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FernseherfolgWas ist das Geheimnis der Serie Mad Men?

Lesezeit 6 Minuten

Die Hauptdarsteller: Don Draper (Jon Hamm, vorne Mitte) mit seiner Ex-Frau Betty (January Jones, vorne rechts).

Frau Sannwald, drei Golden Globes, vier Emmys - "Mad Men" ist bei Publikum und Kritikern seit sieben Jahren gleichermaßen beliebt. Woran liegt das?

Zum einen an der attraktiven Oberfläche. In der Serie gibt es großartige Sets, wunderbare Kostüme, tolle Schauspieler, die man vorher übrigens noch kaum gesehen hat. Und dann ist es natürlich eine gute Geschichte rund um die Werbebranche. Endlich mal eine Serie ohne Gewalt, Mord und Totschlag.

Und das Leben in den 60ern scheint auch zu faszinieren.

Für mich ist die Serie wie eine Erinnerungshilfe an die Jahre meiner Kindheit. Analysen haben gezeigt, dass eine der beiden Zuschauergruppen, die "Mad Men" vorrangig schauen, die Babyboomer sind, also in Deutschland die zwischen 1955 und 1969 Geborenen. Sie denken dabei daran zurück, wie sie aufgewachsen sind.

In den 60ern waren die Rollenbilder zementiert. Der Mann geht arbeiten und kommt abends in Anzug, Hut und Mantel nach Hause, die Frau kümmert sich um Haushalt und Kinder. War die Welt in den 60ern einfacher?

Das weiß ich nicht, aber es sieht zumindest so aus. Jeder wusste, wo sein Platz ist und hat das auch nicht angezweifelt. Es war die Welt der weißen, heterosexuellen Männer, und so lange man sich regelkonform verhalten hat, war es in Ordnung. Schwarze und Schwule etwa kamen in der öffentlichen Wahrnehmung der Mehrheitsgesellschaft einfach nicht vor. Und es gab weniger Optionen. Erst seit den 80er Jahren gibt es viel mehr Möglichkeiten für individuelle Lebensentwürfe. Das muss allerdings nicht zwingend besser sein, zu viele Optionen schaffen neue Probleme. Zu große Auswahl ist bedrückend, nicht befreiend.

Wer ist die andere Gruppe der "Mad-Men"-Fans?

Eine Generation später, etwa 15 bis 20 Jahre jünger als die Babyboomer. Sie finden die Retro-Atmosphäre lustig und cool. Sie empfinden die Zeit, in der "Mad Men" spielt, als fremd und gruselig. Sie genießen es wohlig, dass sie sich von der damaligen Zeit gut abgrenzen können, etwa davon, wie schlecht Frauen behandelt wurden, jedenfalls verglichen mit heute.

"Hinter jeder erfolgreichen Frau steht ein Mann, der ihr auf den Arsch glotzt" - mit diesem Spruch wurde 2010 zum Serienstart im deutschen Free-TV geworben. Warum ist Sexismus so ein existenzielles Thema in der Serie?

Nun, diese Art von Sexismus kann man heute gelassen von außen betrachten, weil es einfach nicht mehr so ist. Zumindest nicht an der Oberfläche. Aber es ist noch gar nicht so furchtbar lange her, dass das anders war.

Ich erinnere mich noch gut an offenen Sexismus in den 80er Jahren. Während meines Studiums arbeitete ich in einem Büro und Pin-ups an den Wänden und ein Pornoheft auf dem Schreibtisch des Chefs waren Realität. Damals redeten die Männer auch offen darüber, wie sie die Frauen im Büro finden. Und heute erleben wir zumindest in der Werbung einen Rückfall in den Sexismus. Nackte Körper werden ausgestellt, allerdings auch männliche, um Produkte zu bewerben, die absolut nichts mit Körperlichkeit zu tun haben.

Wenn man in einer Runde über "Mad Men" spricht, fällt meist als erstes: Die Darsteller rauchen und trinken andauernd im Büro. Was stößt uns daran ab und beeindruckt uns gleichzeitig?

In der Serie wird eigentlich ständig hemmungsloser Exzess zelebriert. Heute darf man ja alles nur noch mäßig tun. Man soll beispielsweise Sport treiben, seinen Körper gut behandeln, ständig informiert sein, Minderheiten inkludieren und keine Witze auf Kosten welcher sozialen Gruppe auch immer machen. Ich glaube, es gibt eine gewisse Sehnsucht nach Exzess und politischer Unkorrektheit. In den 60ern galt es als normal, Alkohol, Medikamente und Drogen zu konsumieren. Man lebte in einer sorglosen Zeit der Unschuld, die Auswirkungen waren noch kaum bekannt.

Dennoch trinken die Mad Men Alkohol meist mit einer zwanghaft freudlosen Attitüde. Warum?

Die Figuren sind gefangen in ihren Zwängen. Selbst ihr Exzess ist normiert und kontrolliert. Das Trinken und Rauchen ist kein wirklicher Exzess, sondern eher ein neues Gefängnis. In Staffel sechs trinkt Hauptdarsteller Don Draper seinen Wodka bereits zum Frühstück, klar dass das nicht gut geht. Und auch die Geschäftsessen und Bordellbesuche sind eher Pflichtveranstaltungen als Vergnügungstermine.

Die Tristesse wird in der Serie vor allem an der schönen Betty Draper deutlich, die als Hausfrau einsam und depressiv ist. Warum ist sie trotzdem der heimliche Star der Serie, wie Sie schreiben?

Betty ist eine höchst ambivalente Figur. Sie ist traumschön und wunderbar charmant, hat aber eine depressive Seite an sich und kann unglaublich eklig sein, eine Hexe fast. An ihr offenbart sich das Dilemma des Hausfrauenseins. Sie weiß selbst gar nicht, woran sie genau leidet, denn bei ihrem zweiten Mann wird es auch nicht besser. Dass sie nicht genug Anerkennung bekommt und völlig unterfordert ist, scheint sie nicht wirklich zu realisieren. Sie ist eine beliebte Figur, weil sie in ihren Schachzügen oft völlig überraschend reagiert. Wer hätte etwa gedacht, dass sie nach der Trennung nochmal eine Nacht mit Ihrem Ex Don Draper verbringt?

Sie selbst müssen großer "Mad Men" Fan sein. Oder aus welchem Grund haben Sie ein Buch über die Serie geschrieben?

Ja, ich bin großer Fan. Es kam zu dem Buch, weil ich bei der Rezeption der Serie tief in den 1960ern versunken bin. Ich habe mich dabei an vieles erinnert, vor allem daran, wie wir von der Industrie zu Konsumenten erzogen wurden. Damals fing das an mit Spielzeug in bestimmten Cornflakes-Packungen, und bis heute esse ich keine anderen (lacht).

Die Szenen und Bilder sind sehrt ästhetisch. Alles wirkt durchgestylt wie aus dem Katalog.

Ja, das ist großartig, und das ist auch das Tolle an amerikanischen Produktionen, das können sie bei uns nicht. Das ganze Interieur ist sehr edel, die Serie spielt in einem Milieu, in dem sehr viel Geld verdient wird. Auffällig ist, dass es keine sichtbare Armut gibt. Bedienstete, wie Hausmädchen Carla, sieht man etwa nie in ihrem eigenen Zuhause.

Sie schreiben, die niedrigen Decken in den Büros der Mad Men symbolisieren den Druck, der auf den Serienpersonen lastet.

Das ist ein ästhetisches Mittel. In Spielfilmen sieht man die Zimmerdecke ja meist nicht. Der Druck des kapitalistischen Wettbewerbs lastet den Figuren im Genick und auf den Köpfen, sie scheinen die Decken mit ihren Schultern zu tragen.

Vom Spitztüten-BH bis zur Wohnungseinrichtung - alles ist originalgetreu der damaligen Zeit nachempfunden. Ist das das Erfolgsgeheimnis der Serie?

Nicht umsonst haben viele Modelabels wie Gap oder Banana Republic eine Mad Men-Kollektion herausgebracht. Es gab in den 60ern tolle farbige Designs, kantige Formen, klare Linien. Alles war modern und leicht im Gegensatz zu den 50ern. Die Kleidung von damals würde ich auch heute gerne öfter an den Leuten sehen, statt immer nur Jogginghosen und Sneakers.

In einer Welt voller Jeans und T-Shirts sehnen wir uns also insgeheim nach klaren Kleidungsregeln zurück, nach Dinnerjacket und Kostüm?

Es gibt eine Sehnsucht nach Form. Das sieht man an den durchgestylten Abifeiern und Hochzeiten, an einer Kultur des ritualisierten Feierns überhaupt, Geburtstage, Babypartys, selbst Verlobungen werden zu Riesenevents aufgeblasen. Auch Tanz- und Benimmkurse stehen hoch im Kurs.

Woran liegt das?

Formen helfen in Situationen, in denen man sonst hilflos ist. Etwa bei einem Trauerereignis. Die Kondolenzkarte und die schwarze Kleidung sind nicht nur Korsett, sondern auch Gerüst.

Daniela Sannwald: Lost in the Sixties. Fischer Verlag, 8,90 Euro.