Ziele fürs Neun-Euro-TicketEin Ausflug ins Bochumer „Königreich Stiepel“
- Ferien mit dem Neun-Euro-Ticket: Ziele, die Sie vom Rheinland aus in einer Tagestour erreichen können – heute das Ruhrtal bei Bochum-Stiepel.
Die Ruhr nimmt sich den Platz, den sie braucht. Ein paar Buhnen und eine 250 Jahre alte Schleuse zeugen vom Versuch, den Fluss zu zähmen. Auf dem linken Ufer Wiesen, Auenwälder – wildes, nicht zu betretendes Gelände. Dann wieder ein Altwasserarm. Am rechten Ufer ein Treidelpfad.
Vom ehemaligen Fährhaus aus überquerte der „Eiserne Gustav“ Diergardt noch bis 1960 per Seilfähre die Ruhr. Nur die einst für die Passagiere eingerichtete Gaststätte ist geblieben. Von hier führt ein steiler Weg ins Dorf, links stehen Kopfweiden. In der Ferne, auf dem Bergrücken jenseits des Flusses, der vierkantige Turm der Burg Blankenstein. Dann eine scharfe Rechtskurve, und wir stehen vor der Stiepeler Dorfkirche, über 1000 Jahre alt, nadelspitze Turmhaube. Durch einen spätromanischen Torbogen betreten wir den Kirchhof. Jahrhundertealte Grabsteine zeigen die Namen von Bauernfamilien wie Hautkapp, Brinckmann, Surmann, Tappe.
Wo die Geschichte des Ruhrbergbaus begann
Das also ist das Ruhrgebiet. Wirklich. Hier, im dörflichen Süden, hat alles angefangen. Nach dem wilden Fluss hat das ganze Rheinisch-Westfälische Industriegebiet seinen Namen. Heute bildet die Ruhr hier die Stadtgrenze zwischen Bochum und Hattingen sowie Witten. Stiepel ist mittlerweile der größte Bochumer Stadtteil. Die Ruhr, die im 19. Jahrhundert so viele Kohlenkähne trug, wird östlich von Mülheim längst nicht mehr von Schiffen befahren, auch die Bahnstrecke durchs Tal hat nur noch Museumsbetrieb. Unten am Ufer sehen wir Reste der früheren Bergbautätigkeit. Mehr wie in einem Spielzeugdorf muten Betriebsgebäude und Stollenmund der Kohlenzeche „Vereinigte Pfingstblume“ an, gegründet 1834, benannt nach einem Ginsterstrauch. Die Ruhr hat sich ja tief in den Sandstein eingeschnitten, das ersparte den Bau eines senkrechten Schachts, man konnte den Stollen dieser frühen Bergwerke einfach von der Talsohle aus in den Felsen treiben.
Der Stiepeler Bergbau begann im 18. Jahrhundert und endete in den 1960er-Jahren. Auf dem neuen Evangelischen Friedhof unterhalb der Dorfkirche erinnert eine Tafel an die „letzte Grubenfahrt“, das schwerste Unglück in der Geschichte des Stiepeler Bergbaus: In der Zeche „Carl Friedrich Erbstollen“, hoch auf einem Bergrücken im Norden des Dorfes gelegen, riss ein Förderseil im Hauptschacht, der Korb fiel 400 Meter tief, 41 Bergleute starben.
Das ist eine mittlerweile sehr ferne Vergangenheit. Geblieben sind Äcker und Wiesen – von denen gefühlt jedes Jahr eine mit neuen würfelförmigen Einfamilienhäusern zugepflastert wird –, geblieben sind die alten Höfe, teils im Dorfkern, teils abseits in Seitentälern, geblieben ist das Kirchweihfest – die „Fliegenkirmes“ (mit Kleintiermarkt!), dieses Jahr vom 23. bis zum 26. September –, und geblieben ist eben die Dorfkirche selbst. Wer sie betritt, kommt nicht aus dem Staunen heraus: Über und über ist ein großer Teil der Wände von Fresken bedeckt. Biblische Szenen wie die Flucht aus Ägypten, aber auch florale Motive und Illusionsmalerei mit fingierten Teppichen und Säulen. Ein richtig schlüssiges Bildprogramm ergibt sich nicht, zumal die Fresken aus verschiedenen Jahrhunderten – dem 11. und dem 15. – stammen.
Fünf weitere Tipps
1. Eisenbahnmuseum: Im alten Betriebswerk Bochum-Dahlhausen ist Bahntechnik von Dampfloks bis zum Transrapid zu sehen (Montags geschlossen). An Sonntagen gibt es von hier Museumsfahrten durchs Ruhrtal.
2. Bergbaumuseum: Der Förderturm ist das Wahrzeichen der Bochumer Innenstadt, stammt aber aus Dortmund. Das Museum war selbst nie ein Bergwerk, zeigt aber (samt nachgebautem Untertagebereich) Geschichte und Technik des Ruhrbergbaus (Montags geschlossen).
3. Planetarium: Ebenfalls in der Bochumer Innenstadt steht das Zeiss-Planetarium, gegründet auf Initiative des als TV-Astronom bekannten Heinz Kaminski. Tägliche Astronomieshows.
4. Hattingen: Die Altstadt von Hattingen an der Ruhr mit 150 historischen Fachwerkhäusern ist von Stiepel aus per Bus zu erreichen. Altstadtfest vom 19. bis zum 21. August.
5. Henrichshütte: Industriemuseum in einem ehemaligen Stahlwerk mit dem ältesten erhaltenen Hochofen an der Ruhr. Von Stiepel bei einem Spaziergang ruhrabwärts zu erreichen (Montags geschlossen).
Es bleibt der Eindruck frommer Opulenz. Konnten sich ein paar Bauern so etwas leisten? Und dazu noch das verspielte spätgotische Sakramentshäuschen, dessen höchstes Türmchen so raffiniert aus der Mittelachse herausgerückt ist, ums ins Chorgewölbe zu passen?
Die Stiepeler erzählen oft von ihrer Gräfin Imma (also der heiligen Emma von Lesum), die die Kirche 1008 gestiftet haben soll. Ein angeblicher Stiftungsbrief des heiligen Erzbischofs Heribert von Köln hat sich aber als Fälschung erwiesen. Doch zeigen Grabsteine im Torbogen zum Kirchhof: Stiepel war jahrhundertelang Adelssitz. Imma hatte das Dorf „nah am Rhein“ schnöderweise dem Hochstift Bremen vererbt, später war es lippisches Lehen. Eine Exklave in der Grafschaft Mark, etwas Besonderes. Als Napoleon das „Königreich Westphalen“ (mit ph!) gründete, sollen Dorfbewohner ein Schild „Königreich Stiepel“ aufgestellt haben. Davon redet man bis heute, es gibt sogar entsprechende Autoaufkleber.
Lehensnehmer, Kirchenpatrone und Herren der nahen Wasserburg Haus Kemnade waren Angehörige der Familien von Dücker, von der Recke und später von Syberg. Erst um die Wende zum 17. Jahrhundert setzte Wennemar V. von der Recke die Reformation durch. Die Fresken wurden später übertüncht, blieben aber weitgehend erhalten – wie eben auch erstaunlicherweise das Sakramentshäuschen.
Verloren hat die Kirche ihr zentrales Heiligtum: das spätgotische Gnadenbild der Schmerzhaften Muttergottes. Bis 1820 duldeten die Stiepeler Lutheraner es in ihrer Kirche, dann kam es in private Hände – und kehrte 100 Jahre später auf verschlungenen Wegen nach Stiepel zurück. Im Westen, im Ortsteil Haar, steht eine neugotische Wallfahrtskirche, von Zisterziensern betreut – samt Gnadenbild und einem Gräfin-Imma-Fenster. Eine von vielen Stiepeler Wanderrouten führt hin: die Ruhr abwärts, rechts halten, unter der Koster Brücke durch und dann den Berg hoch.
Als ein Zechenname zum Schreckenswort wurde
Wer dagegen flussaufwärts wandert, kommt bald an ein Stauwehr, dahinter beginnt der Kemnader See. Am linken Ufer das nächste Bergbaurelikt: Das alte Hauptgebäude der Zeche „Vereinigte Gibraltar Erbstollen“, heute als Bootshaus genutzt. Die Wurzeln des Zechenbetriebs reichen bis 1796 zurück. Um 1920 endete der Kohleabbau, die weitere Geschichte ist düster: Von 1933 an wurde das Gebäude als SA-Kaserne genutzt, NS-Gegner wurden hier festgehalten und gefoltert. „Gibraltar“ war ein Schreckenswort, heute markiert der alte Zechenname ein Ausflugsziel. Nahebei der Biergarten der Familie Behrenbeck. Durch ein Seitentälchen gelangt man ins „Mailand“ und kann zurück nach Stiepel wandern. Am Ostende des Sees dagegen, schon auf Wittener Stadtgebiet, verspricht das quietschbunte Freizeitbad Heveney Spaß für Kinder. Vom Wehr bis zum Freibad gibt es auch Touren mit einem kleinen Ausflugsschiff.
Oder wir überqueren die Ruhr auf der Kemnader Brücke. Am Südende steht, schon auf Hattinger Gebiet, aber im Eigentum der Stadt Bochum, das Haus Kemnade, in seiner heutigen Gestalt weitgehend ein Renaissancebau. Einige Räume können Sie (als Standort mehrerer kleiner Museen) betreten. Die Hauptattraktion, den Rittersaal mit den Ahnenwappen Wennemars V. am Kamin und den Don-Quijote-Teppichen, können Sie nicht besichtigen, aber Sie können ihn für Feiern mieten. Das Burgrestaurant ist die gute Stube der Stiepeler und wird auch dringend gebraucht, da im Dorfkern auch das letzte Wirtshaus vor einem guten Jahr geschlossen hat.
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Ein paar Schritte von Haus Kemnade entfernt halten an Sonntagen die Museumszüge der Ruhrtalbahn ins Eisenbahnmuseum Bochum-Dahlhausen und nach Wengern. Die (wenigstens diskret grün gestrichenen) Hallen eines Schrotthändlers dahinter blenden wir lieber aus, überqueren die Kreuzung „Am Steinenhaus“, halten uns rechts und ersteigen den Katzenstein – auf dem Gipfel das nächste Ausflugsrestaurant.
Ein Höhenweg führt weiter zur Burg Blankenstein, wieder mit Einkehrmöglichkeit – und einem weiten Blick übers Ruhrtal. Gleich vor uns liegen die Ruhr und die Dorfkirche. Dazu der Kemnader See und Haus Kemnade, das immer prächtiger ins Licht rückt, je weiter der Nachmittag voranschreitet. Bestellen Sie noch ein Glas Wein und bleiben Sie bis zum Sonnenuntergang. Der Bus bringt Sie zurück. Sie sind ja mit dem Neun-Euro-Ticket unterwegs.
Anreise: Von Düren und Köln fährt der RE1 (RRX) nach Bochum. Vom Hauptbahnhof aus mit Bus 350 (hält am Dorfrand, weiter nach Haus Kemnade, Blankenstein und Hattingen) oder 370 (fährt ins Dorfzentrum) nach Stiepel. Wer zum Eisenbahnmuseum Dahlhausen (Sonntags Anschluss an die Museumszüge) fahren möchte, steigt in Essen in die S3 Richtung Hattingen um.