit gut vertreiben kann.

Was für ein großer Spaß: Da grantelt Goethe beim Rom-Besuch über eine Messe, die der Papst mehr schlecht als recht zelebriert. Franz Grillparzer findet wenig freundliche Worte über die Ungarn. Und vor Heinrich Heines spitzer Feder finden die armen Polen nicht viel Gnade. Die Box „Europa-Reise“ (Audiobuch) versammelt neben den genannten eine Reihe weiterer Autoren des 18., 19. und frühen 20. Jahrhunderts, die ihre Erlebnisse von unterwegs niedergeschrieben haben.

Aber nicht alle sind so kritisch wie Goethe und Co.. So schwärmt Artur Fürst von der ersten Eisenbahn-Fahrt zwischen Manchester und Liverpool. Der legendäre Forscher Fridtjof Nansen entführt in die wilde, eisige Bergwelt Norwegens. Und Charles Dickens bereist Frankreich mit genau jenem Augenzwinkern, das man schon von seinen Pickwickern kennt.

Und manche verstehen es einfach, sich den Gegebenheiten vor Ort richtig gut anzupassen – wie etwa die Reiseschriftstellerin Ida Pfeiffer, die es 1845 nach Island trieb und sich bis zum Ende ihres Aufenthalts im höchsten Norden sogar an die eintönigen Fischgerichte gewöhnt hatte.

630 Minuten Hörbuch über ein „Rendezvous mit einem Oktopus“? Bei der amerikanischen Autorin und Naturforscherin Sy Montgomery wird daraus, auch Dank der Lesung von Sophie von Kessel (BonneVoice), ein Fest – wenn man sich darauf einlässt. Getrieben von einer fast kindlichen Neugierde macht sie im Bostoner Aquarium Bekanntschaft mit den dortigen achtarmigen Meeresbewohnern und ist fasziniert. Wie auch nicht: Sie darf mit ihnen in Körperkontakt treten, spürt hautnah, was es bedeutet, von ihnen „geschmeckt“ zu werden.

Sophie von Kessel berichtet vom „Rendezvous mit einem Oktopus“.

Dabei gibt sie jegliche kritische Distanz auf, driftet vielleicht auch manchmal ins Betuliche oder in die Vermenschlichung ab. Kurz: Wissenschaftliche Arbeit geht sicher anders. Aber so lauscht man gebannt, wie die Kraken ihre Besucher wiedererkennen – und nassspritzen, wenn ihnen etwas nicht in den Kram passt.

Fast gänzlich oberhalb des Wasserspiegels bleiben die Helden in Jerome K. Jeromes Klassiker „Drei Mann in einem Boot, ganz zu schweigen vom Hund!“ (Der Hörverlag), den Axel Milberg mit sehr viel Understatement eingelesen hat – inklusive solcher Sätze wie „Ich mag Arbeit sehr: Sie fasziniert mich. Ich kann stundenlang dabeisitzen und zuschauen.“ In dem Erfolgsbuch aus dem Jahr 1889 unternimmt ein Freundes-Trio eine Paddeltour auf der Themse, schwelgt in Erinnerungen an andere katastrophale Reisen und Erlebnisse – und fügt ihnen mit diesem Trip ein weiteres hinzu.

Perfekt als vierter Mann an Bord: Axel Milberg.

Das Zeug zu einem neuen deutschen Klassiker hat Daniel Kehlmanns „Tyll“, dem Ulrich Noethen in der ungekürzten Lesung seine Stimme leiht (Argon Edition). Und als Hörer braucht man für dieses Kaleidoskop des Krieges starke Nerven: Das Elend, die Brutalität, die Hoffnungslosigkeit des 30-jährigen Schlachtens will gar kein Ende nehmen, Lichtblicke sind rar. Wäre da nicht die rauschhafte Wortgewalt, mit der Kehlmann Helden und Leser gleichermaßen durch diesen Alptraum zwingt.

Opulentes Meisterwerk: „Tyll“ von Daniel Kehlmann.

Im letzten Jahr im Kino Kenneth Brannagh als Agatha Christies Hercule Poirot zu sehen, war durchaus gewöhnungsbedürftig. Ob man ihn nun vor Augen hat oder doch eher Albert Finney aus Sidney Lumets Verfilmung von 1974 – so oder so verblüfft die Arbeit seiner kleinen grauen Zellen immer wieder, wenn er in Sachen „Mord im Orient-Express“ (Der Hörverlag) ermittelt.

Das Weltraumfieber, das in den 50er Jahren grassiert, packt auch den Teenager Sonny: Er beschließt, Raketen zu bauen – zusammen mit seinen Freunden, die wie er im US-Städtchen Coalwood leben, dessen Existenz von der örtlichen Kohlenmine abhängt. In „Rocket Boys“ (Harper Collins/Lübbe Audio) erzählt der NASA-Ingenieur und Autor Homer Hickam von seiner eigenen Kindheit, Michael-Che Koch findet genau den richtigen Ton für jugendliches Aufbegehren, verwirrende Gefühle und die Menge an Enthusiasmus, wie sie nur 14-Jährige aufbringen können.

Teenager mit Träumen, denen Taten folgen: die Rocket Boys.

Aber 14-Jährigen sind aber auch wie kaum jemanden sonst die eigenen Familienmitglieder extrem peinlich. Mattys Clan ist „Die erstaunliches Familie Telemachus“ (Lübbe Audio, gelesen von David Nathan), denn einige von ihnen haben unterschiedlich stark ausgeprägte übersinnliche Fähigkeiten, dank derer sie sogar einmal fast berühmt wurden. Wäre da nicht dieser eine Fernsehauftritt gewesen, bei dem alles schief lief... Eine wirklich witzige Geschichte, deren komischer Höhepunkt darauf basiert, dass Mattys autistischer Onkel eine Kettenreaktion voraussehen und gleichzeitig in Gang setzen kann.

Für „Die fünf Gaben“ (Silberfisch, gelesen von Anita Hopft) ist der Auftakt der Reihe „Valenias Töchter“, für den sich Rebecca Ross großzügig und routiniert bei Kollegen wie Philip Pullman oder Kai Meyer bedient. Dennoch schafft sie es, dem Genre All-Age-Fantasy ein paar neue Aspekte abzuringen: Die Halbwaise Brienna besucht eine Schule, in der fünf Fächer gelehrt werden – wobei sie sich scheinbar für kein einziges eignet. Das Blatt wendet sich, als man ihr zutraut, der rechtmäßigen Königin wieder auf ihren Thron zu helfen.

Neue Fantasy-Saga: „Die fünf Gaben“.

Und auch für Apollo sieht es nicht gut aus: Sein Vater Zeus hat ihn nach einem Streit seiner göttlichen Eigenschaften beraubt – und auf die Erde verbannt: Im Körper eines dicklichen Teenagers soll er das Orakel von Delphi retten. Ihm zur Seite stehen Meg, die sich als Tochter der Göttin Demeter entpuppt, und Percy Jackson, der Held aus einer der anderen Reihen von US-Autor Rick Riordan. In „Die Abenteuer des Apollo – Das verborgene Orakel“ (Silberfisch, gelesen von Jona Mues) kombiniert er erneut auf amüsante Weise römische und griechische Mythen mit der Gegenwart.

Ins mittelalterliche London geht es erneut in der zweiten Folge des „Blackthorn-Code“ (DAV, gelesen von Oliver Rohrbeck): „Die schwarze Gefahr“ ist die Pest, gegen die der Apothekenlehrling Christopher gerne etwas unternehmen würde. Doch sein Meister hat ihm zwar bei dessen Tod den Betrieb vererbt, doch ohne abgeschlossene Ausbildung darf er das Geschäft nicht betreiben – zumindest nicht offiziell...

Recycling betreiben sowohl Hape Kerkeling als auch Harald Schmidt auf ihren neuesten Hörbuch-Veröffentlichungen. „Frisch hapeziert“ (Osterworld) versammelt die Kolumnen, die Kerkeling ein Jahr lang für die Gala geschrieben und nun selber eingelesen hat . Und man erfreut sich am munteren Plauderton des TV-Abstinenzlers und seinen leicht bissigen, niemals wirklich bösartigen Bemerkungen.

Cleverer Zweitverwerter: Hape Kerkeling.

Wermutstropfen ist allerdings, dass Versatzstücke wie „meine zweitbeste Freundin Gudrun“ und ihre wechselnden Alkoholika im wöchentlichen Abstand der Zeitschriftenausgabe Charme haben, auf CD am Stück aber doch leicht nerven.

Mit „On Air“ (Audiobuch) hat man tief in die Radiokiste gegriffen und präsentiert vor allem Live-Auftritte von Harald Schmidt aus den 80er und 90er Jahren. Und so erlebt man einen Kabarettisten und ein Lästermaul in Höchstform. Da würde man sich mehr als nur 77 Minuten wünschen!