400 Jahre nach seinem TodEine Spurensuche in Shakespeares Geburtsort

Das Geburtshaus von William Shakespeare in Stratford-upon-Avon
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London – Die Geschichte beginnt im Herzen Englands. In der pittoresken Innenstadt von Stratford-upon-Avon legen Touristen eine Pause ein ob ihres langen Sehenswürdigkeiten-Programms. "Gibt es hier einen Platz, der nichts mit diesem Mann zu tun hat?", fragt eine amerikanische Schülerin stöhnend. Die Geschichte ist jene von William Shakespeare. Und sie nahm nur ein vorläufiges Ende, als der berühmte Schriftsteller am 23. April 1616 verstarb. Oder um dieses Datum herum, keiner weiß das so genau. Selbst um die Frage, ob er mit Kopf oder kopflos unter dem Grab in der Dreifaltigkeitskirche liegt, kreisen die Legenden. Der Leichnam des Dichters und Dramatikers befindet sich im Chorraum, direkt vor dem Altar - ein Privileg, das ihm nur zuteil wurde, weil er das nötige Geld hatte sowie als Laienpfarrer tätig war. "Es ist einfach und bescheiden, einfach wundervoll", sagt Lindy Draper, die als Ehrenamtliche in der kleinen Kirche arbeitet.
Der ganze Ort ein einziges Museum
Zu seinem 400. Todestag - am 23. April nach dem damals in England noch geltenden julianischen Kalender, am 3. Mai nach dem modernen gregorianischen Kalender - hat sich sein Heimatstädtchen herausgeputzt. Der ganze Ort ein einziges Museum. Ein einziges Souvenir-Kaufhaus. Postkarten, Becher, Anhänger, Tee und Keksdosen - das Konterfei von Shakespeare verfolgt einen bis auf die Toiletten. Millionen von Besucher aus der ganzen Welt werden dieses Jahr erwartet - noch mehr als üblich und schon sonst sind es viele. Doch der Mann mit dem Lippenbärtchen und der Halbglatze ist ein Dauerbrenner der Geschichte. Hamlet. Othello. Romeo und Julia. Shylock. Richard III. Heinrich IV. König Lear. Falstaff. Macbeth - die Figuren des Engländers werden bis heute auf den Bühnen dieser Welt gefeiert. Eine Million Wörter an dramatischem und lyrischem Text sind von Shakespeare überliefert, mehr als 1700 neue Wörter und Phrasen in der englischen Sprache gehen auf ihn als Schöpfer zurück, viele davon noch immer in Gebrauch.
„Nach Gott hat er am meisten geschaffen“
"Nach Gott hat Shakespeare am meisten geschaffen", sagte einst der im 19. Jahrhundert wirkende Schriftsteller Alexandre Dumas. Tatsächlich werden ihm je nach Zählweise 37 oder 38 Stücke, 154 Sonette und fünf weitere Gedichte zugeschrieben, auch wenn die Diskussion um seine Urheberschaft nie komplett verstummt ist. Denn: Lediglich 14 mutmaßlich in seiner Handschrift geschriebene Wörter wurden je gefunden, kein von ihm verfasstes Manuskript hat überlebt.

In Shakespeare's Globe in London erlebt man die Theaterstücke hautnah.
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Am Erbe des berühmten Sohnes verdient der Ort vorzüglich, doch wer will es Stratford verübeln? Spötter frotzeln, der Dramatiker werde bis zur letzten Eventualität gemolken. Denn auch wenn über keinen anderen Schriftsteller mehr geschrieben wurde, bleibt sein Leben ein großes Rätsel. Die belegten Fakten sind schnell auserzählt, die Anekdoten strotzen vielmehr vor wahrscheinlich, vielleicht, vermutlich, möglicherweise.
Da ist das Haus in der Henley Street, in dem William Shakespeare - angeblich am 23. April 1564 - das Licht der Welt erblickt hat (im Kirchenbuch belegt ist aber nur das Taufdatum: 26. April) und das für seine Anhänger der allerheiligste aller Pilgerorte darstellt. Dass er überhaupt überlebt hat, nennen viele das größte Wunder. Denn die Kindersterblichkeitsrate war zu jener Zeit hoch und just in diesem Jahr traf die Beulenpest den Ort. Heute staunen sich Touristen durch die verwinkelten Ecken des Geburtshauses, in dem alles so eingerichtet ist, wie es Mitte der 1570er Jahre ausgesehen haben könnte. Die Dielen knarzen seit rund 250 Jahren, Stratfords Vermarktungstalent war schon immer ausgeprägt. Der Großteil der Möbel in dem Fachwerkbau mit den tiefhängenden Decken stammt aus dem 16. Jahrhundert, als sein Vater John als Handschuhmacher und Händler das Geld verdiente. Bruchsteinboden, Himmelbett, Kamin, Tisch mit Zinngeschirr, Wandbespannungen aus Leinen, die in leuchtenden Farben bemalt wurden. "Nach dem Tod des Vaters erbte William das Haus und weil er ein Händchen fürs Geschäft hatte, machte er es zu einem Hotel", sagt Scott Lewis, der als Besucherführer in originalgetreuem Kostüm Shakespeares Leben zusammenzustückeln versucht. Er berichtet von Nachttopf-Gepflogenheiten und Gastgeber-Regeln, davon, dass das Himmelbett im Wohnzimmer stand, um Gästen einen Schlafplatz zu bieten, aber auch um anzugeben. "Es war ein Zeichen des Wohlstands."

Der britische Dramatiker William Shakespeare (undatierte, zeitgenössische Darstellung)
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Anne Hathaway, auch sie fehlt im euphorisierten Shakespeare-Land nicht. Das Häuschen, in dem sie aufgewachsen ist, duckt sich unter dem Strohdach vor seinen vielen Besuchern. Mit 18 Jahren heiratete er im Schnellverfahren das Bauernmädchen. Da war sie bereits schwanger, acht Jahre älter noch dazu. Wenige Minuten entfernt reiht sich ein Fachwerkhaus aus der Tudorzeit in das historische Stadtbild. Unter den dunkel gestrichenen Balken hat Shakespeare vermutlich lateinische Texte auswendig gelernt.
Im Erdgeschoss der Elisabethanische Zunftsaal und damit vergleichbar mit dem Rathaus, das damalige Zentrum des öffentlichen Stadtlebens. Shakespearianer mögen den Gedanken, dass das Sprachgenie an jenem Ort seine Leidenschaft entdeckt hat. Der Bürgermeister-Sohn dürfte hier zum ersten Mal mit Theater in Kontakt gekommen sein, da die fahrenden Schauspieler zu jener Zeit ihre Stücke erst vor dem Ratsherr aufführen mussten.
Trotz seines Ruhms in London, die Heimat ließ den Landjungen offenbar nie los. Er kehrte in den Spielpausen zu Familienbesuchen zurück, was drei Nächte und vier Tage auf dem Pferderücken bedeutete, und kaufte 1597 das zweitgrößte Haus in Stratford, genannt "New Place" inmitten der Stadt. "Es sagt viel über seinen Charakter aus, dass er ein Haus erwarb, das sein Ansehen und Prestige unterstrich ", sagt Nic Fulcher, Historiker und Projektleiter des neuen "New Place", das ab Juli für die Öffentlichkeit öffnet.