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Frust statt LustBeziehungsprobleme nach der Geburt eines Kindes

Lesezeit 4 Minuten

Das Kind ist oft der Mittelpunkt der Familie: Aber spätestens nach zwei Jahren sollten Paare wieder den Fokus auf ihre Beziehung richten. Sonst entsteht oft Frust.

Köln – „Wir bleiben ein Liebespaar, auch wenn wir ein Kind haben“, das nehmen sich viel paare vor, wenn sie Eltern werden. Leider klappt das in vielen Fällen nicht. Nach der Geburt läuft im Bett zunächst gar nichts mehr. Der Körper ist verändert, das Leben auf den Kopf gestellt. „Irgendwann gibt sich das wieder“, denken sich beide. Und ja, vielleicht wird der Sex nach ein paar Monaten auch wieder häufiger. Dennoch hat sich das Leben um 180 Grad gedreht.

Wie fremdbestimmt man ist und verantwortlich für das Wohlergehen eines kleinen Menschen, kann man sich vor der Geburt nicht vorstellen. Gleichzeitig auch nicht, wie erfüllend es ist, Mutter oder Vater zu sein. Wie schön es sich anfühlt, plötzlich wichtig für einen anderen Menschen zu sein.

Qualitätszeit zu zweit kommt oft zu kurz

Diese Gefühle sind manchmal so groß, dass nicht genügend Platz für den Partner zu bleiben scheint. Nicht wenige Männer und Frauen verlieren sich aus dem Blick in den ersten Jahren nach ihrer Familiengründung. Die sogenannte Rush-Hour des Lebens, gilt als eine der größten Herausforderungen für alle Paare. Elternsprechtage im Kindergarten, wichtige Meetings im Job, am Wochenende der 65. Geburtstag der Schwiegermutter, der Kindergeburtstag muss geplant werden und der Kühlschrank ist auch schon wieder leer. Es passiert so viel in diesen Jahren, wenn die Kinder klein sind.

Für viele Mütter und Väter fühlt es sich an manchen Tagen an, als arbeiteten sie nur noch eine To-Do-Liste ab, als funktionieren sie nur noch mechanisch. Hauptsache, die Kinder werden pünktlich abgeholt, der Haushalt läuft einigermaßen, und im Job geht alles glatt. Was dabei hinten runter fällt, ist die Qualitätszeit zu zweit. Der liebevolle Blick auf den Partner. Der Kuss zum Abschied am Morgen.

Eltern sollten zuerst an sich denken

Und die Gespräche. Das Verständnis. Der Sex. Wer nicht aufpasst und gegensteuert, gerät irgendwann in die Abwärtsspirale. „Das Beste, was Mütter und Väter für ihre Kinder tun können, ist, gut auf ihre Beziehung als Paar aufzupassen“, schreibt Jesper Juul, renommierter Erziehungsprofi in seinem aktuellen Buch „Liebende bleiben“. Seine These klingt einfach: „Manchmal ist es wichtig, dass Eltern zuerst an sich denken, statt immer nur das Beste für die Kinder zu wollen. Und fast immer profitiert schließlich die ganze Familie davon.“

Wie das ganz konkret gehen kann, mit dem „Zuerst-an-sich-denken“, hat Susanne Wendel in ihrem Ratgeber „Gesundgevögelt in 12 Wochen. Praxisbuch für Paare und alle, die es wieder werden wollen“ beschrieben. Sehr offen und persönlich berichtet die Gesundheits- und Sex-Expertin aus ihrem stressigen Alltag mit zwei kleinen Kindern – und legt den Lesern ein individuelles 12-Wochen-Programm für mehr Sex ans Herz. Die Kernaussagen: Nehmt eure Sexualität wichtig. Plant euch Zeit dafür ein, auch wenn es gerade stressig ist. Und: Findet heraus, was ihr wirklich wollt, legt ein Sex-Profil über euch selbst an.

Lustkiller-Hormone und dauernde Müdigkeit

Die Autorin räumt ein: „Wenn man kleine Kinder hat, schlägt man sich nicht mehr die Nächte mit Sexpartys um die Ohren. Das Leben hat mir das volle Programm geschenkt, von Lustkiller-Hormonen über die ewige Müdigkeit junger Eltern bis hin zum völligen Verlust jeglichen Interesses an sexuellen Aktivitäten.“ Ihr Rat für Paare: Nicht mehr auf spontanen Sex warten, sondern sich für Sex entscheiden und die Lust dazu einladen. „Der Sex muss neu inszeniert werden.“ Er muss geplant werden. Zur Not mit festen Terminen im Kalender.

Dass momentan so viele Sachbücher das Thema aufgreifen, ist kein Zufall. Nur noch 40 Prozent aller Ehen halten heute 16 Jahre oder länger. Weil beide sich auseinander gelebt haben. Einer fremdgegangen ist. Oder beide immer nur die Kinder an erste Stelle gesetzt haben. Beziehungsexperten raten aber genau dazu: Der Partner müsse an erster Stelle stehen, dann gehe es auch den Kindern gut.

Verbindung entsteht am besten über gute Gespräche. Dafür müssen sich gerade Paare mit Kindern Zeit nehmen. Und dann kann es auch mit dem Sex wieder klappen. Die Journalistin und Feministin Meredith Haaf plädiert für „Sex als Instandhaltungsmaßnahme“. Damit meint sie das Miteinanderschlafen zum Zweck der Herstellung und Aufrechterhaltung körperlicher Nähe. Sie nennt es „Obwohl-Sex“. „Obwohl ich müde bin, obwohl ich so viel zu tun habe, obwohl wir jetzt genauso gut einfach noch eine vierte Folge House of Cards gucken könnten: Lass uns ein bisschen zusammen sein.“ Das sei die Art von Sex, die einen vielleicht nicht immer aus der Haut fahren lässt, aber auf jeden Fall dafür sorgt, dass man dem anderen wieder nah ist.

Auch bei Familienberater Sascha Schmidt geht es um Sex, aber nicht nur. Sein Buch „Wieder Paar sein!“ zielt auch auf Momente, die wohl jedes Paar kennt, das Kinder hat. Streit um Haushalt, ums Geld, die ewige Frage: Wer macht was? Jedes Paar muss eigene Lösungen finden. Jesper Juul bringt es auf den Punkt: „Eine lebendige Familie kann ohne Konflikte nicht wachsen. Wir müssen uns an Situationen reiben, um zu spüren, dass sie uns nicht gut tun.“ Denn erst dann können wir etwas an ihnen verändern.