FlusskrebseWarum dieses Tier den schlechten Ruf der Bestseller-Liste rettet
Mit der Bestseller-Liste ist das ja so eine Sache. Viele Bücher, denen man allen Erfolg der Welt wünschen würde, werden sich niemals auf ihr finden. Vieles, was dort auftaucht, ist hingegen eine große Enttäuschung. Da wundert es nicht, dass Mariana Leky einst gefragt wurde, ob sie es bedauere, dass ihr Erfolgsroman „Was man von hier aus sehen kann“ lange einen Stammplatz auf der Liste inne hatte. So nach dem Motto: Das kann ja nur Schund sein, wenn es sich so gut verkauft. Der schlechte Ruf des Erfolgs. Dass sich ein regelmäßiger Blick auf die Bestseller-Liste dennoch lohnt, beweist „Der Gesang der Flusskrebse“ (deutsch von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann, hanserblau, 464 Seiten, 22 Euro). Dieser Überraschungserfolg des erst im Frühjahr 2019 an den Start gegangenen Hanser-Verlagsteils hanserblau ist seit geraumer Zeit Dauergast auf den Spitzenpositionen, zurzeit steht der Roman auf dem dritten Platz.
Einen großen Anteil am großen Zuspruch hatte sicherlich auch, dass die Unabhängigen Buchhändler es im Oktober zu ihrem Buch des Jahres kürten. Und das völlig zu Recht. Das Debüt der 70 Jahre alten Zoologin Delia Owens ist ein Juwel. Ihr gelingt eine faszinierende Mischung aus Coming-of-Age-Geschichte, Liebesroman, Krimi und präziser Naturschilderung. Sie erzählt die Geschichte von Kya, die im Marschland der Küste von North Carolina in einer baufälligen Hütte lebt. Ihre Mutter verlässt ihren alkoholabhängigen, prügelnden Ehemann – und ihre fünf Kinder. Nach und nach machen sich auch diese aus dem Staub. Zurück bleibt die Jüngste. Die zu Beginn sechs Jahre alte Kya muss es erst mit ihrem Vater aushalten und als der eines Tages nicht mehr zurückkehrt, ist sie ganz auf sich gestellt. Sie lebt in und mit der Natur, kennt die Küste und die dort lebenden Tiere besser als jeder andere. Zur Schule geht sie nicht, Menschen machen ihr Angst. Zögernd nähert sie sich dem jungen Tate an, der ihr Lesen und Rechnen beibringt. Allein schon, um diese wunderbare Heldin kennenzulernen, lohnt die Lektüre. Owens verwebt Kyas Geschichte jedoch zusätzlich mit einem Kriminalfall. Chase Andrews wird tot aufgefunden und schnell verbreiten sich Gerüchte, denn Kya kannte ihn gut.
Delia Owens hat einen Roman geschrieben, der durch seinen ruhigen Erzählfluss, seinen poetischen Ton, die atemberaubenden Naturschilderungen und eine grandiose Protagonistin überzeugt – und lange nachwirkt. Sollte Sie der Bestseller-Aufkleber auf dem Cover sonst abschrecken, für diesen Roman sollten Sie eine Ausnahme machen. Sie werden es nicht bereuen.